© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Ein neues Protektorat
Carl Gustaf Ströhm

Warum hat sich der Westen auf dem Balkan so unbe-liebt gemacht? Warum ist es der „westlichen Wertegemeinschaft“ trotz Einsatzes von Milliarden Dollar und Mark, trotz Zehntausender Soldaten nirgendwo gelungen, wirklich Frieden zu stiften? In diesen Tagen konstruiert dieser Westen - nach Bosnien und dem Kosovo - sein drittes „Militär-Protektorat“ in Mazedonien. Schon heute ist klar, daß die slawischen Mazedonier - die bis vor kurzem als ausgesprochen pro-westlich galten - die Nato mit Haß überziehen. Ein britischer Soldat hat dies bereits mit dem Leben bezahlt.

Man habe in seinem Lande das Gefühl, als „herrsche eine unsichtbare Macht über uns, die unser Schicksal bestimmt, ohne daß wir etwas dagegen tun können.“ So formulierte es ein Intellektueller aus Kroatien - und klagte über brutale Eingriffe von Weltbank und Währungsfonds, die ohne Rücksicht auf menschliche Schicksale alles niederwalzten. Der Erzbischof von Sarajevo, Kardinal Vinko Puljic, und der Bischof von Mostar, Ratko Peric, sagten unlängst bei einem Hearing des US-Kongresses, die drei Nationen in Bosnien könnten sich vielleicht schon einigen - würden aber von der „internationalen Gemeinschaft“ daran gehindert. Man ist versucht, die brillante Formulierung des Kulturhistorikers Egon Friedell zu zitieren: „Die Psychoanalyse ist die einzige Krankheit, die sich für ihre eigene Therapie hält.“

Ob das internationale Balkan-Engagement die Probleme wirklich zu lösen hilft, bleibt eine offene Frage. Miroslav Tudjman, Soziologieprofessor und Sohn des ersten kroatischen Präsidenten, sagte schon im Oktober 2000: „Die Anwesenheit von 100.000 Mann Nato-Truppen in Südosteuropa illustriert die Tatsache, daß die Krise ungelöst bleibt“. Und gerade diese Truppenpräsenz wird gegenüber der ahnungslosen westlichen Öffentlichkeit als „Lösung“ und „Therapie“ verkauft.

In Wirklichkeit müßte jedem klar sein, daß nichts gelöst wurde - denn im gleichen Augenblick, da die Nato-Truppen abrücken, geht der Konflikt wieder los. In Mazedonien etwa befindet sich die Nato in einer „Spagat-Situation“: Die beiden Konfliktparteien begrüßen das Nato-Engagement - jedoch aus diametral entgegengesetzten Motiven. Die Albaner wollen unter dem Nato-Schirm ihre Staatlichkeit verwirklichen (was nur auf Kosten des mazedonischen Nationalstaates möglich ist). Die slawischen Mazedonier aber wollen die Nato-Präsenz dazu benutzen, um mit ihren Truppen in die albanischen Rebellen-Gebiete vorzudringen und dort die volle mazedonische Staatsautorität wiederherzustellen. Wie so etwas auf dem Balkan aussieht - dazu bedarf es keiner Phantasie. Auf ausgebrannten albanischen Geschäften in der Stadt Bitola fand sich immer wieder die Aufschrift: „Tod den Skipetaren“.

Vor einigen Wochen soll sich der einstige (unter Clinton) US-Sonderbotschafter Richard Holbrooke als „Privatperson“ in Bulgarien aufgehalten haben, um dort die Möglichkeit einer Teilung Mazedoniens (zwischen Bulgaren, Albaner und Griechen) zu ventilieren. Daß USA und Nato sich inzwischen den Haß der gesamten orthodoxen Welt - von Griechenland bis Rußland - zugezogen haben, ist kein Geheimnis. Die Europäer aber stecken mittendrin.

Um nochmals Tudjman jun. zu zitieren: „Die internationale Gemeinschaft unterdrückt nur den Konflikt oder schiebt den Völkern Schemata auf, die den Interessen und Wertvorstellungen der Amerikaner oder Westeuropäer entsprechen, auf die Argumente der am Konflikt Beteiligten aber keinerlei Rücksicht nehmen.“


 
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