© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Eine höllische Arbeit steht bevor
Niederlande: Die Integration von Antillianern schafft große Probleme / Fragmentierung statt Multikultur
Martina Kempf

In den 1990er Jahren veranlaßte eine ökonomische Krise auf den Niederländischen Antillen zahlreiche Einwohner zum Auswandern in die Niederlande. Die Niederländischen Antillen in der Karibik sind die letzte Kolonie der Niederlande. Auf den Inseln Curaçao, Bonaire, Sint Maarten, Sint Eustatius und Saba leben insgesamt circa 200.000 Menschen, auf Aruba etwa 62.000. In der holländischen Industriestadt Dordrecht bei Rotterdam mit ihren gut 100.000 Einwohnern nimmt der Anteil der Antillianer jährlich um etwa 15 Prozent zu. Vor drei Jahren wohnten 2.000 in der Stadt, heute sind es 3.000.

Wegen des derzeit anhaltend großen Zustroms der Antillianer in die Niederlande ist die Integration oft ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. In Dordrecht hat man zur Integration von Niederländischen Antillianern alle Anstrengungen unternommen: Es wird für Arbeit, Unterbringung und Unterricht Geld ausgegeben. Wohnungsbaubetriebe, Polizei, gemeindliche Projektgruppen, Schulen: alle arbeiten zusammen, um Antillianer zu begleiten oder auf dem richtigen Pfad zu halten. Dennoch ist es oft verlorene Liebesmüh, meinte das Algemeen Dagblad, die Tageszeitung aus Rotterdam mit einer Auflage von 410.000, am 21. Juli.

Auffallend ist, daß mehr als die Hälfte der antillianischen Kolonieangehörigen in Dordrecht jünger sind als 25 Jahre. „Natürlich haben wir manchmal das Gefühl, daß es ein Faß ohne Boden ist“, meint Nelis Beukenboom, der in der Stadt das spezielle Schulungs- und Arbeitsgelegenheitsprojekt Funeshi („Fundierung“) für die Jugendlichen koordiniert, in der genannten Zeitung. „Da bist du gerade gut beschäftigt, allen zu helfen, und dann kommen jetzt im Juli/August wieder hundert oder sogar zweihundert antillianische Jugendliche neu in die Stadt. Und sie sind auch noch sehr mobil. Nach ein paar Monaten ziehen sehr viele davon wieder in eine andere Stadt. Das ist unheimlich frustrierend.“

Die sieben niederländischen Städte mit dem höchsten Anteil an Antillianern schildern dieses Problem in einem gemeinsamen Amtsführungsbericht: „Der unvorhergesehen große Zustrom setzt die Kapazität des Einbürgerungsprogramms stark unter Druck“, heißt es über Dordrecht. „Es stellt sich als höllische Arbeit heraus, alle Neuankömmlinge gut aufzufangen“. Die Bilanz: In Dordrecht laufen nun mindestens 400 antillianische „Risikojugendliche“ herum, die kriminell aktiv sind. Zusätzlich fünfzig Jugendliche sind hartnäckig kriminell aktiv. Voriges Jahr im September kam es zu heftigen Unruhen im „Antillianer-Viertel“ Krispijn in Dordrecht, in dem vier Prozent der Einwohner von den Antillen kommen.

Die Integrationsprobleme äußern sich in hohem Schulausfall, hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität. In der Kriminalitätsstatistik sind die Allochthonen (die „nicht Einheimischen“ im Gegensatz zu den alteingesessenen Autochthonen) überrepräsentiert. Auf Nummer eins in der Verbrechensstatistik stehen die Antillianer und Arubaner, von denen in einem Jahr mehr als acht Prozent eines Verbrechens beschuldigt wurden. Für alle Niederländer, autochthon und allochthon, liegt der Prozentsatz bei 1,3.

Für diese Probleme seien vor allem die chancenlosen Jugendlichen verantwortlich, die in den letzten Jahren in die Niederlande kamen, meint Roy Pieters, der Vorsitzende des Beratungsorgans Karibische Niederländer, im Algemeen Dagblad. Die Kinder der ersten Generation Antillianer aus den sechziger Jahren hätten sich hingegen gut integriert. Pieters sieht die Lösung für die Probleme in einer besseren Amtsführung bei der Unterbringung: Es müsse eine Ghettoisierung in Konzentrationsgegenden vermieden werden durch eine Verteilung der Neuankömmlinge auf das ganze Land. Nelis Beukenboom vom Fundeshi-Projekt setzt auf ein noch intensiveres Zusammenarbeiten aller Hilfsinstitutionen.


 
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