© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Katastrophe für Sozialdemokraten
Norwegen: Nach den Parlamentswahlen ist eine bürgerliche Koalition mit der Fortschrittspartei möglich
Audunn Arnórsson

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei Norwegens (AP) hat beiden Wahlen zum norwegischen Parlament, dem Storting, vergangenen Montag ihr schlechtestes Ergebnis seit 1924 erzielt: Mit 24,4 Prozent der Stimmen büßte die AP ein Drittel ihrer Wählerschaft ein. Der Stimmenanteil der traditionell mit Abstand größten norwegischen Partei ist seit den letzten Wahlen vor vier Jahren um rund 10,6 Prozentpunkte zurückgegangen. Wahlsieger wurden die konservative Partei Høyre (wörtlich: „Rechts“), die 21,2 Prozent (plus 6,9) erzielte, und die linke Sosialistisk Vestreparti (SV), die um 6,5 Prozent zulegte und jetzt auf 12,4 Prozent kommt.

Die rechte Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei, FRP) von Carl I. Hagen, die vor einem Jahr in Umfragen kurzzeitig die populärste Partei des skandinavischen Landes war (JF 38/00 berichtete), hat mit 14,7 Prozent der Stimmen 0,6 Prozent weniger bekommen als 1997, jedoch ein Mandat dazugewonnen und wird drittstärkste Kraft im Parlament mit 26 Abgeordneten. Trotz dieser deutlichen Niederlage hat Jens Stoltenberg, Ministerpräsident der sozialdemokratischen Minderheitsregierung, in der Wahlnacht seinen Rücktritt nicht erklären wollen, da sich seiner Meinung nach keine eindeutige Regierungsalternative abzeichne. Er hat den Wortführer der christdemokratischen Kristelig Folkeparti (KrF) und ehemaligen Ministerpräsidenten Kjell Magne Bondevik gebeten, Regierungszusammenarbeit mit den Linksparteien (die zusammen 36,8 Prozent erzielten) in Betracht zu ziehen.

Doch die KrF, die auf 12,4 Prozent kam, ist mit zwei anderen Mitte-Parteien in einem Wahlbündnis alliiert, das zusammen auf 21,9 kommt: die Senterpartiet (SP, Zentrum, „Agrarpartei“) erzielte 5,6 Prozent und die „grün-liberale“ Venstre kam mit 3,9 Prozent nur Dank des Wahlbündnisses über die Vier-Prozent-Hürde. Bondevik, dessen 1997 gebildete Minderheitsregierung Stoltenberg im März 2000 zu Fall brachte, hat allerdings zunächst wenig Interesse für diese Offerte des Sozialdemokraten gezeigt. Doch der 53jährige im Volk beliebte Theologe Bondevik wird mit der geschrumpften Wählerunterstützung des hinter ihm stehenden Zentrumsblocks keine Neuauflage der Regierung dieser Parteien bilden können, wie er sich es wünschen würde. Zusammen haben jedoch Høyre, KrF und die Fortschrittspartei 86 Abgeordnete und damit eine absolute Mehrheit im 165-sitzigen Storting. Also ist eine Koalition dieser drei Parteien die aussichtsreichste Regierungsalternative. Am Wahlabend hat der 55jährige Jan Petersen, Vorsitzender von Høyre, sogleich vorgeschlagen, daß Høyre, KrF, die Fortschrittspartei und eventuell Venstre Regierungsbildungsverhandlungen aufnehmen sollten. Bondevik hat vorerst nichts darauf antworten wollen, aber Carl I. Hagen erklärte optimistisch am Wahlabend: „Jetzt haben wir eine Grundlage für einen Regierungswechsel, welchen der Fortschrittspartei Einfluß geben wird.“ Damit hat er genau das gesagt, worauf Petersen gehofft hatte; die Fortschrittspartei ist bereit, Høyre zur Macht zu verhelfen, ohne auf direkte Regierungsbeteiligung zu bestehen. Schon vor der Wahl ist in den Medien darauf spekuliert worden, daß Høyre und KrF eine Koalitionsregierung bilden könnten, wo Bondevik Ministerpräsident und Petersen Außenminister würden und die Parlamentsmehrheit durch eine Absprache mit der Fortschrittpartei gesichert würde.

Der in linksliberalen Medien als „Rechtspopulist“ verschriene Carl I. Hagen könnte bei diesem Szenario zum Parlamentspräsidenten gewählt werden und somit seine lange parlamentarische Karriere zu einem unerwarteten Höhepunkt bringen. Doch die theoretische Mitte-Rechts-Mehrheit birgt auch Konfliktpotential: Die christlich-soziale KrF hat im Wahlkampf mehr Geld für Ausbildung, Altersfürsorge und Entwicklungshilfe versprochen. Die EU-freundliche Høyre will die Budgetposten für Ausbildung, Straßenbau und Verteidigung erhöhen und die Entwicklungshilfe kürzen. Die Fortschrittpartei ist gegen einen EU-Beitritt, sie will die Zahl der Einwanderer und die Entwicklungshilfe reduzieren.Die Steuern und Abgaben sollen drastisch gesenkt werden - mit Hilfe der Erdöl-Milliarden. Die liberale Venstre hat im Wahlkampf versucht, sich als „grüne“ Partei zu verkaufen. Sie fordert eine einheitliche Einkommenssteuer („flat tax“) von rund 30 Prozent. Sie will allen Studenten Gehalt zahlen und die Zahl der Arbeitsimmigranten erhöhen.

Vehement gegen einen EU-Beitritt ist übrigens auch die SP unter Odd Roger Enoksen. Die „Agrarpartei“ kämpft gegen Zentralisierung und für die Subventionen an Bauern und Fischer. Andererseits sieht sich die SP auch als „grüne“ Umwelt-Partei, ist für alternative Energiequellen und internationale Umweltabkommen. Interessant ist, daß die Wahl die 26-jährige, aus Pakistan stammende Afshan Rafiq als erste ethnisch nicht-europäische Abgeordnete ins Storting bringt. Für die „rechte“ Høyre-Partei.


 
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