© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Masochistische Würdelosigkeit
Religion: Katholische Kirche überläßt Polen deutsche Kirchenbücher
Detlef Kühn

Anfang dieser Woche reiste der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, zu seinen Glaubensbrüdern nach Polen. In seinem Gepäck befand sich ein wertvolles Gastgeschenk - ein Vertrag, den sein Gastgeber, der polnische Kardinalprimas Glemp, gern unterschreiben wird. Danach werden demnächst 3.661 Kirchenbücher ehemals deutscher katholischer Gemeinden vorwiegend in Ost- und Westpreußen, die bei Kriegsende in den Westen Deutschlands gelangt waren und sich bislang im Bischöflichen Zentralarchiv in Regensburg befanden, der Republik Polen überlassen und in Zukunft in den Archiven der (Erz-)Bistümer Allenstein und Elbing, Danzig, Gnesen, Lyck, Pelpin, Stettin-Kammin, Thorn, Leslau und Plock zu suchen und, so Gott will, auch zu finden sein.

Die Aktion ist von der Kirche und dem offenbar informiert gewesenen Kulturstaatsminister Nida-Rümelin als „geheime Kommandodache“ vorbereitet worden. Erst eine Woche vor der Reise Lehmanns erschien im Trierer Bistumsblatt Paulinus eine Kurzmeldung, die allerdings wegen der Terrorakte in New York und Washington keine Beachtung fand. Ansonsten wurden über das Vorhaben weder die deutsche Öffentlichkeit noch insbesondere die betroffenen Vertriebenenverbände und genealogischen Vereine unterrichtet. Im Gegenteil - nur zwei Wochen vorher wurde der Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam, Klaus Neitmann, von wem auch immer dazu mißbraucht, eine - wie jetzt deutlich wird - falsche Fährte zu legen. In einem Artikel in der Kulturpolitischen Korrespondenz des Ostdeutschen Kulturrats vom 30. August 2001 über deutsch-polnische Archivalienprobleme erklärte der offenbar gutgläubige Experte, „selbst Polen hat den Bezug der Archivalien auf die deutsche Bevölkerung wenigstens in einem Punkt anerkannt, indem es nicht mehr die Abgabe der evangelischen und katholischen Kirchenbücher verlangt - hier ist allzu deutlich, daß die Nachfahren der darin aufgeführten Personen nicht mehr in ihren Heimatorten östlich von Oder und Neiße leben, sondern ihre Existenz in den deutschen Nachkriegsgrenzen haben aufbauen müssen.“ Zu dieser Zeit muß schon verabredet gewesen sein, daß die strittigen Kirchenbücher doch nach Polen kommen, zwar nicht in staatliche, aber in kirchliche Archive, was für die Deutschen kaum einen Unterschied macht.

Für viele Heimatvertriebene und ihre Nachkommen ist die Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz eine Katastrophe. Kirchenbücher sind unbestritten von großer Bedeutung für Familienforscher, Nachlaßgerichte und viele sozialgeschichtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus sind sie aber auch, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, gerade für Vertriebene „bis heute die Nabelschnur, die sie mit ihren Vorfahren in der fernen Heimat verbindet.“ Für die dort jetzt lebenden Polen, die erst nach 1945 angesiedelt wurden, haben die Kirchenbücher die emotionale Bedeutung naturgemäß nicht. Sie könnten sich, wenn sie historisch interessiert sind, ohne Probleme mit Verfilmungen behelfen, wie es nun von den Deutschen verlangt wird. Warum legt die polnische Seite überhaupt Wert auf die Kirchenbücher? Neben kaum nachzuvollziehenden kirchenrechtlichen Begründungen („Die einen werden vertrieben, andere kommen, die Kirche bleibt. Und mit der Kirche auch die Kirchenbücher. So ist es recht“, beschreibt die FAZ die Meinung kirchlicher Würdenträger), geht es auch um die Möglichkeit, mit Auskünften aus den Kirchenbüchern Deviseneinnahmen zu erzielen. Auch die polnische Kirche hat halt immer noch einen großen Magen. Die Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz entspricht dagegen in ihrer masochistischen Würdelosigkeit einem Zeitgeist, gegen den sich die katholische Kirche in anderen Fällen mit guten Gründen wendet. Für Bemühungen Deutschlands, falls sie überhaupt noch unternommen werden, in Polen und Rußland die Rückgabe deutscher Kulturgüter zu erreichen, ist sie ein böses Omen. Vorleistungen dieser Art werden nie honoriert, sondern führen nur zu weiteren Forderungen an die offenkundig einfältigen Deutschen.

 

Detelf Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.


 
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