© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Meldungen

Rußlands Historiker: Anhaltende Eiszeit

STUTTGART. Das postsowjetische Rußland schreibt seine Geschichte neu. Epochen und Personen, die vor 1990 als "unantastbar" galten, werden einer kritischen Analyse unterzogen. Dabei, so resümiert die Moskauer Historikerin Svetlana Cervonnaja in ihrer Bilanz der "Geschichtswissenschaft Rußlands in den 1990er Jahren" (Osteuropa, 6/01), nehme die Überwindung alter "sowjetischer" oder "großrussischer" Schablonen noch längere Zeit in Anspruch. Zudem lasse die "Enteisung" der Archive auf sich warten, da Quellenbestände in "Spezialdepots" noch immer als "geheim" eingestuft werden. Cervonnaja, an der Russischen Akademie der Wissenschaften mit der Moskauer "Ethnopolitik" befaßt, meint, daß neu-russische Imperialisten und alt-stalinistische Apologeten "historischer Größe der UdSSR" sich gegenüber nicht-russischen "Sowjetvölkern" in ihrem historiographischen Dogmatismus einig seien. So schreibe etwa der Marxist N. F. Bugaj noch heute über die stalinistischen Deportationen im Stile des einstigen Geheimdienstchefs Berija, wenn er die "Aussiedlung des sozial fremden Elements aus den Republiken des Baltikums usw." thematisiere, während "Großrussen" die "Randvölker" als "Separatisten" wahrnehmen, die im Dienst "weltweiter imperialistischer Verschwörung" die Erosion sowjetischer Weltmacht begünstigt haben.

 

Deutsche Geschichte interkulturell vermittelt

SEELZE. Auf die "verstärkte Anwesenheit von Schülern aus fremden Kulturen in unseren Klassen" reagiert die autochthone Lehrerschaft mit "interkulturellem Lernen". So bereitet an der Universität Göttingen ein Institut für Interkulturelle Didaktik niedersächsische Lehrer auf einen Arbeitsalltag vor, der an "Problemschulen" von vielen als pädagogischer Auslandseinsatz gefürchtet wird. Die Geschichtslehrer unter ihnen scheint Andreas Körber mit seinem Bericht von einer Fortbildungstagung über "Interkulturelles Geschichtslernen" beruhigen zu wollen (Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 5-6/01). Die "Abgegrenzheit und Unvergänglichkeit" von Kulturen sei genauso ein "Konstrukt" wie die daraus bezogene Identität. Der Kulturbegriff interkulturellen Geschichtslernens werde daher nicht von der Vorstellung gegeneinander abgeschlossener kultureller Entitäten behindert. Den Schülern lasse sich vielmehr die Gleichheitserfahrung vermitteln, wonach jede Kultur strukturell ähnliche Sinnbildungen hervorbringe. Diese "Prägungen" könnten in der deutschen Geschichte dort veranschaulicht werden, wo man, in "Abkehr von klassischen politikgeschichtlichen Kategorien", das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit behandle. Deutsche und ausländische Schüler würden so gleichermaßen "Eigen- und Fremdbild"-Erfahrungen machen und ihren "Blick schärfen für andere Kulturen und Einwanderer".

 

Große Kieler Koalition gegen Spitzenforschung

KIEL. Schleswig-Holsteins Landtag hat sich mit einem Beschluß zur embryonalen Stammzellenforschung in die Sommerpause verabschiedet. Gerichtet an die Adresse der Wissenschaftler in Kiel und Lübeck, die als Pioniere auf diesem Forschungsfeld ins Rampenlicht gerieten, forderte man, daß "keine weiteren Fakten" geschaffen werden sollten, bis der Bundestag eine Entscheidung treffe. Dieses Moratorium hat nur appellative Wirkung, da das Embryonenschutzgesetz in die Bundeskompetenz fällt. Trotzdem wirke es verheerend, meint Ekkehard Klug, wissenschaftspolitischer Sprecher der Kieler FDP-Fraktion, die mit Wissenschaftsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) und drei SPD-Abgeordneten das Moratorium gegen die deutliche Mehrheit ablehnte, weil es ein Klima schaffe, das Spitzenforscher aus dem Lande treibe.


 
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