© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Stoiber zaudert noch
Parteien I: Der CSU-Chef hat seine Partei sicher im Griff / Wiederwahl mit Traumergebnis erwartet / Kandidatenfrage in der Union weiter ungelöst
Paul Rosen

Seit dem 11. September, dem Tag des Terrorangriffs gegen die USA, heißt es, die Welt habe sich verändert und nichts sei mehr, wie es einmal war. Für Bayern scheint das bisher nicht zu gelten. Die im Freistaat regierende CSU präsentiert sich unangefochten wie in der Vergangenheit. Am Ende dieser Woche sieht der gerade 60 Jahre alt gewordene CSU-Chef Edmund Stoiber seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender entgegen. Mit ernsthaftem Widerstand gegen Stoiber wird nicht gerechnet.

Auf einer von eher nachdenklichen Äußerungen geprägten Geburtstagsfeier der CSU-Landesgruppe für den Parteivorsitzenden in Berlin sagte Stoiber, Grund des Erfolgs der Christlich-Sozialen sei, daß Bayern und die CSU zu einem Synonym geworden seien. Und dort, wo die CSU regiert, scheint die Welt in Ordnung zu sein: Das Wirtschaftswachstum ist höher als anderswo im Bundesgebiet, die Arbeitslosigkeit unterdurchschnittlich. Und in Hamburg pries der neue Polit-Star, Richter Ronald Schill, Bayern als Vorbild für seinen Kampf um mehr innere Sicherheit im Land. Im Freistaat, so Schill, wolle er nicht mit seiner Partei antreten.

Die Bayern bewegt derweil eine ganz andere Frage: Tritt Stoiber im Wettbewerb um die Kanzlerschaft im nächsten Jahr in Berlin an, oder überläßt er der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel kampflos das Feld? Von der Rostocker Pastorentochter ist bekannt, daß sie nach der Kanzlerkandidatur drängt. Zwar stehen die Aussichten auf Sieg nicht günstig, seitdem Gerhard Schröder sich als erfolgreicher Manager in Kriegszeiten präsentiert und der Kampf einer weltweiten Koalition gegen den Terrorismus die innenpolitischen Probleme wie Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftsschwäche und nicht in den Griff zu bekommende Kostensteigerungen im Gesundheitswesen verdrängt.

Doch Frau Merkel möchte Fakten schaffen. Mit einem Wahlsieg dürfte sie selbst nicht mehr rechnen. Aber mit einem Ergebnis, das über den mageren 35,1 Prozent von 1998 liegen und die Union einigermaßen stabilisieren würde, könnte sie sich auf dem Sessel des Parteivorsitzes halten und dann auch die Fraktionsführung von Friedrich Merz übernehmen. Der Bundestagsfraktion traut Frau Merkel ohnehin nicht; als Vorsitzende, so die Annahme, hätte sie eine bessere Kontrolle über die zu selbständigen Abgeordneten.

Doch die Abgeordneten machen eine andere Rechnung auf: Eine Mehrheit der Volksvertreter favorisiert Stoiber, da sie sich von ihm ein wesentlich höheres Wahlergebnis für die Union verspricht. Das würde die Direktwahlchancen in den Wahlkreisen erhöhen. Doch Stoiber, das ist von ihm selbst aus Äußerungen in kleinem Kreis bekannt, ziert sich. Der große Bayer, der eigentliche Nachfolger von Franz Josef Strauß, der früher auch mit dem Beinamen „das blonde Fallbeil“ geschmückt wurde, erweist sich als der große Cuncator, der Zauderer.

Stoiber wittert neue Stimmungen vor anderen

Trotzdem kann Stoiber bei seiner Wiederwahl mit einem sensationellen Ergebnis rechnen. Vor zwei Jahren war die Lage noch anders. Stoiber geriet damals in den Sog der sogenannten LWS-Affäre, die inzwischen längst vergessen ist. Damals hatte Stoiber seinen Justizminister Alfred Sauter zum Rücktritt gezwungen, dem er die Verantwortung für die Millionenverluste der staatlichen Baugesellschaft LWS aufbürdete. Die Delegierten des Parteitages waren wegen des schlechten Krisenmanagements mit ihrem Chef nicht so zufrieden und straften ihn mit einem für bayerische Verhältnisse schlechten Ergebnis von „nur“ 90 Prozent ab. Jetzt dürften ihm bis zu hundert Prozent und langanhaltender Beifall sicher sein.

Die Delegierten wollen ihrem Chef die Option offenhalten, doch noch als Kanzlerkandidat anzutreten. Und das geht nur mit einem nahezu einstimmigen Ergebnis, obwohl das bayerische Krisenmanagement immer noch nicht das beste ist. Stoibers Zaudern führte dazu, daß die Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit Barbara Stamm wegen Fehlern bei der BSE-Bekämpfung viel zu lange im Amt blieb.

Aber sonst hat die CSU-Führung ihre Hausaufgaben gemacht. Die Bayern stehen bei der Bekämpfung des Terrorismus an der Spitze, egal ob mit Forderungen oder mit Taten. Stoibers rechte Hand, der Innenminister Günther Beckstein, stockte den ohnehin gut gerüsteten Landesverfassungsschutz personell noch weiter auf. In Berlin pocht die CSU darauf, die Bundeswehr auch im Innern zum Objektschutz einzusetzen, während die CDU darüber in Streitereien verfiel.

Schill, da sind sich die Christsozialen sicher, hätte im Freistaat, wo traditionell die Mehrheit der Bevölkerungsschichten die CSU wählt, keine Chance. Stoiber wittert neue Stimmungen vor jedem anderen und versucht auch, widerstrebende Interessen auszugleichen. Aus vorübergehenden Erfolgen der Republikaner hat man gelernt und hört auf Volkes Stimme. Stoiber wurde zum echten Landesvater, der mit einem unruhigen und stets zielstrebigen Geist und mit Kreativität wie die Verkörperung des Schlagwortes „Laptop und Lederhose“ erscheint.

Und damit sind auch die Sorgen Stoibers schon genannt: Er traut eigentlich niemandem anderen in der Partei zu, die absolute Mehrheit im Landtag zu sichern. Gegen Stoiber erscheinen potentielle Nachfolger wie Staatskanzleichef Erwin Huber, Finanzminister Kurt Faltlhauser oder Beckstein als zweite Wahl. Der Sozialexperte der Bundestagsfraktion, Horst Seehofer, könnte das Amt ausfüllen, kommt aber nach bayerischem Politikverständnis nicht in Betracht, weil nur Ministerpräsident werden soll, wer im Landtag sitzt. Für Kopfschütteln sorgte in der CSU zudem ein Bericht der Hamburger Illustrierten Stern, wonach Seehofer gemeinsam mit anderen CSU-Politikern nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 21. Oktober eine Entscheidung erzwingen will. Die Gruppe um Seehofer wolle nach der erwarteten CDU-Niederlage in der Hauptstadt von Stoiber die Zustimmung zur Kandidatur gegen Bundeskanzler Schröder einfordern, schreibt der Stern. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel erklärte, Seehofer habe sich wiederholt schon so geäußert. „Ich kann ihn nicht daran hindern“, sagte Goppel in München.

Edmund Stoiber jedenfalls steht bei der Kandidatenfrage vor einem Dilemma: Ohne Bayern ist die CSU nichts. Für Stoiber steht nicht nur die eigene Zukunft, sondern die Zukunft der Partei auf dem Spiel.


 
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