© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Wehrgerechtigkeit als Scheinargument
Bundeswehr: Die Wehrpflicht wird zum Sommertheater herabgewürdigt
Paul Rosen

Rudolf Scharping meint, es handele sich nur um einen typischen Fall von Sommertheater. Doch die Debatte um die Wehrpflicht in Deutschland, die just in sitzungsfreier Sommerzeit des Bundestages neu entbrannte, zeigt mehr: Es geht um die, wie der CDU-Wehrexperte Paul Breuer mit leichtem Pathos in der Stimme anmerkt, „letzte Pflicht“ in Deutschland. Während Breuer, seine CDU/CSU und bis jetzt auch die meisten Sozialdemokraten diese Pflicht beibehalten wollen, geht es linken Kräften in der SPD und den Grünen um mehr. Sie haben wieder ihr altes Ziel ins Auge gefaßt: die Demilitarisierung und damit die Wehrlosigkeit der Bundesrepublik. Der Hebel dafür heißt Abschaffung der Wehrpflicht.

Angestoßen hatte die Debatte ein fast unbekannter Sozialdemokrat: Heiko Maas, Vorsitzender der saarländischen SPD, die seit dem Abschied von Oskar Lafontaine aus der Politik nur noch ein Rand- und Schattendasein führt. Maas hatte die Wehrpflicht in einem Zeitungsinterview als „Relikt des Kalten Krieges“ bezeichnet. Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Renate Schmidt sprang dem Saarländer unverzüglich bei: Als die Deutschen die Demokratie noch lernen mußten, sei die Wehrpflicht auch politisch wichtig gewesen. „Heute, in unserer erwachsen gewordenen Demokratie, wäre eine Freiwilligenarmee keine Gefahr mehr.“ Sie sei, so Frau Schmidt, überzeugt, daß die Wehrpflicht in den nächsten fünf bis acht Jahren fallen werde.

Viel mehr Zeit haben die Gegner der Wehrpflicht auch nicht. Denn nach dem Jahre 2010 wird sich die Zahl junger deutscher Männer durch den Geburtentrückgang so drastisch reduzieren, daß die heute schwankende Wehrgerechtigkeit wiederhergestellt sein dürfte. Dann wäre schon allein aus demographischen Gründen das Ziel der heutigen Bundeswehrreform - eine Armee von 280.000 Mann - nicht mehr zu halten. Die Truppe würde weiter schrumpfen.

Die Wehrgerechtigkeit ist in der Tat die Achillesferse aller Anhänger der Wehrpflicht. Grundsätzlich und vom Grundgesetz her gilt, daß alle 18jährigen den Dienst an der Waffen aufnehmen müßten, wenn sie tauglich sind. Das Ausnahmerecht Wehrdienstverweigerung ist jedoch zum Regelfall geworden. Damit kann die Bundeswehr eigentlich zufrieden sein. Denn in diesem Jahr können nach Berechnungen der Bremer Zentralstelle Kriegsdienstverweigerung nur 129.000 von aktuell 462.000 tauglichen und verfügbaren jungen Männern ihren Dienst aufnehmen. Wenn bald nur noch jeder fünfte gezogen werden könne, dann „gibt es keine Wehrgerechtigkeit mehr“, so die Zentralstelle.

Die Bundeswehr hält dagegen. In den siebziger Jahren seien die prozentualen Einzugsquoten manchmal noch niedriger gewesen als heute, und niemand habe die mangelnde Wehrgerechtigkeit beklagt. Zwar mögen die Anhänger der Wehrpflicht im Bundestag noch in der Mehrheit sein, doch ihr Legitimierungszwang wird größer, nicht zuletzt durch eine Außerung von Bundespräsident Johannes Rau auf der Kommandeurtagung in Leipzig. Wenn die Gründe, die für die Wehrpflicht sprechen, „nicht mehr gelten, dann müssen wir neu nachdenken“. Auch die Weizsäcker-Kommission, die Vorschläge für die Reform der Bundeswehr erarbeitete, hatte der Wehrpflicht bereits einen Schlag versetzt: Sie wollte nur noch einen Rumpf-Wehrdienst für 30.000 Mann.

Die Befürworter der Wehrpflicht wie Verteidigungsminister Scharping suchen ihr Heil zu oft in platten Argumenten: So weist Scharping darauf hin, daß eine Berufsarmee 3,5 Milliarden Mark teurer werden würde als die heutige Bundeswehr. Das dürfte jedoch seinen grünen Koalitionspartner, der die Abschaffung der Wehrpflicht fordert, nicht besonders beeindrucken. Im Gegenteil: Den Grünen, die der gesamten Armee mißtrauisch gegenüberstehen, dürften die Mehrkosten höchst willkommen sein, um die Truppe weiter zu verkleinern - bis runter zu einer Art Schweizer Garde zum Empfang von Staatsgästen.

Noch sind 64 Prozent der Bundesbürger laut einer Emnid-Umfrage für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Doch die Politik wäre gefordert, das jetzige System zu modernisieren. Nur 15 bis 20 Prozent der Armeeangehörigen dienen wirklich an der Waffe und wären gezwungen, sie im Konfliktfall einzusetzen. Der große Rest der Truppe widmet sich dem Nachschub, der Versorgung, der Verwaltung und nicht zuletzt der Technik, die im sogenannten IT-Zeitalter immer wichtiger wird.

Ob man vor diesem Hintergrund wirklich noch eine allgemeine Wehrpflicht in der heutigen Form aufrechterhalten müsse, fragt sich zum Beispiel der CDU-Verteidigungsexperte Thomas Kossendey . Oder können Computerexperten ihren Dienst für die Sicherheit und Verteidigung des eigenen Landes nicht auch ohne Uniform und Grundausbildung versehen?

Der kommende Mann der CDU, Hessens Ministerpräsident Roland Koch, redet bereits einer allgemeinen Dienstpflicht das Wort. Aus diesem Vorschlag könnten neue Modelle für einen Dienst zur Landesverteidigung entwickelt werden, falls die CDU/CSU in der Lage wäre, über ihren eigenen Schatten zu springen.

Denn ohne einen Zwangsdienst für junge Männer, egal wie er ausgestaltet wird, wäre Deutschland nicht in der Lage, seine gegenüber der Nato gegebenen Verpflichtungen zu erfüllen. Generäle der Bundeswehr weisen schon heute auf ihre Nachwuchssorgen hin und erinnern daran, daß sie die meisten Zeit- und Berufssoldaten aus der großen Gruppe der Wehrpflichtigen rekrutieren. Nur so läßt sich die Bundeswehr in ihrer heutigen Größenordnung erhalten und bleibt nur mit der Wehrpflicht und anschließenden Wehrüberwachung aufwuchsfähig. Gerade das Argument der Aufwuchsfähigkeit für den Krisenfall wird nur zu gerne vergessen. Beläßt die Politik alles beim alten, wird jedoch die von der Wehrgerechtigkeit her aufgezäumte Debatte in den nächsten Jahren immer schärfer werden.

Dann könnte der große Opportunist und FDP-Chef Guido Westerwelle recht bekommen, der sich dem Druck der Möllemänner durch Übernahme ihrer Positionen beugte: Westerwelle erwartet jetzt das Ende der Wehrpflicht in der nächsten Legislaturperiode.


 
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