© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Wissenschaft im entgrenzten Raum
Stipendien: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft setzt auf Internationalisierung
Alexander Barti

Wissenschaft und Forschung sollen „frei“ sein - lautet der bekannte Anspruch rechtsstaatlicher Systeme. Dabei wird übersehen, daß die Wissenschaftler selbst nicht im luftleeren Raum schweben, sondern eingebettet sind in konkrete gesellschaftliche Umstände. Erfahrungen prägen die Vorstellung über ihren Forschungsgegenstand. Hinzu kommt, daß man unmöglich alle Bereiche, alle Fragestellungen bearbeiten kann. Die Selektion aber, die sich aus diesem Problem ergibt, ist ein bewußter Akt - und öffnet der Manipulation Tor und Tür. Besonders deutlich wird die „Unfreiheit“ der Wissenschaft bei der Erforschung von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fragen: Gewisse Themen werden besonders gefördert, andere Bereiche vernachlässigt.

Die Forschungsförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht, was auf die Agenda der Wissenschaft kommt.

Das Ziel steht fest: „Internationalisierung und insbesondere Europäisierung der Wissenschaften ist ein notwendiges Korrelat der Internationalisierung und Europäisierung von Problemen und Fragestellungen“, heißt es im Jahresbericht 2000. Die Stärkung der internationalen Kooperation ist daher ein besonderes Anliegen der DFG, so daß die European Science Foundation (ESF) als Wissenschaftsorganisation unterstützt wird.

Zwei Schwerpunktprogramme waren „Lehr- und Lern-Prozesse in der kaufmännischen Erstausbildung“ und „Globale Umweltveränderungen: sozial- und verhaltenswissenschaftliche Dimensionen“. Erfolgreich beendet wurde nach sechs Jahren das Programm „Effiziente Gestaltung von Finanzmärkten und Finanzinstitutionen“. Auf dem Abschlußkolloquium in Frankfurt am Main dikutierte man die „Agenda für den Finanzplatz Deutschland“. Ganz oben war bei der DFG die rechtswissenschaftliche Forschung in Europa angesiedelt. Dabei geht es vor allem um die Rechtsvereinheitlichung, nicht nur im Zivil- und Strafrecht, sondern in zunehmenden Maße auch im Verfassungsrecht. Gemeinsame rechtshistorische Wurzeln werden freigelegt, zum Beispiel in dem Großprojekt „Grundsätze des Europäischen Vermögensrechts“ von Christian von Bar (Osnabrück), Jürgen Basedow und Ulrich Drobnig (beide Hamburg). Ziel der rechtswissenschatlichen Forschung ist die Schaffung einer Grundlage für einen „European Civil Code“. Als besonders bemerkenswert wird eine Tagung in Berlin zum Thema „Wissenschaftssystem und Wissenschaftspolitik - fachdisziplinäre und fachübergreifende Problemfelder vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR: Kontinuität und Bruchzonen“ erwähnt. Das Symposium mit 130 Wissenschaftlern ging der Frage nach, ob die politischen Systembrüche 1918, 1933 und 1945 auch zu Brüchen in der Wissenschaft geführt haben. Besonderes Augenmerk war dem Thema „individuelle und kollektive Verwicklungen in das NS-Regime und die Taten von Labor- und Schreibtischtätern“ gewidmet.

Bei den Naturwissenschaften standen besonders die Forschungen zur Aufklärung des menschlichen Genoms im Mittelpunkt. Dabei geht es um Fragen, die letztlich „an unserem Menschenbild rühren und unsere entwicklungsgeschichtliche Bestimmung beeinflussen könnten“. Ein nicht weniger bedeutendes Projekt ist die „Ernährungsforschung“, die sich dem „Kampf gegen die Volksseuche Übergewicht“ widmet. Die Wissenschaftler gehen dabei von der These aus, daß „die Ernährung als einer der wichtigsten Faktoren für eine Reihe von Zivilisationskrankheiten anzusehen ist.“ Bei den internationalen Expertengesprächen hat sich herausgestellt, daß im Bereich der Grundlagenforschung ein großes Defizit besteht.

Für das „Deutsche Exilarchiv“ wurde ein Teilnachlaß von William S. Schlamm (1904-1987) aufgekauft. Als „Litauen-Archiv Reklaitis“ konnte der Nachlaß von Prof. Povilas Reklaitis erworben werden; die Sammlung gilt als die wichtigste in Deutschland. Für die Bayerische Staatsbibliothek kaufte die DFG eine Sammlung von Handschriften des Volkes der Yao.

Mit 49 Prozent standen die USA an erster Stelle der für Kongreß- und Vortragsreisen geförderten Zielländer. Kanada folgte mit 8,4 Prozent weit abgeschlagen an zweiter Stelle.

Der DFG standen im vergangenen Jahr 2.347 Millionen Mark zur Verfügung, was gegenüber 1999 eine Steigerung von drei Prozent ausmacht. Ob man mit dieser „Inflationskompensation“ den Standort Deutschland attraktiver gestalten kann, ist zumindest fraglich. Daß talentierte Jungforscher daher weiter abwandern, wird sich nicht so schnell ändern. 


 
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