© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Einigungsvertrag nach Gutsherrenart vom Tisch gewischt
Enteignungen: Ehemalige Grundstückseigentümer der DDR klagen vor dem Verfassungsgericht um Milliardenbetrag
Matthias Bäkermann

Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch Gesetze geregelt.“ Diese Sätze aus dem Grundgesetz sollten besonders für die Organe unseres Staates Maxime seines Handelns sein. Doch gibt es Gründe zur Besorgnis, daß genau dieses nicht der Fall ist. Das Finanzministerium hatte bereits Ende 1998 die Gewährleistung des Eigentums von vielen Bürgern per Nichtanwendungserlaß nicht nur eingeschränkt, sondern aufgekündigt.

Eigentum hatten nämlich auch Bürger der DDR, bevor sie diesen Gefängnisstaat verließen. Oftmals ist dieses nach deren Flucht verwaist oder es wurde durch staatlichen Druck vor einer regulären Ausreise den Genötigten zu Spottpreisen abgepreßt. Nach dem Fall der Mauer wollten die nun Zurückkehrenden ihren Besitz gerne wiederhaben, doch dieser war entweder verstaatlicht oder ist bereits zugunsten des Staates anderweitig veräußert worden.

Die Bundesrepubik Deutschland und die DDR haben darauf Rücksicht genommen und in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen am 15. Juni 1990 einen Ausgleich der anstehenden Vermögensfragen zugunsten ehemaliger Eigentümer angemahnt. Diese Absichtserklärung wurde im Artikel 41 des Einigungsvertrages festgeschrieben. Näher wird dieses nach Paragraph 9 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) definiert. Im Falle, daß durch redlichen Privaterwerb die betreffenden Besitzungen zwischenzeitlich nicht mehr zur Verfügung stehen, ist die öffentliche Hand zur Herausgabe von Ersatzgrundstücken angehalten. Dieses hat Gründe im Rechtgüterabgleich, der den Erwerberschutz höher einstuft als die Alteigentümerberechtigung.

Da die Kommunen mit der Herausgabe der Ersatzgrundstücke betraut waren, haben diese anfangs den Weg der Verzögerung gewählt. Als Begründung wurde den Ersatzgrundstücksberechtigten mit dem Hinweis auf momentan fehlende Grundstücke begegnet. Daß dieses vorgeschoben war, haben dann durch die Anwälte der Betroffenen initiierte Anfragen ergeben, nach denen die Gemeinden den vermeintlichen Interessenten mit ihren Grundstücksangeboten nur so bombardierten. Darauf wurde von den Kommunen die schlechte finanzielle Situation als Begründung für die verhinderte Herausgabe der Grundstücke angeführt.

Der Klageweg brachte am 17. September 1998 Klarheit. Vor dem 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes in Berlin wurde in höchster Instanz in diesem konkreten Fall einer Familie aus Dresden als Grundsatzurteil beschlossen (Az BVerwG 7C 6.98 VG 22 A 258.94), daß die Gemeinden angesichts des ihnen gegenüber dem Bund zustehenden Anspruchs auf Aufwendungsersatz nicht berechtigt seien, die Bereitstellung von Ersatzgrundstücken mit dem Hinweis auf ihre Haushaltslage zu verweigern.

Damit hatten die Kläger neue Hoffnung auf ihre Grundstücke geschöpft, doch gleichzeitig auch den Argwohn des Bundesministeriums der Finanzen auf sich gezogen. In Erwartung einer milliardenschweren Ausgleichszahlung an die Kommunen wurde am 24. November 1998 unter der neuen Führung im Finanzministerium von Oskar Lafontaine eine Direktive an die Kommunen (Dokument liegt der Redaktion vor), den obersten Richterbeschluß zu ignorieren und keine Ersatzgrundstücke herauszugeben - ein klarer Rechtsbruch.

In den folgenden 18 Monaten hat sich dann etwas zugetragen, was als klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung angesehen werden kann. Unter dem Motto „Gegen ein Gesetz kann man nicht verstoßen, wenn man dieses einfach abschafft“ hat die Regierung schnell eine Initiative zur Streichung des Paragraph 9 aus dem Vermögensgesetz im Bundestag auf den Weg gebracht. Die äußeren Faktoren konnten im Sommer 2000 günstiger nicht sein: Die CDU-Opposition war wegen der Spendenaffäre nahezu paralysiert, außerdem stand die parlamentarische Sommerpause unmittelbar bevor. Außer einer Pressemitteilung der FDP-Bundestagsfraktion, in der die Streichung dieses Gesetzes bemängelt wird, geht die Initiative der Regierung ohne nennenswerten Widerstand im Parlament durch.

Mit dem Wegfall dieser Gesetzesgrundlage laut Paragraph 9 VermG werden die Anspruchsberechtigten nun auf einen neuen Klageweg über das Entschädigungsgesetz vertröstet. Daß sie über diesen Weg natürlich nur einen Bruchteil des Wertes ihrer Grundstücke erwarten können, liegt im Interesse der Initiatoren im BmF, die mit diesem Winkelzug den Geschädigten etwa zehn Milliarden Mark vorenthalten.

Der Heidelberger Professor für Völkerrecht Karl Döhring bezeichnet dieses als „unrechten Schritt“ der Regierung, die „nun offenbar alles versucht, irgendwo zu streichen...und das kommunistische Unrecht hier schon wieder ein Stück (zu) akzeptier(en), wenn der Paragraph 9 weg ist“.

Die ehemaligen Grundstückseigentümer klagen nun mit ihrem Berliner Anwalt Stefan von Raumer gegen die Streichung ihrer Gesetzesgrundlage vor dem Bundesverfassungsgericht. Wann das laut Einigungsvertrag rechtmäßige Eigentum in die Hände der ursprünglichen Eigentümer zurückfällt, ist selbst nach einem positiven Richterspruch aus Karlsruhe ungewiß.


 
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