© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Billig und erpreßbar
Eine aktuelle US-Studie zeigt der Green Card die Rote Karte
Bernd-Thomas Ramb

Noch vor einem Jahr glaubte jedermann an einen immerwährenden Aufschwung der Computerbranche. Die Aktienkurse der über nacht gegründeten Firmen erreichten schwindelerregende Höhen und die frischgebackenen Multimillionäre wurden immer jünger. Internet, Informationstechnologie und Telekommunikation waren die Zauberworte der Zukunft und der Computer der Zauberstab. Der Bundeskanzler sonnte sich in der Cebit-Sonne und versprach den jammernden Zampanos der IT-Wirtschaft, den damals bestehenden Personalmangel schnellstens zu beheben. Mit der Green-Card-Regelung der Bundesregierung sollte bis zu 20.000 Experten aus Ländern außerhalb der EU ermöglicht werden, für fünf Jahre in Deutschland zu arbeiten.

Ein Jahr später ist Katzenjammer angesagt. Der Sturz der Aktienkurse, den die IT-Unternehmen auf dem Neuen Markt erfahren mußten, läuft parallel zum sinkenden Interesse an der Nutzung der GreenCard-Regelung. Einige der Firmen, die vehement die Einführung des ungehinderten Zuzugs ausländischer Computer-Spezialisten gefordert hatten, existieren gar nicht mehr oder kämpfen mit Insolvenzverfahren. Der sang- und klanglose Untergang der spektakulären Green-Card-Aktion kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es eine Initiative zu ihrer Einführung gab und die eigentlichen Ursachen ihrer Initiierung immer noch den Arbeitsmarkt für Computer-Spezialisten beschäftigen.

Eigentlicher Hintergrund der Green-Card-Regelung waren weniger fehlende Spezialisten auf dem deutschen Arbeitsmarkt, sondern das Begehren der IT-Unternehmen, die Löhne für Computerspezialisten zu senken. Denn die Inanspruchnahme ausländischer Fachleute ist keine neue Entdeckung der Green-Card-Regelung. So wurde und wird ausländisches Fachwissen bereits seit vielen Jahren durch die Vergabe von Aufträgen in das Ausland genutzt. Computerprogramme werden in Bangladesch erstellt, ingenieurwissenschaftliche Untersuchungen in der Tschechei durchgeführt und die Ergebnisse in die EU oder die USA transferiert. Gerade in Zeiten eines die Welt umspannenden Internets eine organisatorische Kleinigkeit. Es bleiben allerdings die Koordinationsaufgaben, die mit häufigen Reisen verbunden sind, und der Bedarf an Spezialisten im Inland zur Planung und Kontrolle der Projekte.

Beides führt zur Überlegung, die ausländischen Spezialisten ins Land zu holen. Schließlich ist das Hauptmotiv die Kostenersparnis, und ausländische Programmierer oder Ingenieure arbeiten nun einmal zu einem Bruchteil der Inlandslöhne. Zu welchen Konsequenzen dies führen kann, zeigen die Ergebnisse einer amerikanischen Studie, die von dem kalifornischen IT-Professor Norman S. Matloff erstellt wurde. Matloff untersuchte die Auswirkungen des amerikanischen „H-1B-Programms“ auf die Berufschancen seiner Informatik-Studenten. Das H-1B-Programm entspricht der deutschen Green-Card-Regelung, während die USA unter „Green Card“ etwas ganz anderes versteht, nämlich die Erlaubnis zum lebenslänglichen Aufenthalt in den USA. Matloff stellte fest, daß die Unternehmen nur zwei bis fünf Prozent der Bewerber einstellen, dafür aber ständig eine Ausweitung des H-1B-Kontingents fordern. Er vermutet, daß nicht nur die geringeren Löhne die Bevorzugung der ausländischen Spezialisten verursachen, ausschlaggebend sei vielmehr die leichtere Disziplinierung. Ein Ausländer, der eng an die anfordernde Firma gebunden sei und nur vorübergehendes Bleiberecht genieße, wage weniger gegen schlechte Arbeitsbedingungen oder Überstunden zu protestieren als die Einheimischen. Dies erkläre auch, warum keinesfalls die besten der ausländischen Spezialisten in die USA kämen, sondern vielfach die gleichen Anfänger und schlecht Vorgebildeten wie im Inland.

Gerade dies läßt sich auf Deutschland unmittelbar übertragen. Welche indische Spitzenfachkraft läßt sich schon auf eine niedrigbezahlte Anstellung in Deutschland ein, ein Land, das nicht seine Sprache spricht und permanent den Ruf der Ausländerfeindlichkeit angehängt bekommt? Da winken in den USA viel bessere Bedingungen. So verstärkt sich zwangsläufig die Einreise von ausländischen „Fachleuten“, die von der Ausbildungsqualität her keinesfalls besser ausgestattet sind als die deutschen Hochschulfrischlinge oder die älteren IT-Spezialisten mit Weiterbildungsbedarf.

Die älteren Computer-Fachleute, gemeint sind alle über 50 Jahren, teilweise sogar jüngere, sind zudem mit zusätzlichen Problemen belastet. Die älteren scheinen nicht in die durch ein jugendliches Image geprägte Computerwelt zu passen, sie gelten als „hinter dem Mond geblieben“ und nicht fortbildungsfähig. Umfragen haben ergeben, daß auf fast jeden dritten Computerspezialisten über 46 Jahren Druck wegen seines Alters ausgeübt wird. Dabei wird ihnen aber, bei nüchterner Beurteilung, ein höheres Maß an Erfahrung, Beratungskompetenz und Urteilsvermögen zugesprochen. Gleichwohl führt bei 14 Prozent der Vermittlungsversuche das höhere Alter der Bewerber zur Nichteinstellung. Bei den jüngeren wird nach wie vor ein zu geringes Fachwissen bemängelt. Letzteres läßt sich vielfach im Berufsalltag, gerade in Anwesenheit älterer Kollegen, nachholen. Ebenso ließen sich die Vorurteile gegenüber der Leistungsfähigkeit der älteren abbauen. Beides würde zu einer nachhaltigeren Lösung der Beschäftigungsprobleme in der IT-Branche führen als die unüberlegte Green-Card-Kampagne.


 
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