© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Letzter Ausweg Neuwahlen
Parteien: In der rot-grünen Koalition rumort es kräftig / Spekulationen über neue politische Bündnisse schießen ins Kraut
Paul Rosen

Wie im Chor singen Kanzler Gerhard Schröder und seine rot-grünen Koalitionäre derzeit das Lied von der Einigkeit und Geschlossenheit des Regierungsbündnisses. Das erinnert an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. Denn der dahinsiechende Koalitionspartner wird irgend etwas tun müssen, um die eigene, in den letzten 17 Wahlen immer deutlicher gewordene Krise zu überwinden. Aber noch macht der Kanzler auf gutes Wetter: Er rechne nicht mit einem Scheitern des Bündnisses. Dies gelte sogar bei „sehr existenziellen Fragen“.

Die „sehr existenziellen Fragen“ sind bereits seit den terroristischen Anschlägen in den USA auf der Tagesordnung der deutschen Innenpolitik. Seitdem wird den Grünen von der SPD eine Kröte nach der anderen zum Schlucken vorgesetzt. Und immer noch hält die Koalition. Da redet zum Beispiel Innenminister Otto Schily davon, man müsse überlegen, ob man möglichen Bedrohungen im Inland nicht auch mit militärischen Mitteln entgegentreten müsse. Das entspricht einem Plädoyer für den Einsatz der Bundeswehr im Innern, von den Grünen, die die Bundeswehr am liebsten abschaffen würden, früher als glatter Verfassungsbruch abgelehnt. Inzwischen rührt sich nur noch zaghafter Widerstand.

Selbst die Kürzung der Verteidigungsausgaben, eine tragende Säule rot-grüner Gemeinsamkeiten, ist inzwischen weggebrochen. 1,5 Milliarden Mark mehr erhält die Bundeswehr im kommenden Jahr, ein Betrag in gleicher Höhe ist unter anderem für Geheimdienste, Bundesgrenzschutz und den Zivilschutz vorgesehen. Unter deutscher militärischer Führung stehen Nato-Verbände in Mazedonien. War die erste Aktion des Bündnisses, das Einsammeln der Waffen der UÇK, noch heftig umstritten, gab es bei dem neuen und viel schwerwiegenderen Einsatz keine einzige Gegenstimme aus dem grünen Lager. Jede einzelne dieser Maßnahmen hätten noch vor einem halben Jahr deutschlandweite Mahnwachen von Grünen nach sich gezogen. Doch jetzt folgt die einstige Friedens- und Pazifistenpartei dem Vorbild Joschka Fischers und Jürgen Trittins und schweigt zu Themen, die ihre Gründergeneration als Politik der Wiederbewaffnung gegeißelt hätte.

Schröder und Schily sind längst dabei, mit ihren bisher allerdings nur verbalen Maßnahmen die CSU rechts zu überholen. So will Schily erheblich schärfere Kontrollen und gegebenenfalls Fingerabdrücke bei der Erteilung von Visa-Vermerken für Deutschland. Auch das war früher ein rotes Tuch für die Grünen, die am liebsten alle Tore zur Bundesrepublik weit geöffnet hätten. Schröder legt noch nach und spricht sich jetzt dafür aus, vor der Einbürgerung eines Ausländers eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz durchzuführen. Mit Blick auf mögliche grüne Widerstände meinte Schröder nur, er verstehe diejenigen nicht, die darin ein Problem sehen würden. Es gehe doch nicht um einen Generalverdacht, sondern um eine Rückversicherung über diejenigen, die künftig hier leben wollten. Schröder übernimmt damit nahtlos eine Forderung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) und bestätigt damit eine Erkenntnis der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel: Jedes Thema, das die Union in den Wahlkampf oder Vorwahlkampf trage, werde in kürzester Zeit von Schröder besetzt.

Provokation von Struck stieß auf Widerspruch

Es war der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck, der den Finger in die vielleicht letzte offene Wunde des ansonsten vernarbten grünen Parteikörpers legte. Er drohte dem Koalitionspartner mit einem Ende der Zusammenarbeit, falls die Grünen eine deutsche Beteiligung an den Militäreinsätzen der Amerikaner nicht mittrügen. Wenigstens diese Provokation stieß auf massiven Widerspruch. Der grüne Abgeordnete Winfried Hermann warf Struck „zuchtmeisterliches“ Verhalten vor.

Doch die Führung der Grünen, zum Beispiel Außenminister Fischer, gibt sich in den Tagen lieber staatstragend. Eine deutsche Beteiligung an den amerikanischen Militärmaßnahmen hält er fast schon für unausweichlich. Im Hausblatt taz verriet er, er habe „auf allen Seiten der Koalition in den letzten Tagen den festen Willen zur Gemeinsamkeit gespürt“. Fraktionschef Rezzo Schlauch rechnet bereits damit, daß die Grünen im Bundestag einem Einsatz der Bundeswehr unter bestimmten Bedingungen zustimmen würden. Die von Schlauch aufgestellten „bestimmten“ Bedingungen klangen reichlich unpräzise: „Überschaubar, eingegrenzt und zielgerichtet“ soll die Beteiligung deutscher Soldaten sein. Darunter kann viel verstanden werden.

Gegen die immer „rechter“ werdende SPD-Führung mit Schröder und Schily an der Spitze kann sich die bürgerliche Opposition kaum noch behaupten. Zudem sitzt ihr noch die drohende Konkurrenz des Hamburger Richters Ronald Schill und seiner Partei Rechtsstaatlicher Offensive im Nacken. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber mußte schon ganz tief in die Kiste mit den innenpolitischen Folterwerkzeugen greifen. Er empfahl Schröder bei den Beratungen der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler, am besten möglichst viele der beim Verfassungsschutz bekannten 30.000 islamistischen Extremisten aus der Bundesrepublik ausweisen zu lassen. Die Bundesregierung müsse ein „sicheres Drittland“ finden, in das die bisher hier lebenden extremistischen Muslims abgeschoben werden könnten.

Was Schröder bezweckt, ist noch unklar - genauso unklar wie die US-amerikanische Strategie gegen den weltweit operierenden Terrorismus. Vom Verhalten der westlichen Führungsmacht dürften auch Schröders innenpolitische Reaktionen abhängen. Und daß er innenpolitisch so scharfe Töne anschlägt, dürfte einen außenpolitischen Hintergrund haben: Mißtrauisch haben die Amerikaner feststellen müssen, daß die operativen Fäden der Attentäter in Hamburg und Frankfurt zusammenliefen.

In einem Punkt hat die sonst reichlich unbedarfte CDU-Chefin Angela Merkel natürlich recht: Am einfachsten kann Schröder mit den Grünen weiterregieren. Deren Minister akzeptieren inzwischen wirklich alles, was ihnen die SPD vorsetzt. Würde er zum Beispiel auf ein sozialliberales Bündnis mit der FDP umschwenken, wäre nicht nur die Mehrheit im Bundestag noch knapper als mit den Grünen, sondern die FDP würde ihm auch die Bedingungen diktieren. Denn eine weitere Wechseloption hätte Schröder nicht mehr.

Eine Große Koalition, über die in den letzten Tagen in Berlin so heftig diskutiert wurde, will Schröder höchstens als letzten Ausweg. Auch in der Union gilt die Neigung zu einem Bündnis mit der SPD als sehr gering, wenn man vom ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe einmal absieht. Vielleicht hat Schröder auch eine andere Möglichkeit im Sinn: Neuwahlen. Auf dem Höhepunkt einer internationalen Krise könnte er sich als eiserner Kanzler präsentieren, während die Union ohne Programm und mit ungelöster Führungsfrage dastehen würde. Aber Voraussetzung für weitere Spekulationen ist das Auseinanderbrechen der Grünen. Das muß man wissen. Ohne Not wechselt Schröder die Pferde nicht.


 
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