© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Hausrecht durch Krawall
Potsdam: Umzug von Hausbesetzern nach Straßenschlacht mit Fußballanhängern in staatlich finanzierte „Wohnprojekte“
Steffen Königer

Nach dem DFB-Pokalspiel des Zweitliga-Aufsteigers Babelsberg 03 gegen Hertha BSC Berlin am vorvergangenen Sonnabend flogen die Fetzen: Potsdamer Hausbesetzer warfen - nach Angaben des Polizeipräsidiums Potsdam - Schottersteine auf Anhänger der Berliner Mannschaft und beschimpften sie als „Nazis“. Bei der Randale wurde niemand verletzt. Ein seit 1994 besetzte Haus, das sich nur 300 Meter Luftlinie vom Karl-Liebknecht-Stadion befindet, wurde anschließend von der Polizei geräumt, Personalien der Bewohner festgestellt, Diebesgut sowie Waffen sichergestellt.

Das Gebäude, das sich im Besitz des Oberlinhauses (einer diakonischen Einrichtung für Kinder, ältere, kranke und behinderte Menschen) befindet, sollte nach Angaben von Friedrich-Wilhelm Pape, dem Direktor, bereits im Oktober letzten Jahres leergezogen sein. Die Atmosphäre zwischen den „Bewohnern“ - die nie einen Mietvertrag besaßen - und der Leitung des Oberlinhauses sei stets freundlich gewesen, wie Pape gegenüber der JUNGEN FREIHEIT betonte. Jetzt haben die Hausbesetzer eine Räumung bis zum 7. September zugesichert.

Der eigentliche Skandal ist jedoch ein Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung vom Juni. Unweit des Zentrums der Landeshauptstadt Brandenburgs soll nun die neue Zentrale der Hausbesetzer entstehen; mit dem Segen des Oberbürgermeisters und SPD-Landeschefs Matthias Platzeck. Lothar Schultes, ein bayerischer Investor, hatte sich seit neun Jahren darum bemüht, ein Hotel anstelle mehrerer abrißreifer Häuser in der Zeppelinstraße, einer der Hauptverkehrsstraßen der Buga-Stadt 2001, zu errichten. Die bislang verursachten Kosten belaufen sich auf 2,9 Millionen Mark. Schultes, wie es heißt ein näherer Bekannter des Potsdamer PDS-Bundestagsabgeordneten Rolf Kutzmutz, wollte 115 Millionen Mark investieren und 200 Arbeitsplätze schaffen. Die Pläne und Anträge lagen der Stadtverordnetenversammlung vor - und wurden abgelehnt.

Statt dessen sollte laut Antrag der grünen Stadtverordneten Saskia Hüneke ein „Kulturzentrum“ geschaffen werden. Dieser Antrag wurde von der SPD, den Grünen und Teilen der PDS angenommen - nach wärmster Empfehlung des „Deichgrafen“ Platzeck.

So kommt der eigens zu diesem Zweck von Hausbesetzern Potsdams gegründete Verein Utopia e.V. zu einem Erbpachtvertrag mit der Stadt. Für 10.000 Mark im Jahr können nun Hausbesetzer weit mehr als 1.000 Quadratmeter nutzen. Sie wollen, wie es auf der Internet-Seite des Vereins heißt: „… die soziokulturelle Durchmischung dieses Stadtteils erhalten und fördern“.

Nach dem Umzug der Besetzer in die Zeppelinstraße hagelte es nun Kritik. Die Hausbesetzer dürften nicht für jahrelanges illegales Wohnen mit der Vergabe von städtischen Gebäuden belohnt werden, so der Vorsitzende der Jungen Union Potsdam, Sebastian Schütze. Das steuerfinanzierte Wohnprojekt sei zu überprüfen, hieß es in einer Pressemitteilung. „Die städtische Sozialpolitik muß bedürftige Familien unterstützen. Dazu gehören nicht Jugendliche, die für nur 42 Mark pro Monat im steuerfinanzierten Hausbesetzerprojekt wohnen wollen.“

Nach den jüngsten Krawallen zweifeln sogar Sozialdemokraten am Sinn des Projektes: der Potsdamer SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Mühlberg schließt sich in Teilen der Kritik der Jungen Union an. Ein Ende des Konfliktes um das bereits von der Polzei geräumte Haus ist nicht abzusehen. Am morgigen Sonnabend plant die Antifaschistische Aktion Potsdam (AAPO) eine Demonstration im Ortsteil Babelsberg. In einer Verlautbarung heißt es, daß die faktische Interessengemeinschaft von Rechtsextremen und Konservativen einmal mehr den Begriff vom rechten Konsens illustriere; dagegen heiße es vorzugehen, denn Angriff sei die beste Verteidigung.

Es bleibt anzuzweifeln, daß Bürgermeister Jann Jakobs (SPD) mit seinen Hoffnungen recht behält: Er sei froh darüber, daß es gelungen sei, den jungen Leuten eine Perspektive zu geben, so Jakobs in einem Interview mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten. „Das bestätigt unsere Strategie der Deeskalation und ist ein Erfolg unserer Bemühungen, allen Hausbesetzern, die legale Verträge eingehen wollen, entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.“


 
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