© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Zurück zu den ideologischen Wurzeln
Das Verhältnis der deutschen Linken zu den USA trägt Züge einer dauerhaften Hassliebe
Werner Olles

Das ambivalente Verhältnis der deutschen nichtkommunisti schen Linken zu den Vereinigten Staaten von Amerika gehört zu einem der am wenigsten erforschten und untersuchten Themenkreise. Das mag unter anderem daran liegen, daß die Linke einerseits bis hin zu den marxistischen Teilen der PDS ihre ohnehin dürftigen amtiimperialistischen Effekte inzwischen gänzlich zu Discountpreisen verschleudert hat, während ihr postmodernistischer Flügel andererseits die USA als ersten Staat der Linken fast bedingungslos verehrt. Bereits Max Horkheimer hatte im März 1967 bei der Eröffnung der Deutsch-Amerikanischen Freundschaftswoche, die er demonstrativ in Begleitung eines US-Generals auf dem Frankfurter Römerberg absolvierte, die Sichtweise des studentischen Protestes zum Vietnamkrieg grundsätzlich kritisiert: „Wenn in Amerika es gilt, einen Krieg zu führen, so ist es nicht so sehr die Verteidigung des Vaterlandes, sondern es ist im Grunde die Verteidigung der Verfassung, die Verteidigung der Menschenrechte...“

Im August 1952 hatte die in Ost-Berlin erscheinende Tägliche Rundschau, die Zeitung der sowjetischen Besatzungsmacht für die mitteldeutsche Bevölkerung, unter der Überschrift „Die Universitäten Westdeutschlands werden keine Kaderschulen der Amis!“ Horkheimer, Adorno und andere Vertreter der Kritischen Theorie als „ideologische Agenten des westlichen Imperialismus“ dargestellt und als „Gewährsleute des State Departments in Washington“ bezeichnet. Als Adorno ein Jahr später, im September 1953, aus den USA zurückkehrte und vom hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung, Ludwig Metzger (SPD), auf einen außerordentlichen Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe-Universität berufen wurde, bürgerte sich in akademischen Kreisen für die Professur rasch die diffamierende Bezeichnung „Wiedergutmachungslehrstuhl“ ein.

Scharfe Abgrenzung vom rechten Antiamerikanismus

Die bürgerlich-demokratische, aber auch die sozialdemokratische Linke hatten in der Tat keinen Grund, antiamerikanische Ressentiments zu pflegen, wenngleich sich die SPD-Opposition im Bundestag gelegentlich deftiger linksnationaler Sprüche bediente. Als Kurt Schumacher beispielsweise Konrad Adenauer während einer Debatte um die Wiedervereinigung sein legendäres „Sie sind der Kanzler der Alliierten!“ entgegenschleuderte, war dies durchaus nicht nur rhetorisch gemeint. Zu tief hatte sich Roosevelts ziemlich undiplomatische Bemerkung über die Deutschen als „nützliches Hilfsvolk“ in die Erinnerung national denkender Linker eingegraben. Und längst vergessen war dagegen, daß die USA nach dem Ersten Weltkrieg beim französischen Einmarsch in das Ruhrgebiet immerhin ihre Truppen aus Protest zurückgezogen hatten.

Eindeutig gegen die USA eingestellt waren auf der linken Seite des politischen Spektrums allein die KPD und ihre Jugendorganisationn FDJ. Gleichwohl ist die Bundesrepublik Deutschland auf einer Karte, die die internationalen Protestaktionen gegen den Koreakrieg in den Jahren 1950 bis 1953 markierte, weiß geblieben. Es gelang den westdeutschen Kommunisten in den Zeiten des Kalten Krieges nicht, größere Massen zu mobilisieren. Als Anfang der sechziger Jahre weltweit gegen die mit Unterstützung der CIA durchgeführte Ermordung des kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba demonstriert wurde, waren es in Westdeutschland gerade einmal ein paar hundert junge Leute aus Verbänden wie der „Naturfreundejugend“ - KPD und FDJ waren inzwischen als „verfassungswidrige Organisationen“ verboten worden - , die sich an solchen Aktionen beteiligten.

Erst Mitte der sechziger Jahre gelang es Funktionären der „Kampagne für Abrüstung - Ostermarsch der Atomwaffengegner“, in der Bundesrepublik erste größere Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg zu organisieren. Ihre Sprecher erklärten jedoch, daß „diese Proteste nicht als antiamerikanisch mißverstanden werden sollten“, das überlasse man den rechtsradikalen Gruppierungen, von denen man sich im übrigen scharf distanzierte. Ein Jahr später, im Februar 1966, kam es in Frankfurt am Main zu ersten handgreiflichen Auseinandersetzungen von SDS-Mitgliedern mit Gegendemonstranten vom RCDS und der Jungen Union, die im Gegensatz zu den radikalen Linken die Unterstützung der US-amerikanischen Intervention in Vietnam durch die Bundesregierung legitimierten. Zu schweren Tumulten kam es auch im Mai 1967, als der Frankfurter SDS und seine Sympathisanten bei der Eröffnung der Deutsch-Amerikanischen Freundschaftswoche auf dem Römer mit Wurfgeschossen, Rauchkerzen und Knallkörpern gegen das militärische Festzeremoniell vorgingen.

Eine antikoloniale Haltung war nicht selbstverständlich

Ein paar Wochen später zog Herbert Marcuses Vortrag über die „Befreiung von der Überflußgesellschaft“ auf dem in London stattfindenden Kongreß „The Dialectics of Liberation“ auch die Aufmerksamkeit der deutschen radikalen Linken auf sich. Vor allem sein Auftreten sollte sich als ein Fanal einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen der Neuen Linken und den USA erweisen. Das bisher eher still und verhalten geäußerte traditionell altlinke Unbehagen an den USA und ihrer interventionistischen Politik wich nun einer klaren antiamerikanischen Frontbildung, die dann mittels des Vietnamkrieges und des auslaufenden Prozesses der Dekolonialisierung zu einem zentralen Motiv der Interpretationsvorstellungen der „Neuen Linken“ wurde. In dieser moralisch-politischen Einteilung der Welt in Unterdrücker und Unterdrückte schien der Standort der USA eindeutig ausgemacht zu sein. Der Realkonflikt zwischen dem kommunistischen Nordvietnam und den USA samt ihren südvietnamesischen Vasallen wurde nicht am Ort seines Geschehens belassen, sondern vielmehr ideologisch in längst vergangen geglaubte Traditionszusammenhänge der historischen Linken gestellt.

Eine antikoloniale Haltung gehörte jedoch nicht wie selbstverständlich zum Ideologiearsenal der Linken. Die Tradition der Sozialdemokratie in dieser Frage war immer höchst ambivalent gewesen, und selbst die Kommunisten hatten sich, etwa in Algerien, einer eindeutigen Haltung versagt. Vor allem die deutsche Linke irritierte die in ihren Augen unschickliche, weil ungebrochene Demonstration von Nationalbewußtsein, und man begriff hier kaum, daß der antikoloniale Widerstand sich eben nur in nationalistischer Form, nicht jedoch in universalistischer Gestalt zu realisieren vermochte. War die Nähe der traditionellen nichtkommunistischen Linken zu den USA primär der Wehmut nach ihren früheren Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geschuldet, bot man nun in höchster Abstraktheit die Menschenrechte an, um das gleiche Land einer geharnischten Kritik zu unterziehen.

Eigentlich konnte die deutsche Linke jedoch nur das vertreten, was in der anglo-amerikanischen Tradition unter „radicals“ verstanden wird: Linksliberale, die eintreten für Gleichheit und Menschenrechte. Aber die Kulturrevolution von 1968, die ja in den Hörsälen und auf dem Campus der Universität von Berkeley im sonnigen Kalifornien geboren wurde und eben nicht in verstaubten, finsteren Bürostuben des sowjetischen KGB oder des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit traf in Deutschland auf den psychischen Resonanzboden einer linken Gesinnung, die sich paradoxerweise mittels humanistischer Prinzipien gegen jegliche eigene Identität immunisierte. Der hochfahrende Internationalismus gepaart mit universalistischen Gewißheiten erahnte zwar dunkel das verherrlichende Moment seiner USA-Kritik als Verding-lichung des Guten, verlor jedoch in den Jahren des offenen Terrors schließlich jedes moralische Maß.

Selbstverleugnung als mißratenes Kind der 68er

Die Enttäuschung über die USA, die - wie falsch und verlogen auch immer - ihre nationalen Interessen verfolgten, schlug in bittere Aggression um. Solcher Verbitterung entgeht jedoch in der Regel auch die in ihr verborgene Wahrheit: Neben dem Hineinphantasieren in die Zeitgenossenschaft Marx’ und Lenins bildete die Studentenbewegung der späten sechziger und siebziger Jahre mit ihrem brachialen Antiamerikanismus auch die historische Nachhut des tüchtigen, kulturkonservativen Bürgertums der zwanziger und dreißiger Jahre. Die heutige postmodernistische und bis zur Selbstverleugnung proamerikanische Linke dürfen wir hingegen getrost als mißratenes Kind dieser Achtundsechziger-Bewegung begreifen. Mit ihren ideologischen Rechtfertigungen für Militäraktionen und Bombenteppiche durch die von den USA dominierte Nato ist diese gesellschaftlich bewußtlos gewordene Linke endlich zum vollgültigen Mitglied einer Gesellschaft avanciert, der es freilich an kulturellen Inhalten und sinnhaften Zielen mangelt, die sie zwar durch narzistische Performances linkisch und hektisch auszugleichen bemüht ist, die aber jede Art von bekennendem Marxismus zynisch auf den neuesten Stand der Globalisierung bringt. In der letzten verbliebenen Weltmacht hat diese Linke nun nach langem Suchen ihr Alter ego gefunden: ein grenzenloses, multikulturelles Weltreich, in dem die politische Macht nicht mehr -wie einstmals erträumt - aus den Gewehrläufen kommt, sondern sich aus den in der Verfassung garantierten Menschenrechten speist.

Nach dem ersten Schock über die Terrorangriffe vom 11. September in den USA demonstrierte die deutsche Linke einmal mehr ihre Haßliebe gegenüber den USA. Während die demokratische, liberale und staatsnahe Linke in der Sozialdemokratie, den Grünen und dem Reformflügel der PDS - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ihre unverbrüchliche Solidarität mit Amerika bekundete, vermochten Teile der intellektuellen Kultur-Linken nicht ihre antiamerikanischen Ressentiments zu unterdrücken. Führende Vertreter der Antifa-Linken wie der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz oder die Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler verurteilten die heimgesuchten Zwillingstürme als „Zeichen der Arroganz“ oder als „Phallus-Symbole“. Der Verband Deutscher Schriftsteller (VDS) trieb seine Ressentiments auf die Spitze mit der bizarren Erklärung, „der Geist vom 9. November 1938 dürfte nie wieder Fuß fassen“, und meinte damit ohne jede Ironie die von der US-Regierung angedrohten Gegenmaßnahmen. Von der „Erhabenheit der Katastrophe“ dozierte auch der Intellektuellendarsteller Roger Willemsen und äußerte „sublimes Behagen“, daß nun endlich „wieder gedacht“ werden dürfe. Im Berliner Tagesspiegel geißelte Reinhard Mohr diese „aggressiv-ignorante Variante geistig-seelischer Hilflosigkeit“ der linken Polit- und Kulturschickeria, nachdem ihm sein Hausblatt Der Spiegel die Spalten für seine proamerikanische Haltung verweigert hatte.

Die am äußeren linken Rand des politisch-publizistischen angesiedelte Jungle World, ein Spaltprodukt des ehemaligen FDJ-Zentralorgans Junge Welt, schlug sich hingegen auf die Seite der USA. Während die Junge Welt im Anschluß an die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum der PDS und im Gefolge der Neomarxisten Herbert Marcuse und Noam Chomsky behauptete, der Terrorismus sei die notwendige und gerechtfertigte Folge der imperialistischen Unterdrückung, war sich die Jungle World ausnahmsweise mit der reformerischen PDS-Führung einig und sprach von „kritischer Solidarität“ mit den USA. Nicht die „fanatischen Enkel Che Guevaras“ hätten in den Flugzeugen gesessen, sondern die Repräsentanten „einer faschistischen Ideologie mit islamischem Antlitz“. Es gelte daher die „progressiven Elemente des US-amerikanischen Selbstverständnisses, die unmittelbar dem aufklärerischen Denken entstammten: Der Ablehnung der Religion oder der Herkunft als Grundlagen der Politik“ zu verteidigen. „Ekelhaft“ finde man die „klammheimliche Freude auch vieler Linke darüber, daß es bei den Anschlägen doch irgendwie den Richtigen getroffen“ habe.

Die proamerikanische radikale Linke wertet die Terrorangriffe als „Dschihad gegen den American Dream“. Eine antiemanzipatorische Bewegung versucht den US-Schmelztiegel - wobei nicht zur Kenntnis genommen wird, daß die USA dies gerade nicht sind - zu zerstören: Grund genug, sich auf die Seite der „Guten“ zu stellen. Die antiamerikanische Linke begeht hingegen den gleichen Fehler wie ihre Vorgänger 1968. Damals solidarisierte sich eine völlig entnationalisierte kulturrevolutionäre Bewegung mit extrem nationalistischen „Befreiungsbewegungen“, wie der vietnamesischen FNL und der PLO. Heute solidarisiert sich eine hedonistisch vermasste gottlose Linke mit asketisch-gnadenlosen „Gotteskriegern“.


 
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