© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Treffen von Linken und Rechten gestürmt
Hessen: Ein Sonderkommando der Polizei rückt gegen friedliches Treffen von „nationalen Anarchisten“ aus
Alexander Barti

Die Meldung mag für den durchschnittlichen Zeitungsleser vertraut geklungen haben: „Polizei löst Neo-Nazi-Party in Osthessen auf“. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Aktion der Staatsschützer als groteske Narrenposse, die eigentlich als pathologischer Fall in die Geschichte der „Anständigen“ eingehen sollte. Was war geschehen?

Am Wochenende vom 17. bis 19. August trafen sich in dem kleinen hessischen Städtchen Rotenburg an der Fulda, Stadtteil Wüstefeld, 19 Menschen verschiedenen Alters und Herkommens, um einige unbeschwerte Tage zu verbringen. Ihnen wurde zum Verhängnis, daß just an jenem 17. August vor vierzehn Jahren der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß aus den Reihen der Lebenden schied.

Die Versammelten stellten eine ziemlich undurchschaubare ideologische Gemengelage dar: Antifas, Nationale, Autonome und Anarchisten. Unter den Teilnehmern des Treffens befand sich zum Beispiel auch Karl Nagel, der ehemalige Vorsitzender der APPD (Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands; Motto: „Arbeit ist Scheiße!“), ein Exil-Kubaner und der Liedermacher Friedrich Baunack. Die meisten Teilnehmer hatten sich via Internet über die Idee einer „Querfront“ als Alternative zu ritualisierten Auseinandersetzungen zwischen „links“ und „rechts“ kennengelernt. Bei dem zweiten bundesweiten Querfront-Treffen wollte man sich zwanglos austauschen und gemeinsame Perspektiven entwickeln.

Man traf sich auf einem privaten Nachbargrundstück neben dem Anwesen Baunacks und baute Zelte auf. Ein Teil der Gruppe spielte Fußball, ein anderer badete im nahegelegenen Baggersee, als die Polizeikräfte - nach Zeugenaussagen eine Hundertschaft eines Sonderkommandos - das Gelände überrannten und ohne Durchsuchungsbefehl das Haus von Friedrich Baunack auf den Kopf stellten. Die anwesenden Personen wurden, zum Teil nackt, mit Handschellen gefesselt und erkennungsdienstlich behandelt. Statt eines Waffenlagers und Nazipropaganda fand man ein Che-Guevara-Buch, Antifa-Aufnäher, CDs (unter anderem die des Stasi-Geschädigten DDR-Liedermachers Karl-Heiz Bomberg), Knallerbsen und Bekleidungsstücke. Außerdem konfiszierten die Polizisten Luftgewehre, die den Söhnen von Friedrich Baunack gehörten.

Erst am Samstagmittag wurden die „gefährlichen Neonazis“ wieder frei gelassen. Am Sonntag ergab eine von Baunack zusammengerufene Nachbarschaftsversammlung, daß Stunden vor dem Zugriff einzelne Bewohner von Beamten des Staatsschutzes aufgesucht worden waren, um Indizien gegen Baunack zu finden. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT erklärte Baunack, er könne sich nicht erklären, wieso er in das Fadenkreuz des Staatsschutzes gekommen sei. Seine Lieder seien unpolitisch, und er sei auch kein Mitglied irgendeiner Partei. Am 18. März dieses Jahres wurde Baunack - als unabhängiger Kandidat - auf einem Listenplatz der Republikaner in den Kreistag gewählt.

Auf die Frage bei dem Verhör im Polizeigewahrsam , wieso Friedrich Baunack gerade an dem Todestag von Rudolf Heß ein Treffen geplant habe, sagte dieser, daß in seinem Kalender die Geburts-, Namens- und Todestage von Nazigrößen nicht verzeichnet seien.

Von der Polizei war bis zum Redaktionsschluß keine Stellungnahme zu den Vorgängen zu erhalten.

Auf seiner Internet-Seite ( www.karlnagel.de ) faßte der ebenfalls betroffene Nagel seine Eindrücke so zusammen: „Keiner wird sich dafür interessieren, was Du denkst und fühlst, welche Meinung Du vertrittst, wenn Du nur den pawlowschen Nazi-Reflex auslöst. Der Nazi-Verdacht wirkt wie eine Pestfahne, bei der sich auch niemand für die Wahrheit interessiert. Und Du wirst schnell merken, wen Du da vor Dir hast, wenn sie sich erbarmungslos Zutritt zu Deiner Wohnung verschaffen und zur Tat schreiten, um Dein Leben in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Nur weg hier!“


 
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