© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Deutscher Sonderweg
Baal Müller

Gewöhnlich ist ja immer die Romantik an allem schuld mit ihrer Entdeckung der germanischen Vorzeit, ihrem Hang zum Seelischen und Unbewußten, ihrer philosophischen Würdigung des Mythos, kurz: ihrem ganzen, angeblich so typisch deutschen „Irrationalismus“. Jetzt hat ein übereifriger Geschichtspolizist auch die klassische Tradition der deutschen Geistesgeschichte ins Visier genommen, den Philhellenismus der deutschen Dichter, Historiker und Altphilologen.

„Die Liebe zu Griechenland“ hat nach Auffassung von Jens Jessen (Die Zeit vom 13. September) das deutsche Verhängnis bereitet. Schließlich habe man sich mit seiner Graecophilie über die lateinische Zivilisation des „welschen“ Erbfeindes erhoben und sein eigenes Antike-Süpplein gekocht: „Mit Droysens Alexander-Buch begann der deutsche Sonderweg.“ Gut, daß der Adolf das nicht gelesen hat, sonst wäre alles noch schlimmer gekommen. Trotzdem schrecklich, wie früheren Generationen die Griechischlehrer die Köpfe verwirrt haben; ein Glück, daß wir an unseren schönen Schulen den alten Krempel nicht mehr lernen müssen. „Das Unheil kam aus dem Geist der Altphilologie“ - kluge Autoren widerlegt man, andere genügt es zu zitieren -, „die Abwendung vom Westen, der Überlegenheitswahn, der Militarismus und die Paraden, in denen der Marschtritt der Hopliten, der schwerbewaffneten Fußtruppen Athens, zum Schrecken der Welt wiederkam, man kann noch heute das persische Entsetzen“ - die armen friedliebenden Perser! - „vor dem Gleichschritt bei Xenophon nachlesen.“

Hätte doch bloß kein Griechischlehrer diesen Xenophon übersetzt, dessen Namen die meisten Nach-Achtundsechziger-Abiturienten gottlob noch nie gehört haben, dann hätten unsere Vorfahren nie solchen Bildungsdünkel entwickelt, der über das Preußentum direkt zu den antikevernarrten Nazis führte: „Die Preußen als Makedonen der Neuzeit!“ ruft Herr Jessen entsetzt aus, nachdem er „Die Tyrannei Griechenlands über Deutschland“ von Eliza Marian Butler gelesen hat, „die deutsche Sprache als Erbin des Griechischen. Mit der Kultur Athens gegen die Zivilisation Roms.“ Schlimmschlimschlimm.

„Nie wieder Athen“, mahnt daher der Titel von Jessens Beitrag zum Rechtsstreit um das Goethe-Institut und andere Einrichtungen in Athen, die man derzeit rechtswidrig zu pfänden und zu versteigern sucht um mit dem Erlös griechische NS-Opfer zu entschädigen. Doch während ein griechisches Gericht auf Antrag der deutschen Regierung die Versteigerung vorerst stoppt, fordert der Untertitel von Jessens Beitrag leidenschaftlich: „Schließt die deutschen Kulturinstitute in Griechenland“. Wir müssen die Pfändung endlich als Chance begreifen: „Die deutschen Liegenschaften sollten zur Wiedergutmachung verschenkt, das Personal abgezogen und die deutsch-griechische Kultursymbiose ein für allemal beendet werden“ - was nun aber gar nicht sehr multikulturell klingt.

Interessant wäre es, wenn der Autor verraten würde, was so furchtbar daran ist, wenn die Griechen des 19. Jahrhunderts ihre Kultur „erst wieder von den Professoren und Dichtern des Nordens gelernt“ haben, schließlich gelang es ihnen dadurch, die jahrhundertelange osmanische Fremdherrschaft abzuschütteln. Warum aber sollte jemand rational argumentieren, der die klassische Bildung so geringschätzt?


 
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