© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Therapietheater
Eve Enslers „Vagina-Monologe“ texten ihr Publikum zu - und verschütten die Kluft im Körper mit Sprachmüll
Silke Lührmann

S eit Freud wird die in Iokastes wie in Evas Leib eingeschnittene Absenz zum Penisneid der Frau und zur Kastrationsangst des Mannes stilisiert. Der derridaschen Dekonstruktion diente sie als Mutter aller binären Oppositionen: ein Topos, den Dietrich Schwanitz in seiner Spezies-Besichtigung „Männer“ mehr referiert denn reflektiert. Die Frauen aus Schwanitz’ Maskutopia „sind eher im Körper, als daß sie ihn haben“: „Da für Männer die Erfahrung eines weiblichen Körpers jenseits des Artikulierbaren zu sein schien, wurde sie mystifiziert.“ Die „femininen Vorgänge im Inneren des Leibes (bleiben) dem Manne rätselhaft“. „Only women bleed“ - wo Alice Cooper recht hat, hat er recht.

„Das symbolisch wertvollere Territorium war und ist immer noch der Körper der Frau“, befindet Schwanitz, „bei aller Promiskuität bewirtschaftet sie den Zugang zu ihrem Körper nach wie vor als knappes Gut. “ Mit den „Vagina-Monologen“ eröffnen Frauen von Glenn Close über Gloria Steinem bis neuerdings zu Hannelore Elsner und Jasmin Tabatabai zum Preis einer Theaterkarte eine Luke auf ihr geheimnisvolles Innenleben, die zwar keinen Einlaß gewährt, aber immerhin Gelegenheit zum Reinhören.

Der Titel führt, fast versteht es sich von selbst, in die Irre. Die Lippen der Vagina bleiben so verschlossen, wie sie es über zweitausend Jahre abend- und (erst recht) morgenländischer Zivilisation gewesen sind. Tatsächlich stellen die „Vagina-Monologe“ ihre Hauptfigur zur Schau, als wäre sie eine klaffende Narbe aus dem Krieg der Geschlechter - oder aber ein exotisches Schoßhündchen, liebevoll in Vivienne Westwood gekleidet … („Wenn Deine Vagina sich anziehen könnte, was würde sie tragen?“) Genau dies ist die Botschaft (von einem Anliegen oder einer Intention zu sprechen, wäre untertrieben): Auch der Frau selbst ist ihre Sexualität - und damit ihr eigentliches Wesen im Sinne des wahrhaft aufgeklärten „Ich komme, also bin ich“ - ein „Bermuda-Dreieck“, ein „schwarzes Loch“. In den „Vagina-Monologen“ soll sie ihr vorgestellt werden - und was läge da näher, als die Vorstellungskraft zu beschwören und der Entfremdung mit lauter Verfremdungen zu begegnen? So gestaltet Eve Ensler, die das Stück „aus Sorge um die Vagina“ schuf, sie als eine Art Talisman: ein Totemtier, das Frauchens Streicheleinheiten mit lebenslänglicher Treue dankt.

Die „Vagina-Monologe“ locken, sich im hemmungslosen Wucher ihrer Wortspiralen und Bilderketten zu verfangen. Auch das ist Absicht oder jedenfalls unvermeidlich. Denn die schwatzhafte Postmoderne kennt nichts Abstrakteres als das Konkrete (und nichts Konkreteres als das Abstrakte), nichts Virtuelleres als das Wirkliche: Sie erlaubt den Raum nur als Räumlichkeit, das Fleisch als Fleischlichkeit. Auch in den Kathedralen der Neuzeit - denen die Berliner Arena als Paradigma taugen mag: eine ehemalige Fabrikhalle an der Spree, in der heute Peter Steins Monumentaldramen gehuldigt wird, wenn sie nicht gerade die Kulisse für das bunte Treiben des „Yaam“-Klubs, die tausendundzweite Depeche-Mode-Party oder die Sphärenklänge mittelprächtiger Popstars bildet - ist es fast nie um Körper gegangen: um Sein, Atmen, Spüren, das den physikalischen Gesetzen der Schwerkraft und den biochemischen Gesetzen der Lust unterliegt, aber Semantik Semiotik sein läßt. Um Seelen geht es längst nicht mehr, sondern in der Tat nur noch um „Bewirtschaftung“, um Diskurshoheit, um Management.

Kein Wunder, daß die Zuschauerin sich in eine feministische Selbsthilfegruppe rückversetzt fühlt. Wie betroffen das Psychogebabbel ihren Begleiter macht - ob ihm die Kastrationsangst genommen wird -, mag er nicht ausdiskutieren. In ihren genüßlicheren Momenten schwelgen die „Vagina-Monologe“ mit Worten wie Allen Ginsbergs Ergüsse über die Poesie des Anus. Stellenweise klingt Molly Bloom aus James Joyces „Ulysses“ an, die in Literaturseminaren immer noch als Paradebeispiel „aus dem Bauch heraus“ versprachlichter Weiblichkeit gelehrt wird. Die „Vagina-Monologe“ entstanden aus einer Interviewserie der Journalistin Ensler, und vor allem stehen sie in einer spezifisch nordamerikanischen Tradition des speaking-out, der Heilung-durch-Reden.

Ohne Worte gibt es keine „Dinge“, aber mag sein, es gab die Dinge, bevor sie so hießen. Etwas davon ahnt man in den „Vagina-Monologen“ dann, wenn die Schauspielerinnen mit ihren Mündern über Schmerzen reden, die ihr Fleisch gerade nicht empfindet. Sei es die „stoppelbärtige“ Empfindlichkeit nach einer dem Partner zuliebe erduldeten Schur; sei es das Minenfeld zwischen „Nein heißt ja“ und Vergewaltigungen, die auch ein Kriegsgericht als solche anzuerkennen hat: Als Scheide künstlerischer (also künstlicher) Verwirklichung, symbolischer Ordnung und echten Blutes ist die Vagina schlichtweg überfrachtet.

Daß es dennoch schwerfällt, die „Vagina-Monologe“ nicht zu mögen, liegt zumindest in der hiesigen Inszenierung unter Regie von Adriana Altaras daran, wie lauthals sie über ihre aberwitzigsten Kalauer lachen; wie albern sie manchmal kichern können, wenn die Teilnehmerinnen eines Vagina-Workshops sich mit ihren Handspiegeln verrenken und die Leiterin sie ermahnt: „Ihr seid nicht zu Eurem Privatvergnügen hier!“ Als Gralshüterin des angelsächsischen Funkens, der die „Vagina-Monologe“ zündete, radebrecht Barbara Spitz ein abenteuerliches Kauderwelsch englischer und deutscher Satzfetzen. Visuell und dramaturgisch sind die „Vagina-Monologe“ so interessant wie ein Treffen der Anonymen Alkoholiker: vier Sympathieträgerinnen, die von „damen-“ über „mädchen-“ bis „rüpelhaft“ das solide Spektrum der gesellschaftlichen Mitte abbilden, einander ab und zu ins Wort fallen, aber meistens brav abwarten, bis sie an der Reihe sind; halbherzige Hand- und Beckenschwünge, nicht wirklich obszön und schon gar nicht erotisch; Musikeinlagen, die irgendwo zwischen girlpower und Solidaritätskundgebung verhallen; Rollenspiele, und zum guten Schluß wird gemeinsam geschaukelt.

Der schwarze Schatten, der diesen freien Frauen den Spaß an sich selbst verdirbt, ist - stellvertretend für die geschundenen und geschändeten Vaginas aller Länder - die Bosnierin, deren Monolog jeweils eine Gastschauspielerin vorträgt: im Original, der durchschnittlichen Westeuropäerin so unaussprechlich fern wie die Erfahrungen, die er beschreibt; nur seine Kernbegriffe werden ins Deutsche übersetzt, „Besenstiel“ etwa oder „Flasche“. Ansonsten bleibt sie - von einem kurzen Beitrag, mit dem die Prominente sich selbst „einbringen“ darf - stumme Stimme, vermag nicht im Gleichtakt mit den anderen zu schaukeln und lehnt die schwesterlich dargereichte Erfrischung ab.

Das Tabu, gewisse Dinge öffentlich beim Namen zu nennen, wird - so es denn eins ist - in der Berliner Arena Abend für Abend hundertfach gebrochen. Vor ziemlich genau einem Jahr schon skandierte am selben Ort die Bloodhound Gang voll infantilem Gusto: „It’s hard to rhyme a / word like vagina!“ Und der Begriff selber ist eher einer sterilisierten gynäkologischen Fachsprache entlehnt als dem Alltagsgebrauch, der viel zärtlichere, viel schmutzigere, viel brutalere Koseformen hat. Die aber wären derart großzügig dosiert keinem noch so Kulturbeflissenem, keinem Rezensenten und keinem Zeitungsleser zuzumuten - in der englischsprachigen Presselandschaft noch weniger als hierzulande.

Papier ist bekanntlich geduldig und Bühnenbretter wohl auch. Erstaunlich ist immer wieder die Toleranz des Bildungsbürgertums, der im Englischen nicht umsonst sogenannten chattering classes, für gehobenen Quatsch,der sich unbedingt als Provokation feiern will. Nur die Gesinnung muß stimmen. Stellen Sie sich vor, ein Mann käme auf den Gedanken, ein Theaterstück namens „Die Penis-Monologe“ aufzuführen - gar Schwanitz, der in seinem „Sex“-Kapitel einen Anfang macht, indem er ihn als Hofnarr und Gartenzwerg verulkt! Dem ließe sich in allerdings erzwungener Analogie entgegenhalten, die Weltgeschichte sei ein ununterbrochener Penismonolog.

Stellen Sie sich aber vor, ein Mann drehte einen Pornofilm und wollte ihn, wie es 1972 Gerard Damiano mit „Deep Throat“ gelang, als feuilletonwürdige Kunst verkaufen. Was damals gegen die Zensur triumphierte, wäre heute frauenfeindlich und könnte die einzig noch denkbare Provokation sein - hätte Patrice Chéreaus „Intimacy“ nicht bei der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären abgesahnt ... Um so bizarrer die monatelange Aufgeregtheit, die Sigrid Löffler auf dem Leserforum ihrer Zeitschrift Literaturen auslöste, nachdem die Mai-Ausgabe zum Thema „Sex und Schreiben“ mit Nahaufnahmen männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane illustriert war. Nicht nur fürchteten Bibliothekarinnen um die Unschuld ihrer jugendlichen Kundschaft; auch zur Wartezimmerlektüre erschien das Heft ungeeignet.

Filme wie „Intimacy“, Catherine Breillats „Romance“ und Virginie Despentes’ „Baise-moi“ führen das (sexuell erregte) Fleisch als Geisel einer vermeintlichen Authentizität vor: Wenn der männliche Teil des Publikums mit gekreuzten Beinen dasitzt und sich um einen angemessen andächtigen Gesichtsausdruck mühen muß, ist ihr Kunstanspruch erfüllt. Die „Vagina-Monologe“ dagegen verorten den Körper gleich im Kopf, entwerten den Orgasmus zum Wortschwall. Feigenblätter sind aus der Mode gekommen - aber Textfluten decken Schamgegenden genauso zuverlässig ab. Oder, wie Ensler ehrlich eingestehen sollte: Wenn meine Vagina ins Theater ginge, würde sie in ihrem nackten, haarigen Schweigen verharren.

 

„Die Vagina-Monologe“ werden bis zum 31. August täglich außer montags um 20 Uhr in der Arena, Eichenstr. 4, Berlin-Treptow, aufgeführt. Karten (35 Mark): 030 / 5 33 73 33


 
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