© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Ein Kleingeist geht um in Leipzig
Wiederaufbau der Paulinerkirche: Die Sachsen-Metropole bastelt am großen städtebaulichen Wurf
Paul Leonhard

Der neue multifunktionale Campus soll der „große städtebauliche Wurf“ werden. Diese Prämisse hat Volker Bigl, Rektor der Universität Leipzig, schon jetzt gestellt: „Was wir jetzt nicht auf den Weg bringen, wird später nie mehr so gelingen.“ Diesem Satz stimmen in der Messestadt alle zu, uneins ist man aber darin, wie der neue Gebäudekomplex im Herzen Leipzigs aussehen soll. Hintergrund des Streits ist vor allem die Art und Weise der Einordnung der vor über 30 Jahren gesprengten Universitätskirche St. Pauli in die geplante Neugestaltung des Uni-Komplexes am Augustusplatz.

Die Paulinerkirche zu Leipzig wurde zwischen 1231 und 1240 als Kirche des Dominikanerordens errichtet. Im Zuge der Reformation in Sachsen wurde 1539 die gesamte Klosteranlage säkularisiert. Gegen den Einspruch der Stadt Leipzig übereignete Herzog Moritz von Sachsen am 28. Juni 1543 der Universität Leipzig die gesamte Klosteranlage.

Nach langen Debatten will die Universität einen Architekturwettbewerb anläßlich der 600-Jahr-Feier der Alma Mater im Jahr 2009 ausloben. Zur Zeit wird gemeinsam von Universität und sächsischen Ministerien ein europaweiter Wettbewerb vorbereitet, an dem rund 150 Architekturbüros teilnehmen sollen. Über diesen legt sich aber schon jetzt der Schatten des am 30. Mai 1968 trotz massiver Bürgerproteste auf Geheiß Walter Ulbrichts gesprengten und anschließend komplett abgetragenen Gotteshauses, das damals den kommunistischen Machthabern bei der „sozialistischen Umgestaltung“ des in Karl-Marx-Platz umgetauften Augustusplatzes ein Dorn im Auge war.

Nun, wo die Uni wieder ein neues Gesicht erhalten soll, melden sich einige zu Wort, die bereits vor 33 Jahren gegen den geplanten Willkürakt des Regimes demonstrierten und dafür Jahre im Stasi-Knast bzw. in der Psychiatrie verbringen mußten. Der heute als Philosoph an der Universität Essen arbeitende Dietrich Koch etwa regt mit seinem Bruder Eckhard, Physiker an der TU Dresden, in einer Denkschrift den teilweisen Wiederaufbau der Paulinerkirche an, wobei ein moderner Innenbau die Rekonstruktion ergänzen soll. Nach den Vorstellungen der Kochs soll die äußere Gestalt des Gebäudes mit Fassade, Dachreiter, Giebel und Paulinerchor-Raum historisch getreu wieder entstehen.

Wesentlich weiter geht inzwischen ein Aufruf von Prominenten „an die Freunde der Leipziger Paulinerkirche“. In diesem wird „nicht eine Kopie der Kirche, sondern eine Wiedererrichtung ihrer Architektur zum Nutzen der Universität und der Stadt“ gefordert. Das Papier, zu dessen Erstunterzeichnern 32 Persönlichkeiten wie der Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel, der Dresdner Startrompeter Ludwig Güttler, der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker und der Leipziger Maler Wolfgang Mattheuer gehören, zeichnet auch den Weg zum Ziel: „Im Rahmen der Erneuerung des Universitätskomplexes bis 2009 sollte die gotische Hallenkirche zuerst in schlichter Form, aber historisch getreu, wiedererstehen als Kirche und Aula der Universität und als Konzertraum. Fassade, Kirchenfenster, Kreuzgang und andere aufwendige Elemente könnten später vollendet werden.“ Um die dafür erforderlichen Mittel sollte sich der Paulinerverein weltweit bemühen. Gleich dem Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche in den Jahren nach 1945 sollte das heute reiche deutsche Volk die Wiedergeburt der Universitätskirche als „nationale Aufgabe begreifen“.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Denn während in Dresden die Frauenkirche jeden Tag ein Stück weiter aus ihrem Trümmerberg zu neuer Pracht emporwächst, bringt der Prominentenaufruf erst so richtig zutage, wie heillos man in Leipzig derzeit zerstritten ist und welcher Kleingeist die öffentliche Diskussion beherrscht. So gehört der Vorsitzende der „Initiative Paulinerkirche“, Wolfram Behrendt, seltsamerweise nicht zu den Unterzeichnern des Aufrufes. Behrendt zeigte sich von der Aktion völlig überrascht und spricht den Initiatoren gar das Recht ab, „im Namen aller die Stimme zu erheben“: Der Vorstand des Paulinervereins sei nicht informiert gewesen. Und Rektor und Vereinsmitglied Bigl überlegt, „ob ich weiter Mitglied sein kann“.

Behrendt hält den originalgetreuen Wiederaufbau für nicht realistisch und setzt sich gemeinsam mit dem Vereinsvorstand für eine „weitgehend an die Kirche erinnernde architektonische Lösung“ ein. Bigl pocht auf einen Universitätsbeschluß, „die universitären Bauten am Augustusplatz samt einer an die Unikirche erinnernden Paulineraula bis 2009 neu erstehen zu lassen“.

Gerade an dieser Formulierung stoßen sich aber die Initiatoren des Aufrufes. Es sei für die Architekten nicht fixiert, daß „für die Aula die architektonische Gestalt der Paulinerkirche vor der unseligen Sprengung des Jahres 1968 ausgeschlossen ist“. Ein unverbindlicher oder äußerlicher Torso könnte nicht den Geist der Universitätskirche vermitteln, „der die roten Machthaber 1968 zittern ließ“ und an den man bei der Erneuerung der Bildungseinrichtung nach 1990 von innen heraus angeknüpft habe: „Die wiederaufgebaute Paulinerkirche in der architektonischen Gestalt vor der Zerstörung wäre Aula und Kirche der Studenten der internationalen Universität und zugleich eine einzigartige nationale Stätte des Gedenkens für die Proteste der Ostdeutschen noch lange vor dem Falle der Mauer, für den Juniaufstand 1953, die mutigen Proteste der Leipziger gegen die Kirchensprengung ... und die von Leipzig ausgehende friedliche Revolution des Jahres 1989.“

Alles andere als ein originalgetreuer Wiederaufbau wäre auch für Ludwig Güttler, Initiator des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche, eine Kapitulation vor der Greueltat der Kirchensprengung durch die SED-Oberen. Einen derartigen Frevel dürfe sich die Heldenstadt des Herbstes ’89 „nicht vorwerfen lassen“. Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Werner Schulz spricht von einem „nationalen Kleinod“, dessen einmalige Wiederaufbauchance nicht vertan werden darf. Gerade auch weil unlängst Teile des Originalfundamentes entdeckt wurden, wird der „beabsichtigte Gedenkbaumix“ abgelehnt. Viele Leipziger und zahlreiche mit dem Schicksal der Universitätskirche auf die eine oder andere Weise verbundene Prominente fordern jetzt einen Architektenwettbewerb, der nicht nur die lapidare Aufgabenstellung enthält, architektonisch an die Geschichte des Platzes und der Kirche zu erinnern, sondern den Wiederaufbau der Paulinerkirche als festen Bestandteil enthält.

Gegenstimmen kommen von den SED-Nachfolgern: Lediglich eine „geistlose Hülle“ würde mit einem Nachbau entstehen, meint PDS-Stadtrat Sebastian Scheel. Den Wiederaufbau könnten nur Revisionisten fordern. Dabei ist der unselige Geist der Sprengkommandos von 1968 heute noch immer nicht ganz aus der ehemaligen Karl-Marx-Universität verbannt. Noch immer zeigt das Tübke-Wandbild „Arbeiterklasse und Intelligenz“ den früheren SED-Oberbürgermeister Walter Kresse samt 1. SED-Sekretär Paul Fröhlich. Beide leidenschaftliche Befürworter der Kirchensprengung, damit ein „sozialistisches Gesicht für Leipzig“ geschaffen werden kann.


 
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