© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Meldungen

Draußen vor der Tür: der optimierte Mensch

BONN. Einen „neuen Kulturkampf“ sieht der Literaturwissenschaftler Wolfgang Frühwald heraufziehen. Angesichts der laufenden biopolitischen Debatte gehe es, so der langjährige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1992-1997), um die Frage, ob sich die Forschungsfreiheit als oberster Wert auch gegenüber der Menschenwürde durchsetze (Forschung&Lehre, 8/01). Obwohl Frühwald klar gegen das „szientistisch-sozialdarwinistische Menschenbild“ Hubert Markls, des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (siehe JF 31-32/01), Stellung bezieht, vermag er das eigene „christlich-kantianische Menschenbild“ kaum zu profilieren. Die massiven ökonomisch-politischen Interessen des gentechnischen „Experimentalismus“ glaubt Frühwald mittels „internationaler Konventionen“ zähmen zu können. Frühwalds Beschwörungen verdecken daher nur unzureichend, daß seine Schreckensvisionen vom „optimierten Menschen“ und der „Auflösung menschheitlicher Vorstellungen“ bereits Wirklichkeit zu werden beginnen.

 

Historie nur noch mit dem Holzhammer

HAMBURG. Als 1995 posthum die Lebenserinnerungen des 1941 der „Endlösung“ zum Opfer gefallenen Breslauer Historikers Willy Cohn veröffentlicht wurden, reagierten manche Leser konsterniert. Deutlicher noch als Victor Klemperer in seinen „Tagebüchern“ wies der Zionist und Sozialdemokrat Cohn darauf hin, wie Juden nach 1918 den Antisemitismus provoziert hätten. Die deutsch-jüdische Historikerin Eva G. Reichmann hätte sich also in ihrer gegen Adorno und Sartre vertretenen Ansicht bestätigt fühlen dürfen, daß Kritik an Juden sich nicht auf die „Vorurteile“ von Nichtjuden reduziere lasse. Trotzdem will man im Hause Reemtsma nicht auf solche Schablonen aus dem Fundus der „Holzhammerhistoriographie“ (Thomas Berchenmacher) verzichten. Dies zeigt Michael Wildts Aufsatz über „Antisemitismus in deutschen Nord- und Ostseebädern 1920-1945“ (Mittelweg 36, 4/01), der ein Kapitel deutsch-jüdischer Alltagsgeschichte auf „Ressentiments“ verkürzt. Wildt, der Material aus dem mit deutschen Beuteakten gefüllten Moskauer Sonderarchiv erschließt, kann in seiner Quellenkompilation zu dem aus Untersuchungen Borkumer Vorfälle bekannten Phänomen wenig Neues beitragen, kündigt aber eine „größere Veröffentlichung zum Bäderantisemitismus“ an, die im Verbund von Reemtsmas Institut für Sozialforschung und der vom SPD-Senat finanzierten Forschungsstelle für Zeitgeschichte entsteht.

 

Wissenschaftskolleg: Mischung der Kulturen

BERLIN. Wenn der Rechtswissenschaftler Dieter Grimm in diesem Herbst in der Nachfolge von Wolf Lepenies die Leitung des Wissenschaftskollegs zu Berlin übernimmt, liegen die Forschungsschwerpunkte des noblen Instituts im Grunewald schon auf Jahre hinaus fest (Nachrichten aus dem Wissenschaftskolleg, 9/01). Nachdem sich die aus aller Welt rekrutierten „Fellows“ zuletzt stark auf „Migration - Minderheiten -Diaspora“ konzentrierten, stehen für 2002/03 „Verfassungsrechte im Vergleich“ sowie für 2003/04 das Thema „Wissenschaft und Öffentlichkeit“ im Vordergrund. Besondere Erwartungen scheint man an den Aufenthalt von Georg Striedter zu knüpfen. Der in Kalifornien lehrende Neurologe wurde eingeladen, um binnen eines Forschungsjahres ein Buch über die Gesetzmäßigkeiten der Gehirnevolution zu schreiben. Auch der Migrationsthematik will man nicht ganz entsagen: Der anglo-jüdische Kulturwissenschaftler Stephan Greenblatt will zeigen, wie sich die Literaturgeschichte von „Nationalmodellen der Entwicklung“ lösen und ihr Augenmerk auf die „Mischung von Kulturen“ richten kann.


 
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