© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Hauptstadt im Griff der Kriminalität
Innere Sicherheit: Bei den Verbrechen kann Berlin locker mit Hamburg mithalten / Jede Minute eine Straftat
Ronald Gläser

Mit dem schrittweise erfolgten Regierungsumzug schien sich auch die Sicherheitslage in der deutschen Hauptstadt zu wandeln. Aufgrund einer oberflächlichen Betrachtungsweise kamen zumindest einige der Verantwortlichen zu diesem Schluß. 1999 forderten die Krawalle militanter Kurden in der israelischen Botschaft Todesopfer. Die Präsenz starker Polizeiaufgebote - insbesondere an entsprechend gefährdeten Positionen - nahm seitdem spürbar zu. Endlose Schlangen von Polizeifahrzeugen gehören inzwischen zum alltäglichen Straßenbild in der Berliner Innenstadt.

Hinzu kamen die Besuche hochrangiger Staatsgäste oder der 1999er EU-Gipfel. Die jüngsten Terrorangriffe in den USA schließlich veranlaßten die Bundesregierung und den Senat zu noch schärferen Maßnahmen. Vor dem neuen Jüdischen Museum ging ein Panzer in Stellung. Immer öfter kreisen Polizeihubschrauber über der Stadt. Und trotzdem ist die Hauptstadt-Kriminalität eine der großen unbewältigten Aufgaben.

Hamburg ist nicht die einzige Großstadt, in der die innere Sicherheit zu den Kernproblemen gehört. In der Hauptstadt lebt es sich nicht sicherer als in der Hansestadt, auch wenn der neue Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, seit dem Wahldebakel seiner Hamburger Genossen das Gegenteil behauptet. Die auf jeweils 100.000 Einwohner berechnete Kriminalitätsrate weicht um gerade mal ein Prozent von dem Hamburger Spitzenwert ab. In absoluten Zahlen ist die Spree-Metropole ohnehin einsamer Spitzenreiter. 557.000 Verbrechen wurden im vergangenen Jahr in Berlin registriert. Hinsichtlich der (anteilsmäßigen) Aufklärung schneiden die Ermittlungsbehörden in Berlin (49 Prozent) etwas besser ab als ihre Kollegen aus Hamburg (43 Prozent).

Als Innensenator Eckart Werthebach im April seine Kriminalitätsstatistik vorlegte, sah für die CDU alles natürlich noch ganz anders aus. Nach zwanzig Jahren CDU-Herrschaft mußte die Bilanz einfach positiv ausfallen. Computerprobleme hatten die Veröffentlichung der Daten angeblich verzögert. Insider behaupten, das Jahr-2000-Problem sei zur „Kosmetik“ der ernüchternden Zahlen instrumentalisiert worden. Und eine halbe Million Straftaten läßt sich auch nicht ohne weiteres überprüfen.

Als Erfolg vermeldete Werthebach damals den Kriminalitäts-Rückgang von 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Lediglich das Ausmaß der Computerkriminalität, des Diebstahls und vor allem des Drogenhandels sei gestiegen. Dafür spricht auch der bedrohliche Anstieg der Drogentoten um zehn Prozent. Die Gewaltbereitschaft bekümmerte dagegen kaum jemanden. Den von linken Krawallmachern ritualisierten Straßenschlachten am 1. Mai entgegenzutreten, fehlte Werthebach - wie seinen Amtsvorgängern - stets der Mut.

Politisch korrekt hatte er eine viel größere Gefahr ausgemacht. Große Sorgen bereiteten dem CDU-Senator nämlich Randerscheinungen wie die angeblich grassierende „rechte Gewalt“. Von Rechtsextremisten verübte Delikte sind zwar um vierzig Prozent gestiegen, rangieren aber noch immer im Nano-Bereich. Die meisten dieser „Straftaten“ sind sogenannte Propagandadelikte - wie etwa das Zeigen eines verbotenen Symbols. Trotzdem machte Werthe-bach NPD-Demos zur Chefsache und forderte ausgerechnet in diesem Zusammenhang die Außerkraftsetzung von Grundrechten.

Statistiken geben kein verläßliches Bild

Tatsache ist, daß in Berlin alle sechs Tage jemand ermordet wird. Täglich ereignen sich drei Vergewaltigungen. Alle neunzig Minuten wird ein Straßenraub begangen. Und auf jeden Straßenraub kommen zwei Autodiebstähle. Und diese Statistiken geben noch nicht einmal ein verläßliches Bild von der Lage der inneren Sicherheit wieder. Experten und Polizeivertreter verweisen immer auf das Dunkelfeld. Dieses wächst in realen wie in absoluten Zahlen, weil den Opfern die Erfolgaussichten einer Anzeige immer geringer erscheinen. Wegen eines gestohlenen Autoradios den nächsten Polizeiabschnitt aufzusuchen vergrößert die Scherereien nur. Ausreichende Polizeipräsenz kann von vielen Bürgern nur noch beim Erfassen von Falschparkern ausgemacht werden. Und das gilt nicht nur für die Brennpunkte wie Wedding, Neukölln oder Tiergarten.

Die Leningrad-Connection, wie sich die Russenmafia zu nennen pflegt, residiert in der feinsten Gegend rund um den Kurfürstendamm. Hier wickelt sie ihre Geschäfte rund um Frauenhandel und Zigarettenschmuggel ab. Ihre Frauen können bei den dortigen Juwelieren angeblich alles mitnehmen, was ihre vom heimatlichen Elend geprägten Herzen höher schlagen läßt. Liquidität - man zahlt in bar - sei reichlich vorhanden, heißt es, und es sei noch nie vorgekommen, daß ein Diamantenkollier nicht noch am selben Tag bezahlt worden sei.

Hier ereignen sich aber auch die Verbrechen, die die Hauptstädter gelegentlich aufhorchen lassen - so eine Woche vor dem letzten Weihnachtsfest am Tauentzien, Berlins edelster Flaniermeile: Ein maskierter Mann betrat einen Kosmetiksalon, in dem vorwiegend Exil-Russinnen ein- und ausgehen. Er zückte eine Pistole, erschoß ohne Vorwarnung eine der Angestellten und zündete eine Handgranate, die vier der Kundinnen lebensgefährlich verletzte. Der Mörder konnte unerkannt entkommen. 20.000 kostet angeblich ein tschetschenischer Auftragsmörder, der zu diesem Zweck extra eingeflogen wird. Berlin ist die unumstrittene Hauptstadt der sogenannten Russenmafia.

Vor zwei Jahren sollen sich die Oberhäupter der Berliner Unterwelt arrangiert und den Kampf um das Revier beendet haben. Araber, Albaner, Polen, Vietnamesen und andere Banden verschiedenster ethnischer Herkunft fürchteten die Auseinandersetzung mit den als besonders brutal geltenden Russen. So wurde ihnen die Herrschaft über die Ostbezirke und die Kontrolle über den Menschenhandel und Zigarettenschmuggel zugestanden, wenn man dem unlängst veröffentlichten Bericht eines Aussteigers Glauben schenken kann. Dafür hätten die Polen das Monopol für Autoschiebereien behalten dürfen. Auch die Schutzgelderpressungen und der Drogenhandel der Araber und Türken blieben unangetastet. Und deutsche Ermittlungsbehörden stehen schon gleich zu Beginn ihrer Arbeit vor schier unlösbaren Aufgaben, die von Bestechungsversuchen über Sprachbarrieren bis hin zu Einschüchterungen reichen.

Kriminalität wird lediglich verdrängt - nicht verhindert

Seit die CDU unfreiwillig aus dem Senat ausgeschieden ist, sieht die Lage natürlich viel bedrohlicher aus als zu dem Zeitpunkt, da Werthebach seinen Bericht vorlegte. Der phänomenale Erfolg von „Richter Gnadenlos“ tat sein übriges. Inzwischen rangieren Forderungen nach einer härteren Gangart zum Lieblingsrepertoire des CDU-Wahlkampfteams. Frank Steffel beteuerte unmittelbar nach der Hamburg-Wahl, daß er mit Ronald Schill in fast allen Punkten übereinstimme - von der Bekämpfung der Kleinkriminalität bis zur härteren Gangart gegenüber Drogenhändlern.

Ein Mittel, zu dem sich die Große Koalition wegen des Widerstands der Sozialdemokraten nie hat durchringen können, ist das Null-Toleranz-Prinzip. Die Bekämpfung der Kleinkriminalität an bestimmten Brennpunkten wird von CDU-Innenexperten immer wieder in den Mittelpunkt gestellt. Mit neun Kameras will der CDU-Sprecher Roland Gewalt das Areal um den Bahnhof Zoo überwachen lassen. Die gesetzlichen Grundlagen für spezielle Maßnahmen an „gefährlichen Plätzen“ hatte der schwarz-rote Senat bereits geschaffen.

In diesem leidenschaftlichen Plädoyer für eine Orwell’sche Überwachung bestimmter Brennpunkte wird geflissentlich übersehen, daß dies nur ein Herumdoktern an den Symptomen ist. Statt das Grundproblem anzugehen, wird die Aufmerksamkeit weiterhinauf marginale Tatbestände gerichtet. Und die anvisierten Personengruppen, von Taschendieben bis hin zu Drogenhändlern, werden verdrängt - nicht verhindert. So wurde das nördliche Neukölln zu einem Tummelplatz der Unterwelt und zum Ausgangspunkt für die Gettoisierung ganzer Stadtteile.

Mag die Union noch halbwegs glaubwürdig den Ruf nach Law-and-Order artikulieren, so erscheinen die neusten FDP-Thesen nur noch opportunistisch. Kaum war die letzte Hamburger Wahlurne ausgezählt, da verkündete die FDP-Führung ihr Maßnahmenpaket: mehr Präsenz und bessere Ausstattung der Polizei, Verbrechensbekämpfung jenseits der „Jagd auf Falschparker“, Abschottung gegenüber extremistischen Einwanderern. Dabei hatte Günter Rexrodt zeitgleich geäußert, sein Parteifreund Alexander von Stahl und dessen nationalliberaler Kreis habe abgewirtschaftet und solle sich im Wahlkampf mit ebendiesen Forderungen zurückhalten.

Ehrlicher sind da schon die neuen rot-grünen Machthaber, die sich für solche Lippenbekenntnisse zu schade sind. Das ellenlange Wahlprogramm der SPD äußert sich in allen denkbaren Aspekten der Berliner Politik. Detaillierte Aussagen zur inneren Sicherheit sind dort nicht enthalten. Als untergeordneter Punkt taucht lediglich die Ankündigung auf, der nächste SPD-Senat werde „bei allen Sparmaßnahmen im personellen Bereich die staatlichen Kernaufgaben von Justiz und Polizei gewährleisten“.

Die Problematik wird ignoriert. Der Wowereit-Senat übt sich in Selbstzufriedenheit und suggeriert, Berlin sei ein durch und durch sicheres Pflaster. Einzig den Objektschutz von Einrichtungen des Bundes möchte man verstärken. Dazu forderte der Regierende Bürgermeister mehr Geld von der Bundesregierung, die sich aber strikt weigert. Um die Zustimmung des Diepgen-Senats zur Steuerreform zu erhalten, hatte Innenminister Schily vor Jahresfrist erhebliche Zusatzmittel bereitgestellt.

Die Situation dürfte sich noch zuspitzen

Als herrsche ausgerechnet beim Schutz der Regierungsbauten ein nationaler Notstand, fordern daher nun Politiker fast aller Schattierungen den Einsatz der Bundeswehr. Es liegt auf der Hand, daß dies nur ein halbseidener Versuch ist, von den jahrzehntelangen Versäumnissen abzulenken. Zuletzt mutierte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) mit einem solchen Vorschlag zum Möchtegern-Feldherrn. Immer wieder müssen Polizeigewerkschaft und Bundeswehrverband Politiker daran erinnern, daß eine solche Vorgehensweise verfassungswidrig wäre.

Dieser blanke Unfug ist ebenso symptomatisch wie die selbstgefällige Haltung hinsichtlich der realen Bedrohung durch das Verbrechen. Zum einen ist eine Alternative à la Schill in Berlin nicht in Sicht. Und auch die CDU, die das Thema für einen Wahlkampfschlager hält, beschränkt sich auf einen oberflächlichen und unzulänglichen Aktionismus.

Die wahre Ursache für die Kriminalität ist zuallererst im Ausländerproblem zu suchen. Die exorbitante Kriminalitätsrate unter einem Teil der Zugewanderten ist hinlänglich bekannt. Ob Rauschgift handelnde Araber, randalierende Kurden oder mordende Russen - Berlin ist Sammelstelle für Kriminelle aus aller Herren Länder. Wen die politische Korrektheit aber zum Phrasendreschen für ein Einwanderungsgesetz verpflichtet, der muß diese Hintergründe leugnen. So wird den Medien der Schwarze Peter zugeschoben. Und der verbale Hinweis auf die Problematik wird mit der Faschismuskeule beantwortet. Die Situation wird dadurch nicht besser. Sie dürfte sich eher zuspitzen, sobald sich die Heerscharen von Autonomen, Dealern und Hehlern aus Hamburg in Richtung Bundeshauptstadt in Bewegung gesetzt haben.


 
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