© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Umerziehung ohne Ende
Unesco fordert „multilaterale“ Geschichtsbücher für die Schule der globalisierten Gesellschaft
Jutta Winckler

Die Globalisierung in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ So könnte man in Abwandlung eines Honecker-Diktums formulieren, was der gelernte Dackdecker an der Spitze der DDR auf den Sozialismus bezogen hatte. Der Geschichtsgang wollte es anders, wie wir heute wissen. Womöglich ist dem derzeit triumphierenden „Ismus“, dem US-Globalismus, ein ähhnliches Schicksal beschieden. Sagen wir es mit Weizsäcker, dem Jüngeren: „Die Geschichte ist offen!“ Immerhin das.

Daß sie nicht allzu offen, will sagen den Siegern gefährlich werde, dafür sorgen allerlei Vorfeldorganisationen des transatlantischen Hegemons, die ihren Hauptsitz in New York haben, insbesondere die Vereinten Nationen.

Aus dem Rattenschwanz von UN-Organisationen und Unterorganisationen kennt Otto Normalzahler allenfalls die Unesco, die Kulturorganisation der vereinten Nationen. Die, so glaubt er zu wissen, tut Gutes allerorten; sie rettet Bauten vorm Verfall, schützt Kulturgut per Listenaufnahme, fördert indigene Dialekte in Obervolta, vermittelt Eskimos englische Sprachkenntnisse, begründet in Rimini, Göttingen und anderwärts „Unesco-Projekt-Schulen“, fährt in exotischen Zonen Kampagnen gegen Kitzlerbeschneidung und Witwenverbrennung, propagiert weltweit den Gebrauch von Kondomen zur Verhütung von Nachwuchs und Aids, kurzum, UN-Kulturwarte sind rund um den Globus in Aktion.

Neuerdings hat die Unesco auf ihrem ureigensten Gebiet Handlungsbedarf erkannt: koextensiv zur „Globalisierung“, näherhin der planetarischen Unterwerfung aller Beziehungen unter die Warenform des kapitalistischen Weltmarktwirtschaftens, ergibt sich die Notwendigkeit, dem Bewußtsein „der Menschen“ auf die globalen Sprünge zu helfen. Wo tendenziell alle äußeren Begrenzungen fallen, können auch die im Kopf keinen Bestand für sich reklamieren. Neue „globalisierte“ Schulbücher müssen her. Nicht für den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht, das all-chemistische Formelwesen, sondern für Fächer, in denen die kulturellen Grundprägungen und ideologischen Inhalte der Bürger, näherhin Globaliker, vertieft werden sollen.

Staatliches Buhlen um UN-Büros verschlingt Steuern

„Die Arbeit tun die Anderen“ - dieser Buchtitel Helmut Schelskys war auf die „Priesterherrschaft“ linker Intellektueller gemünzt; er trifft auch in unserem Fall zu, wird die ideen- und begriffspolitische Hauptarbeit für UN-gestützte Erziehungsfeldzüge nicht selten von hiesigen Instituten geleistet. Das steuermittelverschlingende Buhlen der „Bundesstadt Bonn“ um UN-Behörden füllt ganze Aktenschränke; was schließlich herauskam, war der Zuzug unter anderem eines UN-Wüstensekretariats, dessen Beschäftigtenkopfzahl soeben Förderkursgröße erreichte.

Vor Jahresfrist sah sich die Universität Tübingen geehrt, der hiesigen Unesco-Kommission dienstbar sein zu sollen. Zusammen mit dem „Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung“ zu Braunschweig wurde ein „Lehrforschungsprojekt“ angeleiert, als dessen Hauptträger die Fakultät für Sozialwissenschaften fungierte. Die multikulturellen Erbeförderer am Hudson River sind mit den Schulbüchern ihrer Mitgliedgesellschaften unzufrieden. Not tut „internationale Bemühung um Verbesserung der Schulbücher“, wobei man „dem Geschichtsunterricht Priorität“ einzuräumen gedenkt: „Der Geschichtsunterricht könnte ein Mittel zur Förderung der Völkerverständigung sein. Dafür ist es nötig, daß nicht länger die nationale Sichtweise vermittelt wird. Daher unterstützt die Unesco alle Initiativen multilateraler Schulbuchrevisionen.“ Wie in Bildungspapieren der antifaschistischen Kulturkämpfer des Euro-Parlaments zu Brüssel/Straßburg heißt es: „Ziel ist die Beseitigung von Vorurteilen und Stereotypen gegenüber anderen Nationen oder bestimmten sozialen bzw. ethnischen Gruppen aus den Lehrwerken und Schulbüchern.“ So der politische Korrektizismus in der „Mittelfristigen Strategie“ der Unesco für 1996 bis 2001.

Die Tübinger setzen auf die Fortbildung der bereits ausgebildeten Lehrkräfte, die zunächst „darauf trainiert werden sollten, mit dem Medium Schulbuch kritisch umzugehen“. „Gute“ Werke sollen „nach eigenen Kriterien mit Schülerinnen und Schülern ausgewählt“, „schlechte“ durch „gemeinsame kritische Lektüre und Auswertung“ in ihrer Wirkung „umgedreht“ werden: Dem von Viva, RTL und McDonald’s geformten gesunden Schülerempfinden wird die volkspädagogische Bahn bereitet. Das Institut für Schulpädagogik untersuchte Bücher für den Geschichtsunterricht; im Mittelpunkt standen die Desiderate der New Yorker Globalpädagogen und die hiesige Geschichtsdidaktik. Letzterer geht, so der schwäbische Befund, Multiperspektivität, Interkulturalität und Universalismus ab. Da hilft nur deutsche Gründlichkeit. Schon existiert ein stattlicher Fundus von Literatur zum Thema.

Die Projektler nahmen sich Unterrichtswerke aus der BRD, Österreich, Schweiz, Frankreich, Japan, Indien und den USA vor; aus deren Analyse formulierte man „Anregungen zur Verbesserung des Geschichtsunterrichts an deutschen Schulen“. Eigenartigerweise ging das Schulbuchtribunal mit den französischen Erfindern des (im modernen Sinn) Nationalen eher milde ins Gericht, sei es doch dortigen Werken gelungen, „eine nationale Perspektive bei der Darstellung des Ersten Weltkrieges weitestgehend in den Hintergrund treten zu lassen“. Bei der Kriegsschuldfrage gebe es „keine einseitigen Schuldzuweisungen“, vielmehr werde „der übersteigerte Nationalismus als zentrale Ursache verdeutlicht“. Das Revanchedenken werde kritisch reflektiert, das gemeinsame Schicksal hervorgehoben, indem man „über weite Strecken eine gesamteuropäische Bilanz des Krieges zieht, die Menschenverluste und die materiellen Schäden Frankreichs nicht in den Vordergrund rückt und Krieg als ein Problem aller Menschen begreift“.

Soldatisches Heldentum spiele keine Rolle mehr, das Zivile rücke in den Vordergrund. Die Behandlung der USA deute den machtpolitischen Konflikt des heutigen Frankreich mit der einzigen Weltmacht an; bei allem Lob sei es freilich wünschenswert, daß man sich mehr mit der Bevölkerung in den Kolonien befassen würde, schon im Hinblick auf die mehrheitlich fremdstämmige Zusammensetzung heutiger Schulklassen in Frankreich.

Japan gibt es mittlerweile, wie die Achsenmächte überhaupt, in zwei Versionen: als eigentliches bis 1945 und als alliiert remodel-tes seitdem. Daß eine Frau Dr. Nakayama in Tübingen zu positiven Befunden kommen konnte, verdankt die Welt „der Schulbucharbeit der Unesco, die bereits Früchte getragen hat“. Der Japaner unterteilt seinen historischen Unterricht säuberlich in „Japanische Geschichte“ und „Weltgeschichte“, wobei das Verhältnis zu Korea, China und den USA infolge der Debatten um die Schulbuchrevision des Jahres 1982 eine Änderung erfahren habe. Man habe, gleichsam der Tradition folgend, ein deutsches Konzept, hier das der „Vergangenheitsbewältigung“, importiert und japanischen Bedürfnissen angepaßt. Endlich werde die Invasion des Festlandes thematisiert, der Einsatz von Giftgas, Zwangsprostitution und Massenmorde dargestellt, die Untaten japanischer Militärs und Politiker seien keine Tabus mehr. Allerdings fehle bei aller Faktendarstellung die kritische Ursachenanalyse und multiperspektivische Bewertung der Vorgänge.

Die englischsprachigen Schulbücher Indiens weisen ein auch in Europa bekanntes Problem auf: „Normen und Werte präsentiert man plakativ, ohne daß sie dadurch wirksam vermittelt würden. Dies wird deutlich am Thema Demokratie. Die Überholtheit des Kastensystems wird in allen Werken mit der Behinderung der repräsentativen Demokratie, der nationalen Einigung und des wirtschaftlichen Fortschritts begründet. Einblicke in das konkrete soziale Leben der Bevölkerungsgruppen wird nicht gegeben, eine Perspektivübernahme somit verunmöglicht.“ Daß viele Autoren den gesellschaftlichen Normen „unbeschränkte Gültigkeit“ einräumen, mute antidemokratisch an, ebenso daß weithin die nationale Einheit und Größe zentral geblieben sei. Gefährlich sei das Erstarken des Hindutva-Nationalismus, dem durch die staatsoffiziell indoktrinäre Vermittlung des westlichen Demokratismus Vorschub geleistet werde. Der wirtschaftlich-sozialen Beunruhigung der Massen könnte solcher Geschichtsunterricht gewiß nichts entgegensetzen.

Eine Längsschnittanalyse von DDR-Geschichtswerken kommt zu dem Ergebnis, daß alle ein und demselben Muster folgten: Mit Autorentexten wurde die Gründung der DDR legitimiert, andere Perspektiven kamen nicht zu Wort. Die sozialistische Ideologie wurde auch in den Ausgaben um 1988 nicht hinterfragt. Ähnliche Tendenzen sind in den Büchern der BRD, auch nach der Wende von 1989, feststellbar. Die um die Mitte der achtziger Jahre in Westdeutschland ausufernde Behandlung des Dritten Reiches fällt auf, wobei dieser Zeitraum in manchen Geschichtswerken bis zu 50 Prozent der gesamten deutschen Geschichte einnimmt. Hier sei eine Art Teutozentrismus spürbar, der sich in einer Art negativen Selbstdämonisierung mehr oder weniger unbewußt „historische Größe“ zu erschleichen trachte. Eine Umgewichtung sei hier dringend notwendig, etwa durch Hinzunahme der Perspektive der östlichen bzw. südlichen Nachbarn in Europa, für die ihre Formierung als selbständige Nationen im Vordergrund gestanden hätte bzw. noch stünde, ungeachtet ihrer gewünschten EU-Aufnahme.

Abschließend kommt man in Tübingen zu dem Schluß, daß es der Mühe lohne, zu untersuchen, was „Länder wie die BRD und Frankreich von den neueren US-Schulbüchern übernehmen könnten. Dazu zählt gewiß, endlich die Stimmen nicht nur in einer autochthonen Leitkultur zu suchen.“ Dann käme womöglich Andeselassie Hamednaka zu anderen Befunden als dem, daß „Afrika schon quantitativ in deutschen Schulbüchern völlig unzureichend behandelt wird, wobei, wenn der Kontinent überhaupt vorkommt, fast immer Südafrika im Vordergrund steht“. Im Hinblick auf die in vollem Gang befindliche Durchethnisierung der BRD-Wohnbevölkerung sollten in der Tat polyperspektivische Schulwerke erarbeitet werden, die sukzessive die deutsche durch die englische Sprache ersetzen. Damit hielte das Volk der Dichter und Denker, nach wie vor form- und begrenzungsunfähig ins Ungemessene strebend, nach dem ökologischen Coup erneut die Tete des Weltgeistes. Dem eigenen Daimonion wird man nur durch frenetische Zustimmung gerecht.


 
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