© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Der Preis des Balkans
Der Mazedonien-Einsatz der Nato hat auch mit Erdöl-Interessen zu tun
Carl Gustaf Ströhm

In den Monaten zwischen dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 sagte ein hoher skandinavischer Diplomat in einer Runde, welche sich damals über die Zukunft der Nato Gedanken machte, folgenden Satz: „Ich kenne in der Geschichte kein einziges Militärbündnis, das weiter existiert hätte, nachdem die Ursache oder Rechtfertigung seiner Existenz weggefallen ist.“ Anders gesagt: Der Diplomat vertrat die damals sehr ketzerische Meinung, daß das westliche Bündnis - die Nato - eigentlich hinfällig sei, nachdem der Kommunismus und die sowjetische Bedrohung als reale Machtfaktoren nicht mehr existierten.

Damals verhallten solche Worte im luftleeren Raum, weil sie nicht dem Lebensgefühl und den Erfahrungen des Westens und auch nicht den Wünschen der vom Kommunismus befreiten Länder und Völker entsprachen. Von den letzteren kannten so gut wie alle nur ein Ziel: So schnell wie möglich in die „euro-atlantischen Integrationen“ Nato und EU aufgenommen zu werden, um damit endlich jene Sicherheit, Stabilität und Freiheit zu finden, die ihnen unter kommunistisch-sowjetischer Herrschaft verwehrt worden war.

Heute zeigt sich, daß die Nato nach dem Wegfall der sowjetischen Bedrohung in ein militärisch-politisches Interventionsinstrument verwandelt wurde: Und zwar dort, wo sich aus historisch-ethnischen Gründen der Fall des Kommunismus mit besonderer Grausamkeit und Brutalität vollzog: auf dem sogenannten „Balkan“, das heißt im Südosten des europäischen Kontinents. Hatte die Intervention in Bosnien (SFOR) und im Kosovo (KFOR) - letztere im Gefolge des bewaffneten Nato-Einsatzes gegen Serbien bzw. Jugoslawien - noch weitgehend allgemeine Zustimmung der Nato-Mitglieder gefunden, so ist jetzt, im Falle Mazedoniens, zum ersten Mal bei einigen europäischen Nato-Partnern ein ziemlich lautes Murren zu hören, gepaart mit anti-amerikanischen - oder besser gesagt: amerika-kritischen - Untertönen. Es grenzt an eine Sensation, daß sich in den letzten Wochen ein deutscher Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Staatssekretär aus den Reihen der CDU zum Sprecher und Interpreten der Amerika- und Nato-Skepsis aufgeschwungen hat. Es handelt sich um den CDU-Abgeordneten Willy Wimmer, der in einer Serie von Interviews und öffentlichen Erklärungen derart pointiert gegen die Nato und die Amerikaner losging, daß selbst die FAZ nicht umhin konnte, sich mit ihm zu beschäftigen - obwohl die gute alte Tante aus Frankfurt die hochpolitische Auseinandersetzung mit dem Nato-Mazedonien-Problem vorsichtshalber aus dem politischen Teil (wo sie hingehört hätte) ins Feuilleton verlegte - wohl in der Hoffnung, sie fände dort weniger Beachtung.

Wimmers These lautet, die europäischen Nato-Partner (und besonders die Deutschen) würden in Mazedonien - so wie bereits vorher im Kosovo - dazu mißbraucht, um für amerikanische Weltmachtinteressen den Kopf hinzuhalten oder gar als Kanonenfutter zu dienen. Daß solche Standpunkte aus den Reihen der CDU kommen, die seit Adenauers Tagen als Partei der Westbindung und der Nato schlechthin galt, läßt einige interessante Schlußfolgerungen zu. Noch vor einigen Jahren, etwa als 1998 der Kosovo-Einsatz auf der Tagesordnung stand, sei er in fast jeder Fraktionssitzung von seinen eigenen Parteifreunden „beinahe erschossen worden“, sagt Wimmer. Heute aber erhalte er „lang anhaltenden Beifall“. Die Leute wollten einfach nicht länger betrogen werden, subsummierte der parlamentarische Staatssekretär (im Verteidigungsministerium) a.D. Aus den Äußerungen Wimmers geht hervor, daß er unter Umständen sogar die ganze Nato zur Disposition stellen möchte: Für die Adenauer-Partei wäre das in der Tat ein gewaltiges Erdbeben.

Die Fakten, die Wimmer präsentiert (manchmal schlägt auch bei ihm der naive deutsche Michel durch, der an das „Wahre, Gute und Schöne“ in der Politik glauben möchte), sind an sich nicht neu. Daß der Mazedonien-Einsatz (ebenso wie Kosovo, Bosnien und der gesamte Südosten) mit Vorderasien, dem Kaspischen Meer und seinem Erdöl und den US-Pipeline-Interessen zusammenhängt, die sich von Aserbaidschan über den türkischen Hafen Ceyhan nach Burgas in Bulgarien und von dort über Mazedonien (Skopje) bis nach Albanien (Hälfte von Durrës/Durrazzo bzw. Vlore/Valone) erstrecken, wird schon seit langem gemunkelt.

Ebenso fällt auf, daß sich die Amerikaner mit ihren Truppen aus dem Mazedonien-Einsatz heraushalten. Die albanischen Untergrundkämpfer sollen ihre 3.300 Gewehre nicht bei der US-Army, sondern bei den europäischen Soldaten abliefern. Das heißt: Nicht die Amerikaner werden von albanischer Seite den Haß ernten. Offenbar will Amerika es sich nicht mit dem Albanern verderben, die man aus mehreren Gründen braucht. Die Europäer - und womöglich auch noch die Deutschen - gehen wie Parsifal in das Unheil hinein. Wer sich ohne genaue Kenntnis in balkanische Wirren hineinziehen läßt, muß eines Tages den Preis bezahlen. Die Nato könnte sich in den Schluchten des Balkan selbst ad absurdum führen - und Europa wäre am Ende seines Lateins. Aber vielleicht wird das irgendwo so gewollt?


 
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