© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Der Aufschrei erstickt im Untergang
Hinter kühler Gebärde verbirgt sich hitzige Bewegtheit: Luigi Nonos „Intolleranza“ in der Deutschen Oper Berlin
Hans-Jörg von Jena

Nach dem „NO - NO“ am Eingang der Deutschen Oper in Berlin erwartet man unwillkürlich ein freundliches „Nanette“, aber die Assoziation einer musikalischen Komödie geht natürlich fehl. Das Wortspiel mit dem Namen des todernsten Komponisten Luigi Nono (1924-1990) stimmt ein auf Widerstand. Empörung. Verweigerung. Nicht ganz zutreffend übrigens. Einmal zwar ballt der Chor an der Rampe mit einem Aufschrei die Faust und reckt sie ins träge Parkett. Gleichwohl hätte man Nono, den kommunistischen Humanisten, niemals mit Erich Kästner fragen müssen: Herr Nono, wo bleibt das Positive? Gläubige Hoffnung verstand sich für ihn von selbst.

Klassisches Vorbild solcher ins Ideale der „konkreten Utopie“ gesteigerten Bejahung ist der „Fidelio“, und tatsächlich gedenkt die Deutsche Oper in wenigen Monaten Beethovens hohes Lied auf den Triumph des Guten und der Gattenliebe frisch anzustimmen. Mit Nonos leidenschaftlicher, wenn auch strukturell gebändigter „Intolleranza“ (die bislang in vier Jahrzehnten auf keine Berliner Opernbühne gefunden hatte) greift sie zum festlichen Auftakt der Ära des Götz-Friedrich-Nachfolgers Udo Zimmermann sinnvoll Beethoven vor. In der eigenwilligen Musiksprache des 20. Jahrhunderts flammt eine humane Botschaft auf - um so eindringlicher, als am Ende der „azione teatrale“ von 1960 der Untergang des namenlosen Helden steht.

Von Gattenliebe allerdings kann hier kaum die Rede sein. Der Emigrant und Gastarbeiter, dessen Schicksal man miterlebt (tenoral kraftvoll: Chris Merrit), sehnt sich offenbar auch deshalb zurück in seine südliche Heimat, weil er in der Fremde keine Zuflucht auf einer Insel häuslichen Glücks gefunden hat. Er verläßt seine Gefährtin (eindrucksvoll keifend: Melanie Walz), findet bei einer neuen (Yvonne Wiedstruck, mit exzellenten Sopranhöhen) mehr Verständnis für politische Arbeit und Agitation, die freilich letztlich erfolglos bleibt. Eine Überschwemmungskatastrophe beendet beider Tun und Trachten gewaltsam. Wie sich schwarze Wände von allen Seiten zusammenschieben, bis nur noch die ohnmächtig zappelnden Hände der Versinkenden sichtbar sind, gehört zu den unmittelbaren Bildwirkungen der Inzenierung.

Wer dächte da nicht an die hilflose Verzweiflung, die die Terroropfer in den entführten Flugzeugen vor ihrem Tod durchlebt haben müssen! Peter Konwitschny, der in Berlin debütierende, mit großer Spannung erwartete Regisseur, vermeidet jedoch plumpe Anbiederungen an die Aktualität, wie sie eine Politoper an sich zu fordern scheint. Einzig jene Passage, in der von „einigen Absurditäten unseres Alltags“ satirisch die Rede ist, hat er kurz vor der Premiere vielsagend geändert. Ein Ansager macht seine Anmerkungen nur noch stumm, als habe man am Bildschirm den Ton abgestellt, und karikiert damit das tägliche Geschwätz. Dazu läuft ein rotes Schriftband à la CNN und berichtet von der Tragödie des 11. September.

Konwitschnys Leistung: Er bringt die lyrischen Fragmente und locker gereihten Visionen des Librettos in den Zusammenhang einer Fabel, ohne ihnen Gewalt anzutun. Und er betont dabei das Private, das ja kein Eskapismus ist, sondern der Schauplatz, wo die politische Entscheidungen wirken. Ein großes rotes Bett hat ihm Bühnenbildner Hans-Joachim Schlieker dafür in die Mitte der Bühne gestellt, das als Ruhestätte wie als Walstatt zentrale Möbel des bürgerlichen Alltags. Der Chor jedoch (hervorragend einstudiert von Ulrich Paetzholdt) bleibt mit seinen agitatorischen Sequenzen meist ins Off verbannt. Sinnfällig rahmt die Bühne ein Baugerüst, von dem sich gleich anfangs ein Arbeiter zu Tode stürzt, das Private mit seiner tagtäglichen Gegenwelt kontrastierend.

Gesungen wird in einer Mischfassung aus italienischem und deutschem Text, dank der reichlich verwendeten Schriftbänder bleibt kein Verständniswunsch offen. Unter dem gelassen dirigierenden Peter Rundel kommt das Orchester mit dem Extremen der Musik gut zurecht. Man spürt, daß Nono keiner Eitelkeit aufsitzt, wenn er auf der Opernbühne noch kaum je Gewagtes in charakteristische Musik zu fassen sucht. Statt in brillante instrumentale Materialschlachten oder esoterische Elektronik flüchtet er lieber ins Nüchterne, Spröde. Aber hinter der kühlen Gebärde verbirgt sich die hitzige Bewegtheit, auch die heimliche Kantilene nur halb. Spricht da jemand Agitrop? Es wäre ein groteskes Mißverständnis. Nonos Musik redet niemand zu Munde. Sie überwältigt auch nicht das Ohr. Sie bohrt sich, eine geballte Ladung von 72 Minuten, sanft ins Herz.


 
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