© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
CD: Klassik
Leichtigkeit
Julia Poser

Die englische CD-Firma Opera Rara nimmt seit dreißig Jahren einen Spitzenplatz bei der Wiederentdeckung des Opernrepertoirs des 19. Jahrhunderts ein. Der Musikliebhaber findet vernachlässigte und vergessene Meisterwerke, die auf höchstem künstlerischen Niveau produziert werden: Opern von Rossini, Donizetti, Mayr, Mercadante, Pacini und anderen. Die Namen der Sänger lesen sich wie ein „Wer ist wer“ des Belcanto. Neben Operngesamtausgaben bringt Opera Rara auch Soloaufnahmen einiger ihrer besten Künstler.

Als vor vierzig Jahren Maria Callas den lange vergessenen „canto fiorito“, den Ziergesang Rossinis oder Donizettis wiederentdeckte, hatte sie keine Tenorpartner, die ihr gewachsen waren - Bässe auch nicht. Erst in den achtziger Jahren tauchten Tenöre auf, welche die schwierige Technik des leichten, beweglichen Gesangs beherrschten. Einer dieser wenigen Sänger ist der Italiener William Matteuzzi. Den englischen Vornamen gab ihm seine Mutter, die für den Schauspieler William Holden schwärmte. „Ferme tes yeux“ (Schließ deine Augen) heißt die kürzlich erschienene CD, auf der Matteuzzi sein Können zeigt. Ihre hervorstechenden Merkmale sind die technisch perfekte Leichtigkeit, sein enormer Tonumfang und eine besondere Eleganz in den volltönenden kantablen Passagen. Dazu kommt eine intelligente Texterfassung, die er in jeder der dreizehn unterschiedlichen Arien und Ensembles auf dieser CD vorführt.

Aus dem fast unbekannten „Le Comte Ory“ von Rossini singt Matteuzzi mit souveräner Virtuosität den als Nonne verkleideten Grafen Ory, der im Schutz der Nacht ins Schlafzimmer der umworbenen Gräfin eindringen möchte. Im Bett der Gräfin ist aber bereits sein junger Page gelandet, an dem nun Ory seine Verführungskünste versucht. Dieses Terzett ist ein kleines Meisterwerk, in dem neben Matteuzzi auch Elisabeth Scano und Enkeleijda Shkosa in Hochform sind. In „Il Viaggio a Reims“ von Rossini hören wir ein lebendiges Eifersuchts- und Versöhnungsduett, in dem der Tenor seine tiefe Reue mit „D’alma celeste“ (Himmlische Seele) bekundet. Daß die Oper „La Muette de Portici“ (Die Stimme von P.) von Francois Auber in Deutschland so gut wie unbekannt ist, liegt am ungerechten Vorurteil Mendelssohns und Schumanns, die Aubers Musik für oberflächlich hielten. Diese Oper von 1828 enthält eine Vielzahl herrlicher Melodien, so daß sie in Frankreich zu einem sensationellen Erfolg wurde.

Matteuzzi in der Partie des historischen neapolitanischen Fischers Masaniello beruhigt seine stumme Schwester Fenella, die vom Sohn des spanischen Vizekönigs verführt wurde, mit der Arie „Ferme tes yeux“. Zart wie ein Wiegenlied und mit wunderbaren Legatobögen singt Matteuzzi die Phrase „séche les larmes“ (trockne die Tränen). Ein großartiges Tenorduett stammt aus Michele Carafas „Gabriella di Vergi“, in welchem Matteuzzis strahlend heller Tenor dem baritonalen Tenor von Bruce Ford gegenübersteht.

Sowohl die französisch gesungene Romanze des Tonio aus Donizettis „La Fille du Regiment“ als auch das Rondo des Postillon de Lonjumeau von Adam zeigen die großen stimmlichen Qualitäten Matteuzzis. Ein Terzett von Pacinis „Alessandro nell Indie’“ sowie ein mitreißendes Quartett aus Donizettis „II Castello de Kenilworth“ bringen große Momente italienischer Opern. Als köstlichen Schluß eine heitere Ariette aus Offenbachs Operette „Le Pont des Soupirs“ (Die Seufzerbrücke): „Ah! Qu’il était doux mon beau réve“ (Wie süß war meinschöner Traum) bringt Matteuzzi in rythmisch lockerem Parlandoton.

William Matteuzzi, der ein Repertoir von beinahe fünfzig Belcanto-Partien beherrscht, hat sich leider viel zu früh von der Bühne zurückgezogen. Seinen Verehrern kann man nur raten: „Ferme tes Yeux“ und lauscht dieser einmaligen Stimme. 


 
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