© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Niedliche Plagegeister
Naturschutz: Deutschlands Ökologie steht unter zunehmendem Druck fremder Arten
Martin Lohmann

Die Globalisierung bringt nicht nur den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Menschen bis in den entlegensten Winkel der Erde mit sich, sondern betrifft ebenso Fauna und Flora. Teilweise unabsichtlich eingeschleppt, teilweise auch bewußt durch den Menschen eingebürgert, etablieren sich ganze Tier- und Pflanzenarten in für sie vollkommen neuen Ökosystemen, unter Umständen mit desaströsen Folgen, bis hin zum Verlust heimischer Arten. Eines des bekanntesten Beispiele dürften die mit den europäischen Einwanderern nach Australien und Neuseeland gelangten Katzen sein, die verheerende Schäden unter den dort weitverbreiteten ausschließlich am Boden lebenden Vogelarten angerichtet haben. Der sich gerade herausbildende Wissenszweig in der Biologie, der sich mit diesem Thema beschäftigt, hat die treffende Bezeichnung „Invasionsbiologie“.

Auch in Deutschland gibt es zunehmend Probleme durch die Einschleppung und Einbürgerung fremder Tierarten. Eine davon ist der Waschbär. Ursprünglich in Nordamerika beheimatet, hat sich dieser inzwischen einen festen Platz in Deutschland erobert. 1934 wurden am hessischen Edersee zwei Waschbärenpaare ausgesetzt, weil sich das verantwortliche preußische Landesjagdamt neben ergiebigen Fellen eine „Bereicherung unserer heimischen Fauna“ davon versprach. Doch fast 70 Jahre später müssen die Wildhüter einsehen, daß der erhoffte Effekt von mehr Vielfalt in der Natur nicht eingetreten ist, sondern unter Umständen sogar von einer Gefahr für das ökologische Gleichgewicht in den betroffenen Gebieten gesprochen werden muß.

Die Nachkommen der damals ausgesetzten Waschbären haben sich rasch den hiesigen Bedingungen angepaßt und sich entlang der Flußtäler und Mittelgebirgszüge über ganz Deutschland ausgebreitet und dabei schon die Grenzen zu den Nachbarstaaten überschritten. Inzwischen jedoch wird deutlich, daß der possierliche Kleinbär nicht nur zum Nahrungskonkurrenten für heimische Tierarten geworden ist, sondern auch noch gleich deren Brut mit auffrißt. Denn der räuberische Allesfresser ernährt sich nicht nur von Obst und Insekten, sondern auch von den Nestern brütender Vögel. Schon schlugen in diesem Jahr die Parkwächter des Kasseler Schloßparks Wilhelmshöhe Alarm: Dort sind erstmals Waschbären gesichtet worden, die verdächtigt werden, für den drastischen Rückgang der Enten- und Schwanenbrut verantwortlich zu sein.

Nun versucht die Gesellschaft für Wildökologie und Naturschutz (GWN) in verschiedenen Feldstudien an den Orten Bad Karlshafen und Kassel, zwei Verbreitungsschwerpunkten des Waschbären, bis Ende dieses Jahres mehr über diesen unbequem gewordenen Zuwanderer zu erfahren, um eine bessere Grundlage für Gegenmaßnahmen in der Hand zu haben. Bislang ist zu wenig bekannt über die Populationsdichten und das Reproduktionsverhalten der eingedeutschten Waschbären. Hier besteht auch dringend Nachholbedarf, denn die Waschbären dringen seit etwa 20 Jahren auch in die urbanen Zentren ein, wo es verstärkt zu Konflikten mit den Menschen kommt. Die verstädterten Waschbären zeigen nur wenig Scheu vor den Menschen und werden anfangs sogar gerne von diesen gefüttert. Doch sobald Mülltonnen und Komposthaufen zerwühlt und Obstbäume geplündert worden sind und auch die Hauskatze das Weite gesucht hat, verschwindet die Sympathie für die niedlichen, aber auch frechen Kleinbären. Spätestens dann, wenn der neue Gast sich im Dachgeschoß eingenistet hat und dort vor allem durch seine Exkremente massive Schäden anrichtet, wünscht sich der Hausherr diesen Plagegeist rasch dahin, wo er hergekommen ist. Hinzu kommen Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Tollwut und den Waschbärenspulwurm, einen gefährlichen Parasiten, der Hirnhautentzündungen auslösen kann.

Der Waschbär wird nicht die letzte zugewanderte Art sein, mit der sich die Wildhüter und Biologen werden beschäftigen müssen. Das Umweltbundesamt schätzt die Zahl der nach Deutschland eingebrachten fremden Tier- und Pflanzenarten auf ungefähr 600. Bislang ist zwar nicht zu erkennen, daß die Folgen ähnlich katastrophal sein werden wie in Australien und Neuseeland, aber Naturschützer beobachten die Entwicklung sehr argwöhnisch, denn die Komplexität ökologischer Systeme macht Prognosen über die Konsequenzen derartiger Eingriffe sehr schwierig. Naturschützer vertreten hier eine konservative Linie, die in dem Einzug fremder Arten eine unzulässige Verfälschung des ursprünglichen Biotops sieht, und werden dafür oft als „Gehölzrassisten“ verspottet. Biologen hingegen vertreten eine liberalere Position und verweisen darauf, daß sich durch die ganze Naturgeschichte ein ständiger Artentausch hinzieht. Zwar kann sich trotz des Drucks fremder Arten das ökologische Gleichgewicht durchaus wieder einpendeln, aber auf einem wesentlich labileren Niveau als vorher. Zweifelsfrei geben uns diese Geschehnisse einen Vorgeschmack darauf, was uns mit der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen erst noch bevorsteht.


 
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