© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001


Christliche Hilfe unerwünscht
Afghanistan: Die Taliban-Religionspolizei verhaftete „Shelter Now“-Mitarbeiter wegen „Missionierung“
Alexander Röhreke

Nach der Sprengung der zwischen dem zweiten und siebenten Jahrhundert von buddhistischen Mönchen aus dem Fels geschlagenen größten Buddhafiguren der Welt im März 2001 verschwand das radikalislamische Taliban-Regime wieder aus den Medien. Am Ende der Empörung über die barbarische Tat blieb Sprachlosigkeit infolge von Ohnmacht: Was konnte man gegen Fanatiker tun, die sich an kulturellen Zeugnissen vergingen, die schon existierten, als Mohammed noch nicht geboren war?

Nun gibt es andere Menschen, die sich, wenn es um die Frage der tätigen Nächstenliebe geht, um solche Fragen nicht kümmern. Die Realität hat eine solche Gruppe von Idealisten nun eingeholt. Den Helfern der deutschen Organisation „Shelter Now“, die sich „aus christlicher Nächstenliebe“, wie es in einer Broschüre heißt, in Pakistan und Afghanistan seit 1989 um die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen kümmern, wurde offenbar zum Verhängnis, daß sie wie andere ausländische Hilfswerke zuletzt die einzigen Quellen über das sich nach außen hin abschottende Regime waren. Der wachsende Druck des Mullah-Regimes auf ausländische Hilfsorganisationen in den letzten sechs Monaten hat mit der Verhaftung der 23 Kabuler „Shelter Now“-Mitarbeiter einen vorläufigen Höhepunkt gefunden.

In Afghanistan, wo neuerdings mit Ausnahme von Taliban-Gesängen sogar Musik verboten ist, sind die Hilfswerke für die Einheimischen die letzte Quelle von westlichen Ideen. Mildtätigkeit sind weder dem Koran noch der islamischen Geschichtstradition fremd. Doch ist der Islam der Taliban eher das Reaktionsprodukt paschtunischer Dorfkultur mit dem Leben in den Flüchtlingslagern im pakistanischen Grenzgebiet aus der Zeit des Afghanistankriegs. Das Taliban-Denken ist die Synthese aus einem verkürzten Islamverständnis halbgebildeter Dorfgeistlicher und dem Totalitätsanspruch marxistischer Ideologie als Grundlage sowjetischer Kriegführung. Bei dem Versuch, die von ihnen beherrschten Menschen einer totalitären Gedankenkontrolle zu unterwerfen, greift das Oberhaupt der Taliban-Miliz, Mullah Mohammad Omar, offenbar nun auf eine These altgriechischer Xenophobie zurück: „Wer den Wandel fürchtet, sollte jeden Fremden, der die Stadt betritt, sofort totschlagen.“ Für Mullah Omar heißt dies: Vernichten aller Zeugnisse, die als Beweis dafür dienen könnten, daß sich etwas anders verhält, als zu denken erlaubt ist. Aus dem paschtunischen Dorf läßt Big Brother grüßen. Für die ausländischen „Shelter Now“-Mitarbeiter bedeutet dies Haft und Ausweisung, für ihre afghanischen Helfer - bei ihnen wurde eine Bibel gefunden, der Grund für den Missionierungsvorwurf - wohl den Tod.

Wie im Orwellschen Schreckensland Ozeanien führt das Mullah-Regime einen Krieg, der neben dem Islam als Begründung für die meisten Aspekte der Unterdrückungspolitik herhalten muß. Tatsächlich fühlen sich die Taliban-Mullahs dadurch, daß sie den Widerstand der tadschikischen Kämpfer unter dem Guerillaführer Ahmad Shah Massud nicht brechen können, bedroht: Anstelle ihrem Sendungsbewußtsein freien Lauf zu lassen und islamische Revolutionen im ehemaligen Südbelt der Sowjetunion, in Kashmir und in Sinkiang (China) loszutreten, sind die Taliban isolierter denn je. Als Schutzmacht des saudischen Terroristen Bin Laden, als Verfolger der schiitischen Minderheit und als größter Opiumproduzent der Welt bis vor einem Jahr machten sich die Taliban nirgends Freunde, auch nicht im Iran.

Selbst Pakistan, einer von drei Staaten, die die Taliban diplomatisch anerkennen und unterstützen, hat sich offiziell unter dem Druck westlicher Geberländer dem UN-Waffenembargo gegen die Taliban angeschlossen. Es gezwungen, sich mit Indien hinsichtlich Kaschmir zu arrangieren. Auch wenn der Gipfel in Agra kein sichtbares Ergebnis brachte - der Kampf um Kaschmir ist vertagt, und die Islamisten dort sind vorläufig an die Leine gelegt. Betrieben haben diesen Sinneswandel in Pakistan nicht zuletzt die USA seit dem Amtsantritt von George W. Bush. Im Gegensatz zu Clinton will Bush nicht Bin Laden jagen lassen, sondern den in Afghanistan beheimateten Terror direkt an der Wurzel packen: Die Taliban sollen gestürzt werden. Anti-Taliban-Gruppen in der paschtunischen Mehrheitsbevölkerung werden durch informelle Kanäle aufgerüstet, Masuds Nordallianz über Rußland, Indien und den Iran mit Waffen versorgt und der Ex-König, Zahir Shah, politisch instrumentalisiert für den Widerstand traditioneller Paschtunenführer, denen der Machtanspruch der Mullahs zu weit geht. Ob dies gelingt, ist fraglich, denn es darf nicht vergessen werden, daß die CIA an Gründung und Siegeszug der Taliban Mitte der neunziger Jahre beteiligt war, bis der Zauberlehrling unkontrollierbar wurde. Seit dem Sturz von Zahir Shah 1973 hat Afghanistan das Unglück, das Land zu sein, in dem der Teufel immer mit dem Beelzebub ausgetrieben wird.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen