© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Bevölkerungstribun
Ausstellung: Hans Haackes „Mia san mia“ in Wien
Frank Philip

Vor blaudunstigen Bergen schweben zwei Rößlein, ein schwarzes und ein blaues, umstrahlt von Abendsonnenstrahlen und umschlungen von einem blauen Band mit Frakturaufschrift. „Mia san mia“, hat der berüchtigte Konzeptkünstler Hans Haacke seine neueste Anklage gegen die Österreicher und ihr Selbstverständnis betitelt. Das Werk ist Teil einer kleinen Retrospektive in der Wiener Stiftung des Versicherungskonzern Generali. Haacke hat das Motiv der Rosen den Kärntner Freiheitlichen abgekupfert, es vor Berge montiert und den Kontext korrekt gezimmert: Wo Alpentäler sind, da wartet Faschismus hinter jedem Felsen, glaubte der Künstler und stellte seinem Plakat als oberlehrerhaften Fingerzeig eine Werbung für den Film „Heimaterde“ aus dem Jahr 1941 zur Seite. Man weiß ja: „Heimat“ und „Erde“ sind für den 1938 in Köln geborenen Künstler Reizwörter allerersten Ranges. Sie entzünden geradezu missionarisches Feuer in ihm.

Einen persönlichen Triumph feierte Haacke, als er im vergangenen Jahr im Berliner Reichstag den gigantischen Komposthaufen aufstellen und mit offizieller Erlaubnis des Bundestages - ausschlaggebend waren die Voten von Rita Süssmuth und der CSU-Politikerin Renate Blank - mit Leuchtbuchstaben „Der Bevölkerung“ weihen durfte. Die Zustimmung von 260 gegen 258 Abgeordnete war zwar knapp, und das Ergebnis hatte auch gezeigt, daß noch immer nicht alle Abgeordneten das deutsche Volk als eine rein zufällige Ansammlung von Individuen ansahen. Dagegen durfte Haacke mit seiner Installation im Herzen der deutschen Demokratie das Bein heben und „Dem Deutschen Volke“ seine Duftmarke hinterlassen. Er steckte sein üppiges Honorar ein und war zufrieden, allein, was auch immer alles in Haackes Trog vermodert, die Frage nach der Nation hat er nicht begraben.

Zeigt nicht wieder der jüngste Streit quer durch alle Parteien ein lebendiges Bedürfnis der Deutschen nach nationaler Selbstfindung? Es sind diese Fragen, die „in Österreich und in Deutschland - mehr als mir lieb ist - die Gemüter erhitzen“, sagt Haacke. Sie bohren auch in ihm. Daß er selbst durch überzogene Interpretation und schräge Wortspiele - von Volk zu Volksgerichtshof etc. - die Überhitzung der Gemüter mitverschuldet, ist ihm nur recht. Denn er, der große, kritische Professor aus New York, ist es, der mit Spaten und Hacke den nationalen Mist wendet und den steuerzahlenden Gartenzwergen jede Hoffnung auf Normalisierung verbauen will. Mia san mia? Wenn es nach ihm ginge, wären wir: „Die Bevölkerung“. Bislang wollten allerdings erst 190 Abgeordnete, also nicht mal ein Drittel der 669 ihr Häufchen in seinem Trog abladen, selbst einigen der Befürworter des Projektes schien dies zuviel der Mühe.

Hans Haacke gehört zu jener Sorte Gutmenschen, denen eine x-beliebige Indianertanztruppe in der Fußgängerzone Tränen der Rührung ins Auge treibt, die jedoch beim Stichwort „deutsche Kultur“ zwanghaft an mit Sauerkraut umwickelten Stacheldraht denken müssen. Es ist dieser vom Mißtrauen gegen das Eigene geprägte und unter deutschen Intellektuellen keinesfalls seltene Reflex, aus dem Heerscharen von Leute wie Haacke ihre armselige Inspiration schöpfen. Sich gemütlich vom eigenen, antinationalen Magengeschwür treiben zu lassen und dann keuchende Proteste („Nestbeschmutzung“) zu erwarten - ein unverdrossenes Lob der Feuilletons inklusive -, dies garantiert Künstlern vom Schlage eines Haacke seit vielen Jahre Ruhm, staatliche Förderung und ein gutes Gewissen.

Bestimmte lächerliche Züge des „guten Gewissens“ werden erst in der Karikatur greifbar: Als im Juni 2000 etwa Christoph Schlingensief im Sinne einer Protestaktion gegen die neue schwarz-blaue Koalition neben dem Stephansplatz einen Container mit angeblichen Asylanten plazierte, die per Internet ausgewählt und abgeschoben werden sollten, stürmten des Nachts linke Hyperkorrekte das Blechhaus und rissen Schlingensiefs „Ausländer raus“-Transparent herunter.

Wäre Kanzler Schröders Aufruf zum „Aufstand der Anständigen“ schon damals ergangen, so hätte man kalauern können, der Aufstand fresse seine Anständigen.

Die Zeit war noch nicht reif für solche Ironie. In progressiven Kreisen beließ man es deshalb bei einem Kopfschütteln und wollte in den Container-Stürmern nicht die Karikatur, die übersteigerte Form des eigenen Gutmenschentums erkennen.

Schlingensief und Haacke haben es vorgemacht: Um die eigene Leere zu überspielen, eignet sich das ironische Zitat vorzüglich. Kann das aber alles sein? So schrieb anläßlich Haackes Wiener Ausstellung der linksliberale Standard: „Kaum lockt man mit NS-Symbolik und -Vergangenheit, kommen die erwarteten Reaktionen. Lähmende, ebenso vorhersehbare ’politische‘ Aktionen wie ’Topflappenhäkeln gegen Rechts‘ tragen nur sattsam zum Thema bei“.

Aus Überdruß an ständigen Provokationen erwächst Zweifel. Die gängige linke Selbstzufriedenheit kommt ins Wanken, und man spürt beginnende Einsicht: „Haackes Arbeiten verdeutlichen“, urteilt der Standard, „wie schmal der Grat zwischen pointiertem politischem Kommentar und allzu vorhersehbarer billiger Polemik sein kann“. Der Tag scheint nicht mehr fern, da selbst Linksliberale in Haackes Werken jene anmaßende Belanglosigkeit sehen, die kaum der Aufregung lohnt.

 

Die Ausstellung „Mia san mia“ der Generali Foundation, Wiedener Hauptstraße 15, 1040 Wien geht bis zum 20. Dezember. Täglich außer montags 11 bis 18, Do. bis 20 Uhr.


 
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