© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Hanseatische Wende
Hamburg: Bürgerliche in Umfragen vor Rot-Grün / Spekulationen um Alexander von Stahl
Claudia Hansen / Thorsten Thaler

Vier Wochen vor der Bürgerschaftswahl brodelt die Gerüchteküche an der Elbe. Verliert die SPD nach 44 Jahren ununterbrochener Regierung die Macht in der Hansestadt, und wird es - wie in den fünfziger Jahren - einen Bürgerblock geben? Wird der bei den Autonomen verhaßte Amtsrichter Ronald Schill Innensenator, und holt er sich tatsächlich mit Alexander von Stahl Verstärkung aus Berlin? Nach einer vergangene Woche veröffentlichten Umfrage von Infratest erscheint ein Machtwechsel in der Hansestadt immer wahrscheinlicher: Das rot-grüne Regierungsbündnis von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) kommt gegenwärtig nur noch auf 45 Prozent, während die bürgerlichen Herausforderer CDU, FDP und die Schill-Partei gemeinsam bei 49 Prozent liegen. Die SPD stagniert bei 35 Prozent, die CDU mit Ole von Beust legt nach der Umfrage leicht zu auf 30 Prozent der Wählerstimmen.

Besonders die Partei Rechtsstaatlicher Offensive mit Schill als Spitzenkandidat verzeichnet wachsende Zustimmung. Sie kann gegenüber der letzten Umfrage um zwei Punkte auf zwölf Prozent zulegen und hat damit die Grünen (GAL) als dritte Kraft in der Stadt überholt. Die GAL der Zweiten Bürgermeisterin Krista Sager gibt einen Punkt auf zehn Prozent ab. Ebenso verlieren die bislang nicht in der Bürgerschaft vertretenen Liberalen leicht. Sie werden in der jüngsten Meinungsumfrage bei sieben Prozent gehandelt. Aufschlußreich ist, daß die Wähler bei einem direkten Vergleich zwischen Runde und von Beust den Christdemokraten erstmals vorziehen würden.

Ob der sogenannte Bürgerblock aus CDU, FDP und Schill-Partei jedoch überhaupt zustande kommt, ist fraglich. Der Spitzenkandidat der Elbliberalen, Rudolf Lange, ein Konteradmiral a.D., vermeidet bislang eine klare Koalitionsaussage. Eine Regierungsbildung sei ohne die FDP nicht möglich, kommentiert er die neuesten Umfragedaten. Zwar bedient sich auch Lange im Wahlkampf der verbreiteten Wechselstimmung, aber dennoch will er ein Zusammengehen mit der SPD nicht definitiv ausschließen. „Niemand weiß, ob die Liberalen in das Boot der Verlierer SPD und Grüne einsteigen“, ärgert sich deshalb Schill. Selbstbewußt fordert der Chef der erst vor einem Jahr gegründeten Partei Rechtsstaatlicher Offensive: „Da die FDP ein unsicherer Kantonist ist, streben wir an, allein mit der CDU eine Regierungsmehrheit zu erringen.“

Auf jeden Fall gäbe es bei einem Regierungswechsel eine Menge Posten zu besetzen, für die eine junge Partei wie die Rechtsstaatliche Offensive nicht genügend qualifiziertes Personal aufzubieten hätte. Nach einhelliger Meinung der Hamburger Medien beansprucht Schill für sich das Amt des Innensenators, welches ihm die Möglichkeit gäbe, sein law-and-order-Sicherheitsprogramm zu verwirklichen. Sein Partei-Vize Mario Mettbach, der als umsichtiger Wahlkampfmanager gilt, käme für den Fraktionsvorsitz in Frage.

Für den Posten des Justizsenators brachte Schill schon vor Monaten den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (FDP) ins Gespräch. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT wollte Schill seinen damaligen Vorschlag nicht kommentieren. „Ich äußere mich nicht zu Personalspekulationen.“ Den Namen des ehemaligen bayerischen Justizminister Alfred Sauter, welchen die Welt am Sonntag ihm letztes Wochenende in den Mund gelegt hatte, habe er niemals genannt. „Aber wir sprechen mit verschiedenen Persönlichkeiten“, deutete Schill an.

Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT erklärte von Stahl, ein Artikel der Tageszeitung Welt, er strebe als Justizsenator an die Elbe, erwecke einen schiefen Eindruck. Die Welt habe ihn „mit falschem Zungenschlag“ zitiert. „Ich würde einen Sieg der Bürgerlichen in Hamburg natürlich begrüßen, gerade angesichts der Entwicklung in der Hauptstadt“, sagte der Exponent des rechten Berliner FDP-Flügels. Dem Angebot, das Amt des Justizsenators zu übernehmen, stehe er nicht abgeneigt gegenüber. Allerdings wolle er für einen möglichen Posten in Hamburg nicht seine Partei verlassen. „Wenn ich deswegen aus der FDP austrete, das wäre opportunistisch“, betonte von Stahl seine Haltung. Mit Schill habe er erst zweimal kurz gesprochen. „Er hat auf mich einen offenen, sympathischen Eindruck gemacht.“ Schill müsse jetzt erst einmal die Wahl gewinnen, dann könne man verhandeln.

Von Stahl sagte: „Ich warte mit einiger Neugier und Gelassenheit die Wahl ab, bewerte das alles nicht über.“ Er kenne die Partei von Schill nicht gut genug, um deren langfristige Chancen beurteilen zu können. Aus der Hamburger FDP oder der Parteispitze habe noch niemand mit ihm gesprochen. Er stehe aber für Verhandlungen zur Verfügung. „Es ist eine Möglichkeit, doch keine sehr wahrscheinliche.“ Auf die Frage, ob eine neue Karriere in Hamburg ihn reizen würde, reagierte er unschlüssig. „Ich bin nicht besonders ehrgeizig, was das angeht.“ Allerdings sagte er auch: „Immerhin war ich 14 Jahre lang Staatssekretär für Justiz in Berlin. Der Job wäre für mich also nicht neu.“

Unterdessen macht sich auch die Deutsche Volksunion (DVU) des Münchner Verlegers Gerhard Frey Hoffnung auf einen Einzug in die Hamburger Bürgerschaft. Bei der letzten Wahl 1997 scheiterte die Rechtspartei nur knapp mit 4,9 Prozent, zog aber in vier von sieben Bezirksparlamente ein. Selbst die linksaußen angesiedelte Zeitschrift Blick nach rechts räumte kürzlich ein, daß es dem DVU-Spitzenkandidaten und Fraktionsvorsitzenden in Wandsbek, Heinrich Gerlach, gelungen sei, aus der „Phantompartei“ eine reale Partei zu entwickeln. Die Bezirksfraktionen stellten, so der Blick nach rechts, auch mal „unabhängig von München“ Anträge und Anfragen und veranstalteten monatliche „Klönschnacks“. Ebenfalls ins Rennen um Wählerstimmen wollen die Republikaner unter ihrem neuen Landesvorsitzenden Thomas Nissen gehen .Vor vier Jahren erreichten sie nur 1,8 Prozent.


CDU-Politiker bietet von Stahl Mitgliedschaft an

Der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl kann seine politischen Ziele künftig in der CDU verfolgen. Das bietet ihm Markus Roscher (38) an. Das Mitglied im CDU-Landesausschuß kandidiert am 21. Oktober im Wahlkreis Prenzlauer Berg für einen Sitz im Abgeordnetenhaus. Bis 1997 gehörte Roscher selbst zu der nationalliberalen Gruppe um Alexander von Stahl in der FDP. Jetzt forderte er die FDP-Rechten auf, die Konsequenzen aus ihrer innerparteilichen Ausgrenzung zu ziehen: „Wertkonservative und Patrioten werden seit Jahren in der FDP diffamiert. Es wird Zeit, daß Alexander von Stahl und seine politischen Freunde in der FDP die Konsequenzen ziehen und der CDU beitreten.“ Roschers Appell wird auch von der Berliner CDU-Parteispitze getragen. Die CDU stehe bürgerlich-liberalen Positionen offen gegenüber und sei daher eine „geeignete Alternative“, sagte der CDU-Wahlkampfleiter Volker Liepelt. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT bezeichnete Alexander von Stahl am Dienstag das Angebot als „sehr verspäteten Aprilscherz“.


 
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