© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Kolumne
Sippenhaft
Peter Sichrovsky

Ein alter Freund von mir teilte mir unlängst mit, daß die heiteren Abende, die wir mit unseren Ehefrauen in unregelmäßigen Abständen gemeinsam erleben durften, leider nicht mehr so häufig vorkommen würden. Ich hätte die Nachricht, ohne Murren angenommen, wenn nicht der alte Freund die Bemerkung hätte fallenlassen, daß der neue Freund seiner Stieftochter es nicht gerne sehen würde, wenn die Mutter an Treffen teilnehme, bei denen auch ich anwesend sei. Der Grund sei meine zu verteufelnde politische Einstellung und meine Funktion bei der FPÖ.

Nun war plötzlich nichts mehr in Ordnung. Der Freund der Stieftochter aus gutbürgerlichem Haus ist Künstler, so sagt er, und hat es dank der Beziehungen des Vaters sogar schon zum Assistenten von noch bekannteren Künstlern geschafft. Da der Schatten der Berühmtheit nicht nur Dunkelheit verspricht, sondern auch die Phase der künstlerischen Erleuchtung, fühlt sich jener junge Mann kulturpolitisch so schwerfüßig, daß jeder Schritt und Tritt von ihm den entsprechenden Einfluß auf die Freundin hat – jener Tochter also, dessen Mutter frevelhafterweise mit einem Freiheitlichen befreundet ist.

Dieses System der stillen Post hat nun zur Folge, daß meine Frau die Ehefrau meines Freundes nicht mehr treffen darf, weil der 19jährige Sohn in vorauseilendem Gehorsam gegenüber seinem Vater und assistierenden Künstlern seiner künstlerisch motivierten Widerstandsideologie gegen Schwarz/Blau der 20jährigen Freundin mitteilen läßt, daß die Mutter wenn möglich die Treffen mit dem "Verräter" und dessen Ehefrau vermeiden sollte – dem Stiefvater sei nicht mehr zu helfen, da er zu sehr unter dem Einfluß des "Feindes" stehe.

Alles sehr kompliziert, und wenn man es endlich versteht, hat man Schwierigkeiten, daß einem nicht kotzübel wird. Ein Schnösel von Beruf "Sohn" versucht Druck auf die Familie der Freundin auszuüben, und die Mutter fühlt sich hin und hergerissen zwischen ihrer Einschätzung von Menschen auf der Grundlage von Respekt und Ehrfurcht vor den Freunden des Ehemanns und der dumpfen Hetze des Freundes ihrer Tochter.

Es gab in der Vergangenheit nur zwei politische Systeme, die jene, die eine andere politische Meinung hatten, zu "Feinden" abstempelten – den Kommunismus und den Nationalsozialismus. Beide Systeme arbeiteten mit Sippenhaft und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Gott sei Dank sind die beiden Denkweisen bei den meisten Österreichern vergessen und überwunden.

 

Peter Sichrovsky ist Europaabgeordneter und für Außenpolitik zuständiger Generalsekretär der FPÖ


 
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