© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001


Deutschland
Werden wir endlich selbständig!
Dieter Stein

Thomas Gottschalk wurde am Montag von Reinhold Beckmann gefragt, ob er sich fürchte in diesen Tagen. Lakonisch meinte der beliebteste deutsche Alleinunterhalter, es sei gefährlicher, mit dem Auto von München nach Nürnberg zu fahren, als mit dem Jumbo von Frankfurt nach New York zu fliegen. Ja, ob man denn fröhlich sein könne und dürfe, hakte Beckmann nach. Gottschalk stellte fest, daß seine Eltern und Großeltern in wirklich kriegerischen Zeiten aufgewachsen seien, und sie hätten das Lachen nicht verloren. Und Patriotismus, wie sei das so in den USA, wo Gottschalk lebe, lege er sich die Hand an die Brust und singe die US-Nationalhymne mit? Gottschalk sagt, es sei ein erhebendes Gefühl, wenn Väter und Söhne bei einer Feier zusammenstünden und sich zu etwas Verbindendem bekennen. Aber in Deutschland sei das ja nicht möglich.

Ulrich Wickert ist dieser Tage scharf kritisiert worden, weil er es gewagt hat, einen kritischen Beitrag über die amerikanische Politik und den amerikanischen Präsidenten zu schreiben. Ulrich Wickert muß man nicht mögen, seine Meinung muß man nicht teilen, um es widerlich zu finden, wie in diesen Tagen in einer musterschülerhaften Weise Tugendterror gegen diejenigen betrieben wird, die nicht bereit sind, sich in die Phalanx der „unbeschränkten Solidarität“ mit den USA einzureihen. Eingefordert wird diese „bedingungslose“ Bündnistreue mit einem hohlen Vokabular, das dem einen noch aus der DDR, dem anderen aus dem Dritten Reich bekannt ist.

Die Worte dieser Tage sind verräterisch und entsprechen der Logik psychologischer Kriegsführung. Man ist verblüfft über die Dreistigkeit, mit der das Publikum einer aufgeklärten Gesellschaft für einen Krieg mobilisiert wird mit dem tumben Vokabular aus Orwells „1984“. Man sagt, es sei kein „Krieg“, es sei eine „begrenzte militärische Maßnahme“, man sagt, man kämpfe gegen den „Terrorismus“ und nicht gegen einen konkreten Feind, man tönt pathetisch vom „Kampf des Guten gegen das Böse“.

Was das ganze mit Gottschalk zu tun hat? Daß die Deutschen staatlicherseits nicht nur kein Minimum an Patriotismus aufbringen, der in eigenen Traditionen wurzelt, sondern darüber hinaus unfähig sind, sich selbst zu behaupten. Deutschland ist trotz vollzogener staatlicher Einheit, trotz Umzug nach Berlin, trotz Teilrückzug der Besatzungsmächte immer noch ein politischer Wurmfortsatz der Vereinigten Staaten.

Man kann, wo es gemeinsame Interessen mit den USA gibt, kooperieren. Es gibt sogar vernünftige Gründe, weshalb aus nationalem Interesse eine abgestimmte Sicherheits- und Außenpolitik mit den USA ratsam ist. Prinzipiell müssen wir aber konstitutionell in der Lage sein, die Politik der USA in Frage zu stellen und die Zusammenarbeit aufzukündigen, wenn die Politik der USA nicht unseren Interessen entspricht.

Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Und das sind im Moment geistig, politisch und militärisch die USA. Das muß ein Ende haben.


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