© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Fugen im groben Bau der Welt
Dokumente zum Weg von Ernst Jünger: In der Edition Antaios ist eine Neuauflage der „Schleife“ von Armin Mohler erschienen
Thorsten Thaler

Jeder Literaturliebhaber kennt das Glücksgefühl, wenn man ein vergriffenes Buch nach langer Suche endlich in den Händen halten kann. So mußten die Leser Ernst Jüngers viele Jahre vergeblich nach einem Titel aus der Sekundärliteratur suchen, dem 1955 im Züricher Verlag Die Arche erschienenen Buch „Die Schleife“, in dem Armin Mohler „Dokumente zum Werk Ernst Jüngers“ veröffentlichte. Sammler zahlten für dieses Werk, sofern es überhaupt antiquarisch angeboten wurde, dreistellige Beträge.

Daß der vollständige Werkstattbericht jetzt wieder zugänglich ist, verdankt die Jünger-Gemeinde der Edition Antaios, die 46 Jahre nach der einmaligen Veröffentlichung eine Neuauflage der „Schleife“ besorgt hat. Diese Großtat ist um so bemerkenswerter, als der Verlag erst vor gut einem Jahr gegründet wurde und finanziell nicht auf Rosen gebettet ist. Trotzdem hat es der junge Verleger Götz Kubitschek vermocht, ein beachtliches Programm auf die Beine zu stellen (siehe Kasten auf dieser Seite).

Die Neuauflage der legendären „Schleife“ ist ein kaum zu unterschätzendes Verdienst. Obschon Leben und Werk des 1998 im Alter von 102 Jahren verstorbenen Ernst Jüngers bis in die entlegensten Winkel ausgeleuchtet scheinen (mit Ausnahme der Briefwechsel und Jüngers politischer Publizistik der zwanziger Jahre, die jedoch im Oktober dieses Jahres komplett bei Klett-Cotta erscheint), ist die Lektüre der von Mohler zusammengestellten „Bausteine zu einer Biographie“ Jüngers von hohem Wert. Wenn die Süddeutsche Zeitung mit leicht vorwurfsvollem Ton anmerkt, die Schrift Mohlers sei „das Werk eines Eingeweihten für Eingeweihte“, verkennt sie den Umstand, daß es eine wachsende Schar jüngerer Leser gibt, die den Jahrhundertschriftsteller gerade erst für sich neu entdecken. Im Dickicht der nahezu unüberschaubar gewordenen Sekundärliteratur zu Ernst Jünger kann „Die Schleife“ besonders auch diesem Kreis als Einstieg und Leitfaden dienen.

Den Titel „Die Schleife“ entlehnte Mohler bei Ernst Jünger aus dessen 1938 erschienenem Buch „Das Abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios“. In dem Stück „Die Schleife“ schreibt Jünger, rekurrierend auf Nigromontanus, eine hier erstmals erwähnte fiktionale Gestalt, in der Jünger die geistige Essenz verschiedener Philosophen (Hamann, Nietzsche, Hugo Fischer) verdichtete: „Unter der Schleife verstand er eine höhere Art, sich den empirischen Verhältnissen zu entziehen. So betrachtete er die Welt als einen Saal mit vielen Türen, die jeder benützt, und mit anderen, die nur wenigen sichtbar sind. Wie man in Schlössern, wenn Fürsten erscheinen, besondere, sonst streng verschlossene Portale zu öffnen pflegt, so springen vor der Geistesmacht des hohen Menschen die unsichtbaren Türen auf. Sie gleichen Fugen im groben Bau der Welt, die nur das feinste Vermögen zu durchgleiten vermag, und alle, die sie je durchschritten, erkennen sich an Zeichen von geheimer Art.“

Armin Mohler, der im Juni 1949 mit einer Arbeit über „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932“ promovierte und von September 1949 bis Mitte 1953 Sekretär bei Ernst Jünger war, widmete die „Schleife“ Jünger zu dessen 60. Geburtstag am 29. März 1955; zugleich verantwortete er als Herausgeber die eigentliche Festschrift für den Jubilar mit dem Titel „Freundschaftliche Begegnungen“, zu der neben dem Bruder Friedrich-Georg Zeitgenossen Jüngers wie Gottfried Benn, Martin Heidegger, Carl Schmitt, Friedrich Sieburg und Hans Speidel Gedanken beisteuerten.

In der „Schleife“ zeichnete Armin Mohler als erster „ein zwar vorläufiges, doch die Ganzheit dieses Lebens gut erhellendes Bild“, wie der Jünger-Biograph Paul Noack 1998 ebenso zutreffend wie anerkennend feststellt. Mit seiner Sammlung von Dokumenten beabsichtigte Mohler, Lücken in dem seinerzeit nur bruchstückhaft vorliegenden Werk Jüngers zu schließen und insbesondere Passagen aus jenen Büchern wieder zugänglich zu machen, die aus dem Blickfeld verschwunden waren. Vor allem wollte er die Jugenderinnerungen Jüngers aus dem Buch „Das Abenteuerliche Herz“ retten, das damals zu einer „fast unauffindbaren Seltenheit“ geworden war.

Wie kein anderer Autor hat Ernst Jünger seine „Manie der Bearbeitungen und Fassungen“ kultiviert, wie er selbst in einem Brief 1964 an Ulrich Böhme einräumte. Das gilt besonders augenfällig für das 1929 in nur einer Auflage veröffentlichte Buch „Das Abenteuer-liche Herz“ mit dem Untertitel „Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“, das später als „Erste Fassung“ bezeichnet werden sollte, nachdem Jünger es rigoros umgearbeitet und 1938 durch eine zweite Fassung mit dem Untertitel „Figuren und Capriccios“ ersetzt hatte. Diese zweite Fassung ist nicht nur stark gekürzt - Jünger hat etwa zwei Drittel des Buches umgeschrieben -, sondern weist auch kaum noch Ähnlichkeit mit der Erstfassung auf. Jünger sah die Revision des „Abenteuerlichen Herzen“ später als „Beispiel ... für die Ablösung von expressionistischen durch magisch-realistische Tendenzen“.

Trotzdem sind die „Figuren und Capriccios“ noch als Fassung der „Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ zu erkennen. In beiden Büchern unternimmt Jünger den Versuch, „hinter die Oberfläche der Dinge zu blicken und das dort Gesehene sprachlich zu fixieren“, wie Ulrich Böhme in seiner 1972 erschienenen Studie „Fassungen bei Ernst Jünger“ nachweist. Jüngers Absicht sei es gewesen, nicht die Konzeption, sondern die Formulierung zu verändern. „Was sie verbindet“, schreibt auch Paul Noack, „ist ein Denk- und Anschauungsstil, den Jünger nicht nur entwirft, sondern auch vorführt: die ’magische‘ Sicht der Dinge.“

Jünger selbst hat zu seiner „Manie der Bearbeitungen“ im Nachwort zur ersten Gesamtausgabe vermerkt: „Oft habe ich mich gefragt, was die Unzufriedenheit mit den eigenen Texten bedeuten mag und mit ihr der ameisenhafte Trieb, am beschriebenen und bedruckten Papier herumzuminieren, sobald es mir wieder vor Augen kommt: das Gefühl, daß die Deckung der Aussage mit dem Gemeinten nicht genügt und daß der Satz besser, schlichter und treffender formuliert werden kann. (…) Ein solches Durchgehen der Texte fördert nicht nur ihre Lesbarkeit, sondern überhaupt das Gefühl, daß eine Regel besteht und geachtet wird. Werden darüber hinaus veraltete Wendungen, flüchtige Moden und Manieriertheiten ausgemerzt oder wenigstens beschnitten, so ist auch das ein Gewinn.“

Zur Erstfassung von „Das Abenteuerliche Herz“ schreibt Jünger, daß ihm dieser Text „fremd“ geworden sei. Für Armin Mohler dagegen ist sie das „am unmittelbarsten von menschlicher Wärme erfüllte“ Werk Jüngers, in dem „am vernehmlichsten die Grundmelodie“ seines Lebens klingt. Vollständig verfügbar ist dieser Schlüsseltext erst seit Erscheinen der zwischen 1960 und 1965 publizierten, zehn Bände umfassenden Werkausgabe, in die Jünger auch die erste Fassung des „Abenteuerlichen Herzen“ aufgenommen hat. Als eigenständige Schrift liegt das Buch seit 1987 wieder vor.

Das Herzstück der „Schleife“ ist der noch heute lesenswerte Essay Mohlers „Ein Tag im Leben des Schriftstellers“. In einem Vorspann erkennt Mohler bereits damals hellsichtig, daß von einem bestimmten Grad der Berühmtheit an kein Schriftsteller dem Zugriff auf seine Privatsphäre entgeht. Das Werk allein genügt nicht mehr, der Leser will dem Autor unmittelbar begegnen. Im „Zeitalter der Ersatzreligionen“, so Mohler, wird der Schriftsteller zum Ratgeber und Seelsorger. Dann schildert er am Beispiel eines idealtypischen Arbeitstages Ernst Jüngers, „gegen welchen Widerstand eine moderne Schriftsteller-Existenz sich zu verwirklichen hat“. Ohne Zweifel hat dieser Essay nicht nur zu Jüngers Nimbus des Unnahbaren und „Nichtverwertbaren“ (Heimo Schwilk) beigetragen; als literarisches Glanzstück funkelt er auch aus dem Oeuvre des vorwiegend als politischer Publizist in Erscheinung getretenen Armin Mohlers hervor.

Ergänzt und aufgewertet wird die Neuauflage der „Schleife“ durch ein Nachwort von Tobias Wimbauer, in dem der Freiburger Germanistik-Student unter dem Titel „Kritische Verehrung“ das durchaus wechselhafte Verhältnis zwischen Mohler und Jünger reflektiert. Dabei erweist sich der 25jährige nicht nur als profunder Kenner der Schriften von und über Jünger - Wimbauer verfügt über eines der umfangreichsten Privatarchive in Deutschland zu Ernst Jünger -, sondern ebenso als quellensicherer Interpret der einschlägigen Schriften Armin Mohlers. Auch kann er auf eine seit 1997 geführte Korrespondenz mit dem Ehepaar Mohler zurückgreifen.

Und schließlich hat Wimbauer erstmals den bisher unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Mohler und dem Schriftsteller Erhart Kästner (1904-1974) ausgewertet, der sich in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel befindet. So kann er aus einem Brief Mohlers an Kästner vom 7. März 1950 zitieren, in dem Mohler über Jüngers „Waldgang“ schreibt: „Daß dieses Buch der beste Jünger seit langem ist, das ist auch meine Meinung. Seit dem ’Arbeiter‘ das erste Buch von ihm, das ich ’mit heraushängender Zunge‘ gelesen habe. Jünger war sich erst über die Publikation nicht schlüssig und gab mir das Manuskript zu lesen. Ich legte mich damit auf die Couch und las es in einem Zug in 2 1/2 Stunden. Dabei bekam ich einen ungeheuren Hunger; meine Frau mußte ständig neue Fressalien anschleppen, und unsere Speisekammer leerte sich erschreckend. Dies Argument bestärkte Jünger viel mehr als das, was ich über das Manuskript sagte …“

Zu der ersten Wiederbegegnung Jüngers mit Mohler im Frühjahr 1982 in München - Anfang der sechziger Jahre war es zum Zerwürfnis zwischen den beiden gekommen, weil Mohler Jünger den editorischen Umgang mit seinem Werk ankreidete - zitiert Wimbauer aus einem Brief Edith Mohlers: „Wir freuten uns beide ungemein - so war das Eis gebrochen. Es war ein sehr vergnügter Nachmittag voller Erinnerungen an die alten Zeiten.“ Und von einem späteren Besuch des Ehepaares Mohler bei Jünger und seiner Frau Liselotte in Wilflingen im Oktober 1982 berichtet Edith Mohler in einem Brief an Wimbauer: „Die Oberförsterei hatte nichts von ihrem Charme eingebüßt.“

Daß die Edition Antaios bei ihrer Neuauflage der „Schleife“ auf einen Wiederabdruck der insgesamt fünf Fotos Ernst Jüngers aus der ersten Ausgabe verzichtet hat, ist zwar schade, fällt aber nicht weiter ins Gewicht. Von Bedeutung bleibt, daß die „Schleife“ dem Bild vom Leben Ernst Jüngers und seiner Beziehung zu Armin Mohler eine weitere Schattierung hinzufügt, die man nicht mehr missen möchte.

 

Fototext: Ernst Jüngers Wohnhaus in Wilflingen nach einer Zeichnung von Armin Mohler: „Die Oberförsterei hatte nichts von ihrem Charme eingebüßt“ (Edith Mohler nach einem Besuch im Oktober 1982)

Fototext: Armin Mohler, Gretha und Ernst Jünger im Park des Stauffenbergschen Schlosses (1949): „Kritische Verehrung“

 

Armin Mohler: Die Schleife. Dokumente zum Weg von Ernst Jünger. Neuauflage der Ausgabe von 1955. Mit einem Nachwort von Tobias Wimbauer. Edition Antaios, Bad Vilbel 2001, 176 Seiten, geb., 44 Mark


 
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