© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Von der Ruhezone zum Zielobjekt
Terrorismusbekämpfung: Die deutschen Geheimdienste sind unzureichend gerüstet
Matthias Bäkermann

Deutschland muß gegenüber den USA uneingeschränkte Solidarität zeigen.“ Der Kampf Seite an Seite mit dem „großen Bruder“ soll, so zogen es Kanzler Schröder und sein Vize Fischer am vergangenen Wochenende ins Kalkül, sogar die militärischen Operationen „out of area“ beinhalten. Dabei ähnelt jeder militärische Aktionismus dem Boxhieb in einen Mückenschwarm, da man der wirklich Schuldigen am Terror nur schwer habhaft werden kann. Der Kampf muß deshalb auch an anderen Fronten stattfinden, besonders an der „unsichtbaren Front“ der Geheimdienste.

Viele Gazetten und noch mehr selbsternannte Islam-, Extremismus-, und Terrorismusexperten beklagten, kaum nachdem sich der Staub der zusammenstürzenden Zwillingstürme des WTC in New York gelegt hatte, das totale Versagen der amerikanischen Geheimdienste. So hätte gerade die Central Intelligence Agency (CIA) mit ihrem weltweit operierenden, personenstarken Apparat die Zeichen des geplanten Anschlages erkennen müssen, jedoch wenigstens dem besser informierten französischen Geheimdienst oder besser gleich dem Mossad Gehör schenken sollen. Die für innere Sicherheit der USA zuständige Geheimdienst National Security Agency (NSA) oder die oberste Polizeibehörde (FBI) hätten demnach sowieso in weitestgehender Ahnungslosigkeit verharrt.

Sicherlich ist die vielleicht laxe und hemdsärmelige Arbeitsweise der Amerikaner von dem in Hollywood portraitierten Idealbild des Superagenten weit entfernt, doch sprechen diese „Experten“ von Geheimdiensten, deren Etat allein für die CIA den Verteidigungsetat der Bundeswehr um mehr als ein Viertel (über 25 Milliarden Dollar) übersteigt.

Deshalb stellt sich die Frage, wie dann Deutschlands Beitrag aussehen könnte, abgesehen vom militärischen Bereich auch im speziellen „Kampfeinsatz der Agenten“. Wie die Amerikaner haben auch wir verschiedene Organisationen für unterschiedliche Aufgabenbereiche. Als klassischen Auslandsgeheimdienst gibt es den Bundesnachrichtendienst (BND), dessen Aufgabe die Sammlung und Auswertung von Informationen über das Ausland ist, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für Deutschland sind. Der BND ist die Nachfolgeorganisation der 1956 gegründeten „Organisation Gehlen“, deren namengebender erster Chef Reinhard Gehlen im Zweiten Weltkrieg noch „Fremde Heere Ost“ beobachtete. Der BND untersteht dem Kanzleramt, welches auch gleichzeitig die Schnittstelle zu den anderen Geheimdiensten ist. Über Umfang und spezielles Aufgabenfeld gibt es für Außenstehende keine Informationen. Die einzige Aussage der Pressesprecherin Michaela Heber gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bestand darin, zu keiner aktuellen und strategischen Frage eine Stellungnahme abzugeben. Die Koordination mit den anderen Diensten funktioniere ihrer Aussage nach problemlos.

Mit diesen „anderen“ sind der Militärische Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeint. Ersterer untersteht dem Verteidigungsminister und ist Teil der Streitkräfte, mit dem Ziel der Sicherung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Terrorabwehr ist hier eher peripher und auf das Militärische beschränkt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist der Inlandsnachrichtendienst und untersteht Innenminister Otto Schily. Hauptaufgaben sind die Sammlung extremistischer und sicherheitsgefährdender Bestrebungen von Deutschen und Ausländern, auch gegnerischer Nachrichtendienste, auf dem Territorium der Bundesrepublik. Die aufgrund der föderalen Struktur existenten Landesämter für Verfassungsschutz sind zur Zusammenarbeit mit der Bundesbehörde verpflichtet.

Da nun die Agenten des BND nur für das Ausland und der MAD nur für das Militär zuständig ist, verstärkt die innere Sicherheit selbstverständlich noch die Polizeibehörden wie das Bundeskriminalamt (BKA) und die entsprechenden Landeskriminalämter, die ebenfalls den Innenministern unterstehen. Welche finanzielle Potenz die jeweilig zuständigen Organisationen haben, kann man leicht an der jeweiligen Budgetierung des Bundes- oder der Landeshaushalte ermessen, im Vergleich zu den Amerikanern dürften diese geringfügig sein, obwohl Geld nicht gleichbedeutend mit Qualität sein muß.

Um die Untersuchungen mit dem momentan akuten Problem des islamistischen Terrorismus einzuschätzen, kann man sich des Berichtes 2000 vom Bundesamt für Verfassungsschutz bedienen. Hauptaugenmerk des Berichtes gilt dem Problem des Extremismus, insbesondere dem Rechtsextremismus, der in dem 286 Seiten immerhin auf 96 Seiten Platz findet. Dem ausländischen Extremismus widmet sich der Bericht auf 47 Seiten, darin sind jedoch die meisten Ausführungen über die linksextremistischen Aktivitäten der hier lebenden Kurden und Türken. Das nichtstaatliche, islamistische Gewaltpotential findet im deutschen Verfassungsschutzbericht 2000 auf einer ganzen Seite Raum, wobei die arabischen Mudschaheddin im Vordergrund stehen und auch der Name Osama bin Laden erwähnt wird. Daß Deutschland laut Expertenmeinung aufgrund der wenig intensiven Beobachtung für die islamistischen Terroristen als „Ruhezone“ betrachtet wird, ist bei dem niedrigen Verfolgungsdruck nicht weiter erstaunlich, denn auch bei den Landesverfassungsschützern ist die Gewichtung der Beobachtungsfelder ähnlich.

Es bleibt zu hoffen, daß Deutschland in Zukunft an dieser „unsichtbaren Front“ etwas bessere Ergebnisse präsentieren kann, ansonsten können die USA auf eine deutsche Solidarität getrost verzichten. Den Deutschen bleibt nur die Hoffnung, daß die „Ruhezone“ auch Ruhezone bliebe, ansonsten könnte der eifrigste der amerikanischen Bundesgenossen selbst Zielobjekt des islamistischen Terrorismus werden. Dabei ist dann zu berücksichtigen, daß die moslemische Minderheit in Deutschland nicht unbeträchtlich ist, in deren Schoß sich Extremisten „wie der Fisch im Wasser bewegen könnten“.

Neben dem Vorteil der besseren logistischen, personellen und finanziellen Ausstattung haben die amerikanischen Geheimdienste den deutschen Kollegen noch etwas voraus - die Vereinigten Staaten sind von zwei Ozeanen umgeben. 


 
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