© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Pankraz,
Osymandias und der Wiederaufbau des WTC

Bei den Diskussionen, die jetzt darüber geführt werden, ob und in welcher Form man das zerstörte World Trade Center (WTC) in New York wiederaufbauen soll, haben die trotzigen „Symbolisten“ die Oberhand, die argumentieren: „So schnell wie möglich wiederaufbauen, und zwar genauso, wie es gewesen ist! Denn das WTC war das Symbol des siegreichen Welthandels und der amerikanischen Macht, und ein solches Symbol darf man sich nicht einfach wegnehmen lassen.“

Ob das der Weisheit letzter Schluß ist? Wie es Symbolen des Sieges und der Macht üblicherweise ergeht, davon erzählt sehr eindrucksvoll ein von Kennern geliebtes Gedicht des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley (1795 bis 1825), das Pankraz gern in der Originalfassung hierher setzen würde; er bringt es in der Übersetzung von Rainer Kirsch, die auch nicht von Pappe ist:

Einen traf ich, fernher aus

antikem Land,

der sprach: Zwei Beine,

steinern, riesig, rumpflos,

stehn in der Wüste …

Nahbei, halb im Sand,

liegt ein zerbrochnes

Antlitz, dessen Runzeln,

Kommandolächeln, kalter

Hohn und Lauern

erzähln: Sein Bildner las die

Züge gut,

die, aufgepreßt auf Totes,

überdauern

die formende Hand, das

Herz auch, das sie trug.

Und auf dem Sockel ist dies

eingemeißelt:

„Ich heiß OSYMANDIAS,

KÖNIGSKÖNIG:

Seht, Mächtige, mein Werk

an und verzweifelt!“

Nichts sonst ist übrig. Rings

um den Verfall

des kolossalen Wracks, glatt,

einsam, eben,

strecken sich Sande

grenzenlos und kahl.

Osymandias war der Name, den die Griechen dem ägyptischen Pharao Ramses II. (dem Großen) gegeben hatten, jenem politisch wenig erfolgreichen, gleichwohl außerordentlich ruhmredigen Gottkönig aus dem zweiten Jahrtausend v. Chr., der sein Land mit gewaltigen Denkmälern seiner selbst und mit Inschriften überziehen ließ, auf denen er sich als den Größten, Gerechtesten und Erfolgreichsten verewigte. Ramses II. regierte lange, volle sechsundsechzig Jahre lang, aber schließlich mußte er doch abtreten, sein Reich zerfiel, seine Statuen versanken im Sand, und nicht nur bei Shelley steht er nun da als Prahlhans, wie er selbst unter Göttern nur selten vorkommt, als der Inbegriff der Anmaßung.

Hätte der Pharao um die Kapriolen des realen Nachlebens gewußt, er hätte, Propaganda-Genie, das er offensichtlich war, mit Sicherheit gewisse Retuschen an seinen Statuen und Inschriften vorgenommen. Das Kommandolächeln, „sneer of cold command“ im Shelleyschen Original, wäre entkältet worden, die übrigen Mächtigen der Welt wären nicht kaltschnäuzig aufgefordert worden, angesichts von Ramses’ Allgewalt zu „verzweifeln“.

Auch einem neuen WTC, wenn es denn wiedererstehen sollte, würde eine gewisse Entkältung gut anstehen. Das alte entstammte ja einer Bauperiode, die zu den schlechtesten Bauperioden überhaupt gezählt werden muß: der Zeit unmittelbar vor der sogenannten Postmoderne, unmittelbar vor der (zunächst ironischen) Wiederentdeckung des menschenfreundlichen Ornaments und der klassischen alten Proportionen. Das Paradigma des modernen Streichholzschachtel-Designs hatte sich damals bis zum Platzen mit Routine und Ungeschmack gefüllt, und das alte WTC mit seinen Zwillingstürmen spiegelte das genau wider: eintönigste Form, Angeberei mit teurem Material, schiere Größe ohne Anmut und Würde.

Auch der Standort der Riesentürme direkt an der Vorderfront Manhattans machte einen schlechten Eindruck. Es war, als habe sich der berühmte Stadtteil ein Paar Wildschweinhauer zugelegt, mit denen er aufs Meer hinausdrohte. Andere Kritiker meinen, ganz Manhattan sei durch die Errichtung des WTC aus dem Gleichgewicht geraten, man habe von da an immer den Eindruck gehabt, als wolle die Stadt ins Meer kippen. Wie organisch fügten sich dagegen die alten Art-Deco-Türme des Empire State Building und des Chrysler Building in die Stadtsilhouette ein! Sie und nicht das WTC waren auch nach dessen Aufrichtung die architektonischen Herren der Stadt, und zwar wirkliche Herren, keine Parvenüs.

Seit einiger Zeit spricht man in den amerikanischen Architekturbüros vom „New Urbanism“, vom „Neuen Urbanismus“, was etwa dem entspricht, was bei uns - weniger präzise - „Neuer Historismus“ heißt: die Sehnsucht der Menschen nach einer Architektur, die sich wieder an die alten Form- und Schmuckkanons hält, an die Baubücher der Vitruv und Alberti und Palladio, in denen sich uralte Erfahrung mit gutem Wohnen bündelte. Das „neue“ Bauen, zu dem auch die Zwillingstürme des WTC gehörten, hat diese Erfahrung ignoriert und dadurch die Städte verheert. Der „Neue Urbanismus“ will das endlich wiedergutmachen.

Der Vorschlag der untrotzigen Antisymbolisten, auf dem Gelände des ehemaligen WTC einen Ehrenhain und ein Denkmal für die Opfer des Anschlages und für alle Terroropfer der Welt einzurichten, dürfte wohl keine Chance haben, schon in Anbetracht der Grundstückspreise im unteren Manhattan und des dortigen Superbedarfs an Nutzflächen. Das Beste wäre also wohl ein Ensemble gediegener, äußerlich eher unauffälliger Nutzbauten im Stile des „Neuen Urbanismus“, mit guten Proportionen und heiterem Schmuck, ohne jede Geste des „Nun erst recht!“, für die es keinen Grund gibt.

Auf Terror und Zerstörung reagiert man nicht, indem man auf dem Häßlichen und Mißlungenen beharrt, selbst wenn sich die Möglichkeit zur Verbesserung bietet. Der Mensch lernt nie aus. Und als Lernender, selbstbewußt ohne leeres Auftrumpfen, braucht er nicht einmal Angst davor zu haben, daß seine Werke einst vom Sand der Zeiten überweht werden.


 
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