© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Zeitschriftenkritik: Streifzüge
Theorie ist Telos
Werner Olles

Seit Anfang 1996 erscheint in Wien die Vierteljahreszeitschrift Streifzüge. Zukünftig ist allerdings ein dreimaliges jährliches Erscheinen geplant, wobei sich am Gesamtseitenumfang von ungefähr einhundert Seiten jedoch nichts ändern soll. Als Herausgeberin fungiert „Context - Initiative für freie Studien und brauchbare Informationen“, während als sogenannter Medieninhaber ein „Kritischer Kreis - Verein für gesellschaftliche Transformationskunde“ zeichnet. Nach dem Abgesang der Linken will man hier einen Beitrag zur Neuformierung einer emanzipatorischen Kraft in Österreich leisten und versucht sich „abseits von Traditionalismus und Postmodernismus an einer wertkritischen Durchleuchtung der verschiedensten Themen“.

Die Streifzüge beschäftigen sich vorrangig mit den widersprüchlichen Entwicklungstendenzen der Modernisierung des kapitalistischen Systems. Mit politisch-philosophischen Texten marxistischer Einzelgänger und -kämpfer werden kritische Überlegungen zu Varianten und Perspektiven der schlechten Realität der heutigen Warengesellschaft und zum Aufstand der An- und Widerständigen angestellt. Dabei bemühen sich die Autoren in ihren studierenswerten Aufsätzen weniger, als moralische Sieger hervorzugehen, sondern entfalten - nach der Devise: Theorie ist Telos - einen argumentativen Furor, der wahrlich keinen Stein auf dem anderen läßt.

Für die pseudodemokratischen Spießer der Neuen Mitte und der postmodernistischen Lifestyle-Linken sind diese ausführlichen sozialpsychologischen und historisch fundierten Gegenwartsanalysen ganz gewiß kein Genuß. Aber auch „Rechte“, Konservative und Nationalisten werden hier mit Alternativen zur Welt der Kapitalismen, der Märkte und Staaten konfrontiert, die nicht unbedingt leicht zu verkraften sind und ihnen möglicherweise sogar gehörig auf den Magen schlagen.

Dennoch lohnt sich die Lektüre und die Auseinandersetzung mit den hier vorgestellten Gedanken. Was Franz Schandl beispielsweise über die „Ökonomie der Beschleunigung“ und die „Liquidierung des Raums zugunsten der Zeit“ schreibt, die das „Volk ohne Raum“ in ein „Volk ohne Zeit“ verwandelt haben, oder über die Geschichte des Kapitalismus als eine „Geschichte allgemeiner Mobilmachung“, und Robert Kurz über „die stets geleugnete innere Identität von Liberalismus, Sozialdemokratie und Nazismus“, könnte durchaus auch aus der Feder eines rechten Kritikers der spätkapitalistischen Spaßgesellschaft geflossen sein.

Es gilt also die Totalität der postmodernen Gesellschaft mitsamt ihren negativen Erscheinungen systematisch aufzudecken, andererseits aber eine positive Totalität als utopischen Fluchtpunkt der eigenen Theorien anzupeilen. Dazu dient der Zeitschrift neben der traditionellen auch die Kritische Theorie, vor allem aber die Auseinandersetzung mit dem logischen Positivismus, dem liberaldemokratischen Pragmatismus, der wertfreien Soziologie, der negativen Dialektik und dem kritischen Rationalismus. 

Kritischer Kreis, Margarethenstr. 71-73/23, A-1050 Wien. Einzelpreis: 3.-Euro, Jahresabo: 12.-Euro


 
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