© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Ein willkürliches Protektorat geschaffen
Bosnien-Herzegowina: Die Kroaten-Partei der Herzegowina widersetzt sich EU-Repräsentanten / Katholische Bischöfe in Washington
Carl Gustaf Ströhm

Unerhörtes geschah letzten Samstag in der herzegowinischen Hauptstadt Mostar: Einstimmig wählten 540 Delegierte des „Sabor“ - des kleinen Parteitags der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) - Ante Jelavic zum Vorsitzenden der kroatischen nationalen Partei in Bosnien-Herzegowina. Jelavic war erst im März diesen Jahres wegen angeblichen Verstoßes gegen das Dayton-Abkommen vom „Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft“, dem österreichischen Diplomaten Wolfgang Petritsch, aller seiner Ämter (Parteivorsitzender und Vertreter der Kroaten im Staatspräsidium) enthoben und mit einem Verbot jeglicher politischer Betätigung belegt worden - ein wohl einmaliges Vorgehen im heutigen Europa (siehe JF-Interview 19/01).

Jetzt wurde er im Triumph wiedergewählt. Auf die Frage, was wohl Petritsch dazu sagen würde, antwortete ein bosnischer HDZ-Politiker: „Soviel ich weiß, ist Petritsch nicht Mitglied der HDZ und kann daher auch nicht bestimmen, wer unser Vorsitzender sein wird.“ Aus dem „Amt des Hohen Repräsentanten“ kamen Töne der „Besorgnis“ über die kroatische Ungehorsamkeit - aber bisher gab es keine schärferen Reaktionen.

Das mag damit zusammenhängen, daß sich die Lage seit einigen Wochen grundlegend geändert hat: die Muslime, bisher bevorzugte Lieblingskinder des „Hohen Repräsentanten“ in Bosnien, sind nach den Anschlägen von New York und Washington ins Zwielicht geraten (wenn auch in diesem Falle gewiß schuldlos). Bosnien-Herzegowina besteht seit dem Dayton-Abkommen von 1995 aus der muslimisch-kroatischen Föderation (51 Prozent des Staatsgebietes) und der serbischen Republik in Bosnien. Und noch am 25. September erklärte Petritsch in einem Interview mit dem Wiener Standard: „Viele Kroaten - vor allem Anhänger der HDZ-Politik - fühlen sich durch die Bosnisch-Kroatische Föderation nicht wirklich vertreten. Man darf nicht vergessen, daß die kroatische Volksgruppe durch den Krieg den größten Exodus hinzunehmen hatte - an die 50 Prozent der bosnischen Kroaten verließen das Land. Aus diesem Humus der Bedrohtheit, des Bedrohungsgefühls konnte die extremistische Führung der HDZ ihre Kraft ziehen. (…) Ich habe den Konflikt mit diesen extremistischen Kräften ganz bewußt in Kauf genommen.“

Doch die vom früheren SPÖ-Politiker Petritsch gehorsam nachvollzogene amerikanische „Multi-Kulti-Linie“ wird neuerdings sogar in den USA in Zweifel gezogen. Die Kroaten in Bosnien-Herzegowina, die sich als kleinste der drei Volksgruppen (neben Moslems und Serben) diskriminiert fühlten, haben in manchen ihrer Warnungen, etwa vor dem islamistischen Fundamentalismus, recht behalten.

In den USA hat sich eine Veränderung des politischen Denkens bereits lange vor dem 11. September 2001 angebahnt. So wurden bereits im Juni die beiden höchsten katholischen Seelenhirten Bosniens, der Erzbischof von Sarajevo, Kardinal Vinko Puljik, und der Bischof von Mostar, Ratko Peric, vom US-Repräsentantenhaus und dem Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses, Henry J. Hyde, nach Washington eingeladen und dort über die Situation auf dem Balkan und das nationale Problem befragt.

Die Initiative dazu war von amerikanischen Kongreßabgeordneten katholischen Glaubens ausgegangen. Die Abgeordneten waren besorgt darüber, daß in Bosnien-Herzegowina, wie sie sagten, „amerikanisches Geld und amerikanische Soldaten dazu benutzt werden, um eine katholische (d. h. kroatische) Bevölkerung zu diskriminieren“. Die amerikanischen Abgeordneten wollten sich nun aus erster Hand über die „andere Seite“ informieren und nicht länger den einseitigen Berichten der internationalen Emissäre trauen. Besonders befremdet zeigten sich die Kongreßabgeordneten über den US-Botschafter in Sarajevo, Miller, der versucht habe, die Errichtung eines Gipfelkreuzes auf einem Berg bei Mostar mit der Begründung zu untersagen, daß dadurch die „religiösen Gefühle der Moslems“ verletzt würden.

Ein weiterer Hintergrund für den Washington-Besuch der beiden katholischen Oberhirten war das Resultat einer von den Amerikanern in Bosnien veranstalteten Meinungsumfrage, aus der sich ergibt, daß die Politik des „hohen Repräsentanten“ Petritsch, der die sogenannten nationalistischen Parteien zerstören und durch multikulturelle Organisationen ersetzen wollte, auf der ganzen Linien gescheitert ist.

Von einer „schweren ethnischen und politischen Enttäuschung“ der bosnischen Kroaten sprach Kardinal Puljic bei der Washingtoner Anhörung. Der Kardinal forderte die USA dazu auf, dazu beizutragen, daß in Bosnien eine „ethnisch ausgewogene Demokratie“ entstehe. Die USA sollten auch dafür sorgen, daß alle Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Häuser zurückkehren könnten. Bisher seien hier die Kroaten und Moslems gegenüber den Serben eindeutig benachteiligt. Wörtlich sagte der Kardinal: „Die Kroaten sind enttäuscht, weil die Funktionäre der internationalen Gemeinschaft sich weigern, die Ergebnisse der jüngsten demokratischen Wahlen anzuerkennen. Die internationalen Funktionäre weigern sich, wirksamen Druck auf die Republika Srpska (die serbische Republik in Bosnien) auszuüben, um die sichere Rückkehr von 200.000 vertriebenen Kroaten in ihre Häuser zu ermöglichen.“

Die amerikanischen Gastgeber waren konsterniert, als der Kardinal sie darüber informierte, daß der geänderte Wahlmodus zu einer absurden Situation geführt habe: weil jene Kroaten in höchste Funktionen nach Sarajevo entsandt wurden, welche nicht von ihren eigenen Landsleuten, sondern von Moslems und Serben über die Liste der postkommunistischen bosnischen SPD gewählt wurden. Von 95 Prozent der Kroaten würden diese Leute als „nicht vertrauenswürdig“ abgelehnt, sagte der Kardinal. Die Kroaten hätten daher die „Kroatische Volksversammlung“ ins Leben gerufen. Die große Mehrheit der Kroaten habe mehr Vertrauen in die Volksversammlung und die HDZ als in die wenigen Kroaten, die als Alibi-Gestalten in den Strukturen der Föderation tätig seien. Kardinal Puljic warnte die Amerikaner mit folgenden Worten: „Der herzegowinische Teil der enttäuschten Kroaten könnte sich dem Extremismus zuwenden, während die Kroaten in Mittelbosnien einfach auswandern würden, wenn sie nicht das Gefühl haben, daß Bosnien auch ihre Heimat sein kann.“ Der Kardinal warf den Vertretern der internationalen Gemeinschaft in Bosnien vor, die wahre Lage des Landes nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen.

Ratko Peric, der streitbare Bischof von Mostar, hielt den US-Abgeordneten vor: Jeder Versuch, aus Bosnien-Herzegowina einen melting pot der Assimilation verschiedener Nationen zu machen und jedes Bemühen, die hier lebenden Völker in „Jugoslawen“ oder „Bosniaken“ zu verwandeln, werde in Zukunft ebenso scheitern, wie es bisher unter verschiedenen Regimen gescheitert sei. Nicht nur die Bürger als einzelne, sondern auch die nationale Identität müsse geschützt werden. Fazit des Bischofs: Die internationalen Machthaber hätten Bosnien in ein „willkürliches Protektorat“ verwandelt.


 
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