© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Das bürgerliche Lager gewinnt an Konturen
Hamburger Bürgerschaftswahl: Schützenhilfe für von Beust von Stoiber / Schill widersteht Verfemung / Künstlerinitiative läuft ins Leere
H. Stürenburg/ M. Bäkermann

Eine Woche vor der Hamburger Bürgerschaftswahl am 23. September beherrscht der Wahlkampf nahezu das gesamte gesellschaftliche Geschehen in der Hansestadt.

Die hanseatische Union hatte ihren Wahlkampf sehr matt und müde begonnen, täglich fuhren sogenannte Ole von Beust-Teams in extra gemieteten himmelblauen Smarts durch die Stadt, verteilten „Gewinnen mit Ole“-Scheckkarten und ebenso himmelblaue Leuchtbänder fürs Nachtleben. Von Beust selbst lehnte Gasthausversammlungen und Vortragsveranstaltungen ab, reiste lieber von Wochenmarkt zu Wochenmarkt, um sich dort potentiellen Wählern im persönlichen Gespräch zu stellen. Böse Zungen behaupteten, von Beust ziehe Kurzauftritte vor, weil er zu längeren Vorträgen rhetorisch nicht in der Lage sei.

Daß in solchen Aussagen durchaus etwas Wahres steckte, merkte man auch bei der größten CDU-Kundgebung dieses Wahlkampfes. Am Montag machte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber direkt am Alsteranleger in der Hamburger Innenstadt Station und zeigte den matten Hamburger CDU-Vorderen, wie man mitreißende Wahlkampfreden hält. Hamburg war nach Berlin und Niedersachsen Stoibers dritter Testlauf im Norden. Offenbar wollte er erkunden, wie die Reaktion bei den „Nordlichtern“ sein könnte, wenn er nächstes Jahr als Kanzlerkandidat von CDU/CSU antreten sollte. Und der laute Jubel, den ca. 2.500 anwesende „Nordlichter“ dem bayerischen Ministerpräsidenten zuerkannten, läßt vermuten, daß dieser auf seiner Nordtour Hamburg schon einmal für „gewonnen“ erklären kann. Trotz Internetaufrufen war kein einziger Störer am Jungfernstieg erschienen, statt dessen viele gediegen-bürgerliche Hanseaten, meist ältere Leute, aber auch ein paar jüngere. In rund 45 Minuten mit kurzen, prägnanten, ab und zu etwas sarkastischen Sätzen zeigte Stoiber mit Bravour, wie man Herz, Hirn und Bauch der Menschen erreichen kann - wenn man nur will. Der einst als linksliberaler „Junger Wilde“ bezeichnete Bürgermeisterkandidat Ole von Beust wirkte als Vorredner eher wie ein Achtklässler vor seinem ersten Referat, als wie der zukünftige Bürgermeister einer Weltstadt; er kämpfte sich stotternd und verbissen, durch seine 15minütige Rede, bevor endlich Stoiber loslegte. Tenor seiner Worte: Bayern solle ein Vorbild für Hamburg sein, vor allem was Verkehrsinfrastruktur, Bildung und Innere Sicherheit betrifft. Immer wieder betonte Stoiber, falls er in Bayern nur eine halb so hohe Kriminalitätsrate zuließe wie in Hamburg, würden ihm seine Bürger „aufs Dach steigen“; er habe nichts dagegen, wenn eine Partei - wie die CSU in Bayern - lange regierte, aber eine lange regierende Partei müsse auch qualitativ hochwertige Politik betreiben. Dies sei bei der sich in Hamburg seit 44 Jahren an der Macht befindlichen SPD nicht der Fall. Daher müsse nun die Hamburger CDU zusammen mit, so Stoiber, „schwierigen Koalitionspartnern“ für den Wechsel sorgen, wobei die Bayern sie gerne dabei unterstützten. Zwar zeigte sich Stoiber von dem Auftreten Ronald Schills im politischen Spektrum nicht begeistert, meinte aber, die CDU habe das Thema Innere Sicherheit zu spät entdeckt und offenbar zu brav und zu folgenlos thematisiert. Ab und zu müsse man durchaus „marktschreierisch“ agieren. Dieser Seitenhieb in Richtung der Hamburger CDU saß; Ole von Beusts und Dirk Fischers Applaus erstarb umgehend. Weiter verteidigte Stoiber Schill und lehnte es ab, ihn und seine Partei in eine „rechtsradikale“ oder „faschistische“ Ecke zu stellen. Zwar sei die Schill-Partei ein Kind der verfehlten SPD-Innenpolitik, aber die CDU habe sich dieses Themas eben fehlerhaft angenommen.

Die Zuhörer, darunter viele CDU-Mitglieder, aber auch politisch interessierte Menschen ohne schwarzes Parteibuch, dankten Stoiber seine deutlichen Worte mit minutenlangem Beifall. „Stoiber muß Kanzler werden“, hörte man nach der Veranstaltung aus vielen Mündern. Nun aber steht erst mal Ole von Beust zur Wahl als möglicher erster Bürgermeister von Hamburg. Und für den herrscht in der Hansestadt wesentlich geringere Begeisterung als für den erfolgreichen bayerischen Landesvater.

Wer der eigentliche Politprofi des Wahlkampfes ist, zeigte sich dagegen auf den Veranstaltungen des Neulings Ronald Schill. Nachdem er sich anfangs bei den anwesenden Störern noch im Ton vergriff und sie als „asoziales Pack“ bezeichnete, hat der von der politischen Gegenseite als „Richter Gnadenlos“ bezeichnete Politiker dazugelernt. Mit welcher Eloquenz er bei der NDR 3-Talkshow am 10. September seine politischen Kontrahenten, aber auch die potenziellen Koalitionspartner von CDU und FDP vorführte, war für einen politischen Anfänger erstaunlich. Antje Radtke von den Grünen und der Innensenator und Hamburger SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz konnten sich nicht entscheiden, Schills Aufzählung der Fakten oder seinen angeblichen Populismus zu beklagen und erschöpften sich letztlich in persönlichen Angriffen. Die sonst übliche Parteinahme des Moderators unterblieb.

Auch die Initiatve der Kunst- und Kulturschaffenden gegen Schill hat bislang den erhofften Effekt, einen Aufstand „gegen rechts“, nicht erreicht. Allzu offensichtlich ist die Parteinahme für die SPD von Personen wie Udo Lindenberg, Volker Lechtenbrink und Marius Müller-Westernhagen. Auch der um die Zukunft der Hansestadt ach so besorgte Wahlamerikaner Hardy Krüger hat nicht gerade die Glaubwürdigkeit auf seiner Seite und bei Schauspielern wie Uwe Friedrichsen ist die Vermutung naheliegend, daß hier nur eigene Pfründe verteidigt werden.

Erstmalig spricht ein Politiker aus dem rechten Lager verschiedene Gesellschaftsschichten an, sei es in klassischen Arbeiterbezirken wie Hamburg-Wilhelmsburg und Billstedt oder in Stadtteilen wie Harvestehude und Blankenese. Die SPD muß um ihr hanseatisch-bürgerliches Wählerklientel fürchten, verströmt auch ihr Spitzenkandidat Ortwin Runde eher den politischen Stallgeruch, der in Städten wie Duisburg oder Dortmund bei der Wählerschaft ankommen mag. Den etwas arroganten, betulichen Hanseatencharme eines Henning Voscherau oder Helmut Schmidt kann man dagegen nur bei Ronald Schill entdecken.

Nach den letzten Umfragen hat sich die Mehrheit des „bürgerlichen Lagers“ nicht weiter ausbauen können, doch liegt in der Hansestadt Hamburg wegen der neuen Kraft Schill eine selten erlebte Spannung in der Luft, die einen Regierungswechsel nach über vierzig Jahren möglich machen kann.


 
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