© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Apathie statt Protest
von Fritjof Berg

Sie lösen sich bei der Ausgestaltung des Tages der Deutschen Einheit ab, die sechzehn west-, süd- und mitteldeutschen Länder. Verdrängt und aus der Seele gerissen ist dabei alles Ostdeutsche. Vom Bundespräsidenten, der ja ein „Präsident aller Deutschen“ sein wollte, bis hin zu den Länderchefs sind offensichtlich alle ängstlich darauf bedacht, am Tage der Einheit keinen legitimierten Sprecher des ostdeutschen Volksteiles zu Wort kommen zu lassen, der bei der unvollendet gebliebenen Einheit ausgegrenzt worden ist - jenes Volksteiles, der mit den politisch-ethischen Wegweisungen der Charta der deutschen Heimatvertriebenen schon vor einem halben Jahrhundert seine Reife für ein geeintes Europa unter Beweis gestellt hat. Wie ist es anders zu erklären, daß Bundestagspräsident Thierse, gebürtiger Breslauer, sich selbst am Tag der Einheit daran beteiligt, in „ostdeutsch“ zu verwandeln, was mitteldeutsch ist und dies sogar im Angesicht des polnischen Staatspräsidenten Kwasniewski.

Der Gastredner sprach von der „Freude“ Polens über die Wiedervereinigung. Aufhorchen lassen seine Worte von einer „deutsch-polnischen Symbiose“ und „gemeinsamen Zukunftsvisionen“. Zu deren Verwirklichung gehört, daß gegenseitige Fremdheit vor allem zwischen der Jugend beider Völker schwindet. Daß sie ohne Furcht und Zwang mit- und nebeneinander auch in der Heimat der Vertriebenen ihre Zukunft bauen kann. Und daß sie, als Voraussetzung hierfür, im Geiste der Wahrhaftigkeit zur Achtung vor denen erzogen wird, die vor ihnen dort einmal ihre Zukunft bauten oder bauen wollten.


 
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