© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Kein Wille zur Tat
Architektur: Die Berliner Republik ringt um die Gestaltung ihres historischen Zentrums
Alexander Barti

In Berlin ist unlängst eine Ausstellung eröffnet worden, die sich mit der historischen Mitte Berlins, genauer: mit dem Schloßplatz, auseinandersetzt. In dem ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR und dem ebenfalls schon nicht mehr aktuellen „provisorischen Sitz des Bundeskanzlers“ kann der Besucher auf zwei Etagen die Ideen und Entwürfe der letzten zehn Jahre begutachten. Der Veranstaltungsort hätte nicht besser gewählt sein können, spiegelt er doch ungewollt das ganze Dilemma der historischen Mitte der Berliner Republik wider: Man tritt ein durch den einzigen noch erhalten gebliebenen Teil der Schloßfassade. Das Fragment wurde von der kommunistischen Zerstörungswut nur deshalb verschont, weil Karl Liebknecht 1918 vom Erker das sozialistische Deutschland proklamierte. Liebknecht konnte sich bekanntlich gegen den Sozialdemokraten Friedrich Ebert nicht durchsetzen.

Schon in den letzten Jahren des Kaiserreiches hatte das Schloß einen Bedeutungswandel vollzogen, der sich in der Weimarer Republik weiter verstärkte: Die politische Zentrale hatte sich fortlaufend in die Ministerien in der Wilhelmstraße und ins Kanzleramt verlagert, so daß das Schloß praktisch nur ein symbolisches Gewicht hatte. Nach dem Zerfall des Zweiten Reiches räumte der letzte Kaiser die 1.200 Zimmer, und eine Vielzahl öffentlicher Vereine und Behörden bezog das Gebäude. Hauptnutzer wurde 1921 das Kunstgewerbemuseum, andere Mieter waren zum Beispiel die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft oder das psychologische Institut der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. In der ehemals kaiserlichen Küche konnten die Studenten der nahegelegenen Universität preiswert zu Mittag essen. Im Dritten Reich spielte das Schloß keine besondere Rolle, einzig den Lustgarten hatte man 1936 gepflastert, um Aufmarschfläche für Kundgebungen zu gewinnen.

Das Schloß mußte einem Demonstrationsplatz weichen

Um so merkwürdiger mutet der Zorn an, mit dem die Vernichtung des Bauwerkes von den Machthabern in der Sowjetischen Besatzungszone beschlossen und durchgeführt wurde. Die „Junkertrutzburg“, so Ulbricht, sollte getilgt werden. Daß das „Neue Deutschland“ ästhetisch dem im Bombenhagel untergegangenen nicht fernstand, beweist die Erklärung Ulbrichts auf dem 3. Parteitag der SED im Juli 1950: „Das Zentrum unserer Hauptstadt muß zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem Kampfeswille und Aufbauwille unserer Volkes Ausdruck finden können“. Kunsthistoriker im In- und Ausland waren entsetzt, aber die Proteste halfen nichts, die Sprengkommandos wurden in Bewegung gesetzt. Während die Wissenschaftler vor Ort mit vollem Einsatz damit begannen, das Gebäude zu vermessen, Skulpturen und andere architektonische Fragmente zu retten, begann am 7. September 1950 der Abbruch. Nach vier Monaten war die Barbarei vollbracht, Berlin hatte seine organisch gewachsene Mitte verloren.

Möglicherweise empfand man in Ost und West die gleiche bedrückende Leere, denn trotz Ulbrichts Diktum begann man bereits 1951 die Bebauung des riesigen Areals zu planen. Ein Hochhaus im Stalin’schen Zuckerbäckerstil, entworfen von Gerhard Kosel, sollte Regierungsgebäude werden. Im Zuge des eskalierenden Kalten Krieges verkam die „Planung für ein Neues Zentrum“ zum ideologischen Grabenkampf.

1957 schrieben der Bundestag und der Westberliner Senat einen Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“ aus, der den Anspruch auf Gesamtberlin unterstreichen sollte. Die DDR reagierte auf diese „Provokation“ und schrieb 1958 ihrerseits einen internationalen Wettbewerb aus zur „sozialistischen Umgestaltung des Zentrums der Hauptstadt der DDR, Berlin“. Die Entwürfe beider Lager gleichen sich in der radikalen Konzeption einer großzügigen, autogerechten Stadt. Die breiten Straßenzüge und monströsen Blockbebauungen, wie man sie heute zum Teil auch noch sehen kann, erinnern unschwer an Albert Speers Entwurf „Reichshauptstadt Germania“ und beweisen eine architektonische Kontinuität, von der man heute wenig wissen möchte.

Bekanntlich hatte der Westen keinen Zugriff auf die Mitte Berlins, so daß er wohl oder übel zusehen mußte, wie die DDR in den sechziger Jahren tatsächlich mit der Neugestaltung des Platzes begann. Das geplante Regierungshochhaus wurde nicht verwirklicht, nachdem mit dem Fernsehturm (fertiggestellt 1969) die gewünschte Höhendominanz - und damit der Vorsprung des Systems Ost - betoniert war. 1964 baute man das Staatsratsgebäude, und im gleichen Jahr begann man mit dem Außenministerium. Für den Verwaltungsblock, der die internationale Souveränität der DDR verkörpern sollte, wurde nicht nur die ehemalige Kommandantur (Unter den Linden 1) neben dem Kronprinzessinenpalais abgerissen, sondern auch die Schinkel’sche Bauakademie. Der langgestreckte, hohe Gebäuderiegel begrenzte ab sofort das Schloßareal nach Westen hin und demonstrierte damit auch die Ostverlagerung des Zentrums. Umrahmt von Staatsratsgebäude (Süden), Außenministerium (Westen) und Alter Nationalgalerie (Norden) entstand so ein nach Osten offenes und vom Fernsehturm dominiertes Areal gewaltigen Ausmaßes. Der Kern des historischen Berlin war praktisch nicht mehr vorhanden, denn auch die bis nach dem Krieg dichte Bebauung östlich des Schlosses (heute: Marx-Engels-Forum) wurde platt gemacht.

Erst spät, 1973, entschloß man sich, auch den Schloßplatz (damals: Marx-Engels-Platz) mit einem repräsentativen Gebäude zu versehen. Möglicherweise spielte bei der Entscheidung der kurz vorher geschlossene Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Saaten eine Rolle. Da Westdeutschland mit dem Vertrag auch theoretisch den Alleinvertretungsanspruch aufgegeben hatte, konnte die DDR-Führung den Prestigegewinn ungestört in architektonische Formen gießen: Das „Volk der DDR“ erhielt sein Parlament, die „Volkskammer“. Aber nicht nur das, der „Palast der Republik“ (fertiggestellt 1976) sollte auch ein „Volkshaus“ sein, in dem die „Arbeiterklasse“ ihre vielfältigen kulturellen Aktivitäten ausleben konnte.

Die Bezeichnung des modernen Gebäudes als „Palast“ war wenig glücklich gewählt, wurde doch damit semantisch an die Vergangenheit appelliert, aber der Popularität des Ortes im „Arbeiter- und Bauernstaat“ tat dies keinen Abbruch. Insgesamt 60 Millionen Menschen tummelten sich in den 13 Restaurants, Cafés, einem Theater, einer Bowlingbahn (!) und einer Diskothek, bis die politische Wende und die diagnostizierte Asbestverseuchung 1990 die Pforten von „Erichs Lampenladen“ bis auf weiteres verriegelte.

Gleich nach der Schließung des Republikpalastes begann die Diskussion um die weitere Gestaltung und Nutzung des Ortes. Daß der Streit um die richtige Lösung so leidenschaftlich geführt wurde und wird, beweist, wie politisch aufgeladen das Stückchen Erde in der Hauptstadt ist. Einen ersten imposanten Höhepunkt erreichte die Debatte, als 1993 die Schloßfassade im Maßstab 1:1 als Folienattrappe von einem Förderverein errichtet wurde. Damit sollte das längst Vergangene wieder greifbar werden und die Harmonie aufzeigen, die einst in der gewachsenen städtebaulichen Komposition spürbar war. Selbsternannte Sprecher der „Ostdeutschen“ polemisierten gegen die „reaktionäre Restauration“ und fürchteten die Beseitigung der „DDR-Identität“.

Nachdem 1993 feststand, daß Berlin wieder Hauptstadt des Bundes werden sollte, kam es zu einer zweiten Ausschreibung eines „internationalen Wettbewerbes zur Neugestaltung des Berliner Zentrums“. Die Architekten sollten sich nicht nur mit der historischen Raumgestaltung auseinandersetzen, verbindlich vorgesehen war auch der Abriß des „Palastes der Republik“ und eventuell der Wiederaufbau von Bauakademie und Kommandantur.

Sehnsucht nach der verlorenen Mitte

1.106 Arbeiten aus über 50 Ländern wurden eingereicht; am Ende wählte die Jury fünf Preise und sieben Ankäufe aus. Den ersten Preis gewann Bernd Niebuhr (Berlin), der die Kubatur des Schloßes aufnimmt und auch die anderen Fluchten wiedererstehen läßt. Der elliptische Innenhof soll „als materialisierte Sehnsucht nach der verlorenen gesellschaftlichen Mitte“ herhalten. Ganz anders das Konzept von Oswald Ungers und Stefan Vieths (Köln); sie möchten den Palast erhalten, aber die Monumentalität in einer weiteren Blockbebauung relativieren. Wilhelm Holzbauer (Wien) sieht die Notwendigkeit der „Rekonstruktion eines zentralen Bereiches, der Berlin seine Identität zurückgeben soll“. Das Eosanderportal mit Kuppel und der zum Lustgarten ausgerichtete Nordflügel sollen daher originalgetreu rekonstruiert werden, den Palast möchte Holzbauer durch Neubauten integrieren.

Auch der zweite Wettbewerb führte zu keinem Ergebnis, der Schloßplatz blieb kahl. Um den Wettstreit nicht erkalten zu lassen, rief man national und international renommierte Architekten auf, Visionen zu entwickeln.

Axel Schultes (Berlin) schlug die „Transformation südeuropäischer Stadträume ins Berlinische vor“. Für Wiel Arets (Heerlen/Niederlande) paßt eine Rekonstruktion nicht zu den „völlig veränderten gesellschaftlichen Bedingungen“. Seine schmalen Baukörper stehen parallel zum Palast der Republik. Sir Norman Foster (London) zeigt sich in seiner Vision völlig unbeeindruckt von den „archäologischen“ Debatten. Er schlägt ein Areal vor, das als multifunktionaler Raum frei bleibt. Bei schlechtem Wetter bedecken große, versenkbare Schirme mit einer Höhe von 30 Metern den Platz. Die Schloßfundamente sollen für Besucher zugänglich sein. Ähnlich gewagt ist die Skizze von Jan Störmer (Hamburg). Er möchte - als Provisorium für die nächsten Jahrzehnte - einen von Wasser umgebenen Platz schaffen, der sich zur Mitte hin absenkt. Dort soll ein „Ort der Ruhe, des Nachdenkens und Philosophierens“ entstehen.

Die Visionen verpufften ebenso wie die vorherigen Wettbewerbe. So kam man auf die Idee, „den Bürger“ an der Entwicklung zu beteiligen. Das Konzept hieß Community Planning, die Initiative gab die Prince of Wales’s Urban Task Force 1997. Die Mitte sollte ein öffentlicher Raum bleiben, der Versöhnung dienen und einen Nutzungsmix ermöglichen, so das Ergebnis der Gremien. Gebaut wurde trotzdem nicht.

Zur gleichen Zeit initiierte der Staat ein „Interessenbekundungsverfahren“, um potentielle Investoren zu gewinnen. Bis Ende Januar 1998 erhielt man 14 Entwürfe. Deutsche Bank, DIL, ECE, Hochtief nahmen erneut die Idee einer Doppellösung auf, indem sie den DDR-Palast in ein rekonstruiertes Schloß integrierten. Die Fundusgruppe schlug schlicht die Totalrekonstruktion vor, während die Unternehmensgruppe Roland Ernst historische Fragmente in viel Glas verpackte. Zu ersten Spatenstichen führte auch das „Interessenbekundungsverfahren“ nicht.

Nach der guten alten Regel, daß man eine Kommission gründen soll, wenn nichts mehr geht, änderten die Beteiligten die Taktik. Im Juli 1999 beschloß der Berliner Senat die Einsetzung einer „Expertenkommission“, die im Oktober 2000 ihre Arbeit aufnahm. Weitere Entwürfe sind seitdem veröffentlicht worden, die nichts wesentlich Neues ergaben. Eine Ausnahme bildet die Konzeption von Christoph Ingenhoven (Düsseldorf), der einen zwanzig Hektar großen „Central Park“ anlegen möchte, um eine „Denkfläche“ zu erschaffen.

Inzwischen ist der „Palast der Republik tot“, wie die Welt unlängst titelte, denn nach Umfragen wollen nur noch 17 Prozent der Berliner den DDR-Bau erhalten. Für den äußerlichen Aufbau des Schlosses stimmen 34 Prozent, das Votum ist also ziemlich eindeutig und dürfte sich auch deswegen nicht verändern, weil die Generation der überzeugten SED-Kader am Aussterben ist. Interessant auch, daß die ehemaligen Palast-Befürworter in die Gruppe der „Central Park“-Lösung gewechselt sind, die mit 32 Prozent ein beachtliches Potential aufweisen kann.

Wie auch immer die Lösung sein wird, es bleibt zu hoffen, daß der Kampf um die Berliner Mitte bald beendet ist, denn der Ist-Zustand mit „rückgebautem“ Palast und wechselnden Rummelbuden ist ein unappetitlicher Anblick. Mit leiser Ironie könnte man aber auch anmerken, das Chaos in der Mitte und die Impotenz zur schöpferischen Gestaltung spiegele den Zustand der bundesrepublikanischen Wirklichkeit aufs trefflichste wider.

 

Historische Mitte Berlin. Schloßplatz. Ideen und Entwürfe 1991-2001. Im Staatsratsgebäude Berlin. Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Dezember 2001 zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos, der Katalog kostet 20 Mark.


 
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