© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
PRO&CONTRA
Heroin an Schwerstabhängige abgeben?
Rolf Hüllinghorst / Helmut Pfundstein

Mit dem bereits in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung festgelegten „Modellversuch zur heroingestützten Behandlung Heroinabhängiger“ sollte eine weitere Hilfemöglichkeit für die Menschen geschaffen werden, denen bisher nicht geholfen werden konnte. Dabei stand die Bundesregierung von allen Seiten unter Druck. Den einen dauerte ein Modellversuch zu lange. Die anderen konnten und können sich überhaupt nicht vorstellen, wie eine Abhängigkeit durch die Vergabe des Suchtmittels behandelt werden kann.

Nun ist der erste Schritt getan: Bund, einige Länder und Kommunen einigten sich auf die Teilnahme und Finanzierung einer Studie auf der Basis der Richtlinien einer klinischen Arzneimittelprüfung. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, um 560 Schwerstabhängigen Heroin zu verschreiben. Weitere 560 Heroinabhängige erhalten Methadon als Substitut für Heroin. Beide Gruppen werden intensiv psychotherapeutisch und sozial mit der Zielsetzung des Ausstiegs aus dem Konsum unterstützt.

Dieses Modell ist der letzte Schritt auf dem Weg eines möglichst niedrigschwelligen Angebotes für Abhängige. Niedrigschwellig bedeutet, daß die notwendigen Hilfen - möglichst - ohne Hürden erreichbar sind. Dabei geht es sowohl um medizinische als auch um lebenspraktische Hilfen. Getragen wird das Modell von den Erfahrungen, daß sowohl der Einstieg in eine Entwöhnungsbehandlung als auch der Ausstieg aus dem Konsum illegaler Drogen mit einer nachvollziehbaren Perspektive verbunden sein muß.

Das Hilfesystem für Abhängige von illegalen Drogen erreicht ca. 75 Prozent der Betroffenen. Das ist soviel wie in keinem anderen Feld der sozialen Arbeit. Die Heroinvergabe als ein erster Schritt aus dem Teufelskreis der Sucht und dem damit verbundenen Beschaffungsdruck muß vorbehaltlos geprüft werden.

 

Sozialpädagoge Rolf Hüllinghorst ist Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) in Hamm.

 

 

Ein früherer Drogenbeauftragter der Bundesregierung hat im Zusammenhang mit den Fixerstuben von „Menschenversuchen mit ungewissem Ausgang“ gesprochen. Diese Einschätzung trifft erst recht auf die Heroinabgabe für Schwerstabhängige zu. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß sich einzelne Wissenschaftler dafür hergeben. Es ist nicht der erste Fall, daß unter dem Vorwand der Wissenschaft ethische Grenzen verantwortungslos überschritten werden. Diese Heroinabgabe ist sowohl aus der Sicht der Drogenkranken als auch unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten abzulehnen.

Eine verantwortungsbewußte Drogenpolitik setzt auf die gesellschaftliche Ächtung der Drogen. Sie leistet intensive Präventionsarbeit, baut das in vielen Bundesländern immer noch viel zu dürftige Therapieangebot weiter aus und verstärkt ordnungspolitischen Druck gegen den verbrecherischen Drogenhandel. Doch wie kann die Ächtung der Drogen glaubwürdig vertreten werden, wenn der Staat sich selbst an ihrer Verteilung beteiligt? Die Zahl der Jugendlichen mit Drogenerfahrung steigt seit Jahren erschreckend an. Die staatlich organisierte Heroinabgabe ist in dieser Situation ein fatal falsches Signal.

Das Ziel der Drogenfreiheit darf daher auch bei der Therapie Schwerstabhängiger nicht aufgegeben werden, auch wenn sie nur für niederschwelligste Angebote ansprechbar sind. Es ist menschenverachtend, schwer Suchtkranken unter dem Vorwand der Überlebenshilfe das Gift zu geben, das sie kaputtmacht und bei weiterem Gebrauch endgültig zerstört. Diese Menschen brauchen statt dessen ärztliche und therapeutische Versorgung, Entgiftung, körperliche Sanierung und intensive psychosoziale Langzeitbetreuung. Das ist sicher aufwendiger und teurer als die ruhigstellende Versorgung des Kranken mit seinem Stoff. Eine humane Gesellschaft muß aber bereit sein, das zu leisten.

 

Helmut Pfundstein ist Stadtrat und stellvertretender Vorsitzender der CSU-Stadtratsfraktion in München.


 
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