© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Bühnenspaß und Weltenschlaf
Oper: Willy Decker inszeniert Wagners „Rheingold“ an der Semperoper Dresden
Konrad Pfinke

Am Anfang ist das tiefe Es der Kontrabässe. Am Anfang aber ist auch der Schlaf, ist der Traum, in dessen Tiefenschichten die Geschichten unseres Lebens noch schlummern: ein Traumtheater, wenn man so will.

Götz Friedrich hat einmal auf die Frage, wo der „Ring des Nibelungen“ spiele, die kluge Antwort gegeben: „Auf dem Theater“. Am Anfang des neuen „Ring“, den die Semperoper bis 2002 vollenden wird - der Regisseur Willy Decker imaginiert es sich so, unterstützt von seinem Bühnenbildner Wolfgang Gussmann - , am Anfang steht das Theater, das aus den Wellen der Urschöpfung der Urschöpfungsakte wie aus Erdas Traum aufsteigt. Es ist dies schon ein bezwingendes Bild: Wie da die Stuhlreihen des Theaters der Erda, deren Schlaf bekanntlich Träumen ist, zu den Wellen werden, in denen ihre Rheintöchter geboren werden. Die Bühne - sozusagen die „Ganze Welt“ des „Ring“-Kosmos - wird sogleich hineingeschoben, um zur Plattform für Götter und Zwerge, Riesen und Nixen zu werden. Ist’s Spiel, ist’s Wirklichkeit? Man erfährt es nicht, weil Spieler und Zuschauer permanent die Positionen wechseln und Wotan von der Träumenden im Traum bezwungen wird. Noch werden die Karten gemischt, noch geht es zuweilen sehr „lustig“ auf und vor der kleinen Weltenbühne zu, auch wenn der giftgrüne Alberich heftig seinen Fluch ausstößt, der verfällt, und der Gott in sonderbarer Einsamkeit das hohle Schlußbild akzentuiert - allein den wichtigsten (hier übrigens bewegend inszenierten) Worten der Tetralogie, daß es „traulich und treu nur in der Tiefe“ sei, widerspricht auch dieser „Vorabend“ nicht.

Man könnte die Bilder und die Idee, die diesem „Rheingold“ zugrunde liegt, für hohlen Symbolismus halten, würde nicht Decker auch hier die Symbole von Erd- und Goldkugel, von Bühne und Feuerpfeil, von Speer und Goldhelm, für das Drama retten. Der neue Dresdner „Ring“ nutzt so offensichtlich das Theater, daß sich zwischen Traumtheorie und Theaterwirklichkeit keine Kluft auftut. Mag auch manch Technisches nur technisch funktionieren (wie der „Riesenwurm“, an dem die meisten Regisseure naturgemäß scheitern müssen), so kann man die präsenten Sängerdarsteller bewundern, die sich zwischen den schmalen, selbst die Götter sinnreich beendigenden Stuhlreigen bewegen. Frode Olsens Wotan aber ist, bei allem Belcanto, leider nicht so stimmgewaltig, wie man es erwarten kann. Dafür macht Hartmut Welker beifallprovozierend vor, wie ein Alberich zugleich rauh und ausdrucksstark die Affekte des geknechteten Knechtschinders über die Rampe bringt. In vergleichbarer Intensität und Beweglichkeit darf Roland Wagenführers den Loge bringen - und es ist schön zu hören, wie der Sänger wieder seine vokale Sicherheit gewonnen hat. Johann Tillis fetter Fasolt begeistert mehr als sein ebenso äußerlich karikaturistisch angelegter Bruder (Julian Rodescu), während die im Gegensatz zum Göttergatten sehr verläßlichen Damen - Iris Vermillions Fricka und Camilla Nylunds Freia - den Zuhörer bedauern lassen, daß zumindest die Göttin der ewigen Jugend mit dem „Rheingold“ von der „Ring“-Bühne verschwinden wird. Birgit Remmert, in Bayreuth eine wunderbare Fricka, zieht hier nicht nur den Traumvorhang für Wotan zu, sondern wurde zu einem vokalen Höhepunkt des Abends, ebenso wie das gute Rheintöchterterzett.

Das Ur-Es aber wird unter Semyon Bychkov von einem Orchester angestimmt, unter dessen Leitung die Feinheiten der Wagnerschen Kammermusik und der kleinsten Übergänge zu einem schönen, glasklaren Klang geraten, der auch die hohle, angemessen erschreckend dröhnende Des-Dur-Geste der finalen Wotansmusik legitimiert. So findet der „Vorabend“ auch orchestral eine Erfüllung, in der der Traum und das Theater zu einer spannungsvollen Einheit finden.


 
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