© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001


Basketballstar Dirk Nowitzki: Siegertyp, Ernst Jünger-Leser, VIVA-Idol und netter Junge
Der mit dem Ball tanzt
Jutta Winckler

Die eher auf lutheranisch-skrupu- löse Weise konsumfreudigen Nachkriegsdeutschen scheinen seit der Vereinigung von BRD und DDR auch showsportlich ihren „Nachholbedarf an Calvinismus“ (Sloterdijk) zu stillen; das gleichsam altolympisch-politische Gemeinschaftsideal der Herberger und Daume, gar das eines Täve Schur oder Honecker, ist tot. An seine Stelle trat das neoliberale Konkurrieren des egotistischen Körperunternehmers, der seine Haut zum globalen Sportmarkt trägt. In der AOL-, Bayer- oder Allianz-Arena – nicht mehr in Volkspark, Kampfbahn Rote Erde oder Letzigrund. Einige wenige solcher Sternmenschen („Megastars“) stehen für diesen Gestaltwandel, der sich parallel zu den gesamtgesellschaftlichen Verwerfungen Vereinigungsdeutschlands vollzogen hat. Das jüngste Beispiel ist der aus Berlin stammende Basketball-Profi Dirk Nowitzki: In knapp drei Spielzeiten gelang dem 23jährigen Schlacks der Aufstieg zum Megastar der Dallas Mavericks; als Herzstück der multiethnischen BRD-Equipe dominierte er kürzlich die Europameisterschaft in der Türkei mit einer sagenhaften Trefferausbeute. Als einer von zwei Herkunftsdeutschen führt er eine titelgierige Truppe aus „Zuwanderern“ bzw. hurtig eingebürgerten Beutegermanen. Die Begeisterung der Legion sprang auf die Heimat über, die TV-Quoten in Leo Kirchs Sportkanal DSF schnellen in bislang ungekannte Höhen empor. Dirk wurde als erfolgreichster Spieler des Turniers ausgezeichnet: Unterm Korb ist er fortan das europäisch-deutsche Maß aller Dinge. Schon vor Nowitzki gelang es einheimischen Athleten mit Starformat, ihre Sportart gleichsam von null auf hundert zu beschleunigen: Vor Boris Becker war Tennis Randsportart, betrieben von hageren Assistenzärzten und drallen Fabrikantenliebchen. Als Boris im Sommer 1985 das britische Nobelturnier zu Wimbledon gewann, brach ein Tennisboom los; seither ist, zur Freude vieler Profiteure, aus dem vormals „weißen Sport“ ein Massenphänomen geworden. Der „siebzehnjährigste Leimener aller Zeiten“ hatte eine geradezu hysterische Begeisterung für das Spiel mit dem gelben Bällchen ausgelöst. Bevor der NVA-Leutnant Henry Maske die Bühne internationaler Profiboxwettkämpfe betrat, galt seine Sportart als nicht salonfähig. Der sensible Henry, Faustfechter statt Haudrauf, gewann nach olympischem Goldlorbeer auch den Welttitel der Berufsboxer und verteidigte ihn jahrelang erfolgreich. 

RTL verzeichnete Rekordquoten von bis zu 18 Millionen Zuschauern, eine ganze Nation entdeckte ihr Herz für die rauheste aller Sportdisziplinen: Selbst Greisinnen fieberten nächtens mit Henry, dem „Gentleman in Boxershorts“! Daß die Deutschen ein autonärrisches Völkchen sind, wußte schon „der Führer“ und schenkte ihnen daher ihre Autobahnen und sich selbst den legendären Horch-Kompressor mit Einspritzung. Doch erst mit Michael Schumacher erreichte die Begeisterung für den automobilen Rennsport hierzulande ungeahnte Höhepunkte. Der „adrette Junge aus Kerpen im Rheinland“ wurde 1994 zum ersten Mal Weltmeister der Formel 1, bevor er vom Team Benetton zur italienischen Nobelmarke Ferrari wechselte. Es wurde eine Traumehe, denn „Gummi-Schummi“ sammelt nach holprigen Anfängen Titel auf Titel; heute schickt er sich an, zum erfolgreichsten Rennwagenlenker aller Zeiten zu werden. 

Ergriffen weint der jungenhafte Milliardär im knallroten Overall, wenn bei der Siegerehrung die deutsche Nationalhymne erklingt; mittlerweile schauen ihm dabei mehr Landsleute zu als bei Länderspielen des im Niedergang befindlichen Fußballwesens. Last but not least ist auf Martin Schmitt und die anderen Boys jener deutschen Boygroup hinzuweisen, die sich falkenartig von alpinen Sprungschanzen stürzen, um in waghalsigem Flug zu Tal zu schweben. Dort warten neuerdings Groupies mit der Bravo-Sport in Händen. Skispringen, eine der faszinierendsten Sportarten überhaupt, wurde im Handumdrehen selbst bei der „Generation Fettsack“ (Ellen Kositza) „Kult“; die untergewichtigen, doch sonnigen Landburschen aus dem Bundesleistungszentrum lassen sich in panökonomistischen Zeiten so lukrativ vermarkten, daß mancher Jungadler schon mit zwanzig ausgesorgt haben dürfte. Detlef Schrempf, der bislang bekannteste NBA-Profi aus „good ol’ Germany“, gab sich so dröge, wie er war: Um so strahlender nun die sympathisch offene Erscheinung des Hellblonden, der sich neuerdings ein hellhaariges Kinnbärtchen stehen läßt: gewiß um seine knäbisch sanften Gesichtszüge ein wenig mehr ins Herbe spielen zu lassen. Auf dem Feld, das Spielgerät in der riesigen Hand, ist er der Härtesten, der Flinksten, der Entschlossensten einer. „Dirk wird eine ganz, ganz heiße Nummer“, prophezeite jüngst Magic Johnson, die größte lebende NBA-Legende. David Stern, betriebswirtschaftlicher Pate der weltbesten Liga, weiß längst, was er an seinem Wunderknaben hat: „Dirk ist das ideale Gegenstück zu unseren bösen schwarzen Buben. 

Er ist gut erzogen und hält trotzdem taff dagegen: Ich setze auf ihn.“ Dirks Vater ist stolz auf seinen Sohn: „Er ist trotz der Millionengage normal geblieben. Nur ein Luxusbett hat er sich gekauft und eine tolle Musikanlage für sein Appartement in Dallas.“ Standen Boris Becker und Michael Stich für die „Generation Golf“, so identifiziert sich die VIVA-Generation mit Erfolgswerfer Dirk. Sie, die VIVAS, sind komplexer, als es die chronisch kulturverdrossene Dauerreflexion der BRD wahrhaben will. Holger Geschwindner, Freund und Berater Nowitzkis: „Dirk hört gerne klassische Musik und deutschen Rap. Er selbst spielt Gitarre und Saxofon. Dirk hat viel Zeit, meistens liest er spannende Bücher, Krimis und Biographien. Zuletzt über Alexander den Großen und Bismarck. Er trainiert seinen Kopf, er will lernen. Bildet sich sein eigenes Urteil über die Welt. Derzeit liest Dirk ’Der gordische Knoten‘ von Ernst Jünger.“ Der Stahlgewitter-Jünger und die NBA? Alle Wetter! Extrem starker Dunk! Vivat Ernst! Super Dirk! Der lange Blonde mit dem großen Talent macht sein Ding aus purem Spaß am Basketballsport. 

Das Geld läuft ihm eh hinterher: Ein aktuelles Vertragsangebot seiner Mavericks soll sich auf 100 Millionen Dollar belaufen. Längst hat Dirk eine eigene Fangemeinde in den Staaten; der Star zum Anfassen lebt auf sechzig gemieteten Quadratmetern, läuft in Jeans und Shirts herum, kennt keine Allüren, fährt einen Serien-Benz und schreibt stundenlang geduldig Autogramme. Wozu paßt, daß er trotz der großen räumlichen und zeitlichen Trennung seiner Freundin Sybille in der Heimat, diesseits des großen Teichs, eisern die Treue hält. Die Generation DIRK ist eben anders: besser, freier, jünger eh, als ihren abgefuckten 68er Mamas’n’Papas lieb sein mag.


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