© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Fehlentscheide und Mißwirtschaft
Swissair: Die Terroranschläge in den USA sind Anlaß, aber nicht Ursache für den Konkurs der Schweizer Fluglinie
Rolf Hegetschweiler

Keinem Unternehmen schadete das Nein des Schweizer Volkes vom 6. Dezember 1992 zum Beitritt in den Europäischen Wirtschftsraum (EWR) so sehr wie der Fluggesellschaft Swissair. Fortan wurde das Schweizer Fluggeschäft vom mühseligen bilateralen Verhandeln um Verkehrsrechte bestimmt. Marktbehinderung und Wettbewerbsnachteile waren die Folge. In dieser Zeitperiode brachte zudem eine Serie von Managementfehlern die Fluggesellschaft immer mehr in eine Schieflage und führte sie letztlich in den Ruin.

Unter den schwierigeren Bedingungen nach verhinderten Beitritt zum EWR (EU plus Staaten der Freihandelszone EFTA) hätten die verbleibenden Optionen besonders sorgfältig abgewogen werden müssen. Die grobe Überschätzung der eigenen Stärke manifestierte sich im Widerstand gegen die Einbindung in eine Allianz. Erst das vielversprechende Projekt „Alcazár“ führte dann zu einer realistischeren Betrachtung. Mit den Unternehmungen KLM, SAS, Swissair und AUA sollte im Anteilsverhältnis von 30:30:30:10 ein Verbund geschaffen werden, welcher in Bereichen wie Flugzeugwartung und Abfertigung bis hin zum Marketing positive Synergien erzeugen sollte. Die Folge wäre eine massive Senkung der Kosten je Passagier-Kilometer gewesen. Dann waren es aber die Uneinigkeiten in der Wahl eines gemeinsamen US-Partners (Swissair arbeitete mit Delta-Airlines, KLM mit Northwest), welche die bereits weit fortgeschrittenen Pläne zur Verschmelzung der Unternehmen platzen ließen.

Nach dem Nein zu „Alcázar“ nahm der Druck, die eigene Position in Europa zu stärken, von Delta Airlines sowie Singapore Airlines stetig zu. Swissair war zu schwach vernetzt, so daß die Flugzeuge der außereuropäischen Partner über die Drehscheibe Zürich mit zu wenigen Passagieren bedient wurden.

Nach der Aufkündigung von unbeständigen und kapitalmäßig wenig abgesicherten Kooperationen mit AUA, SAS sowie Finnair stand die Swissair erneut alleine da. Als Reaktion darauf wurde im Frühjahr 1995 mit einer 49,5-prozentigen Beteiligung bei Sabena eingestiegen. An diesen Anteilen behielt sich der belgische Staat zwar eine Call-Option vor, die er aber nie einlöste. Unter dem Druck von Delta-Airlines, weiter auszubauen, wurde in den folgenden Jahren auf aggressive Weise die Flotte von Sabena aufgestockt.

Anfang 1996 verpflichtete man Philippe Bruggisser für den Posten des Chief Operating Officer. Noch im selben Jahr stieß er auf die Stufe des CEO vor, verstärkt durch den Amerikaner Jeffrey Katz. Für Sabena war 1996 ein schlechtes Jahr, sie stürzte betrieblich ab, und Swissair schrieb ihre Beteiligung von 267 Millionen Franken auf Null ab. Ein weiterer schwerer Schlag war der Wechsel von Singapore Airlines von der QualiflyerGroup zur Star Alliance (u.a. Lufthansa und United Airlines).

1998 schloß die Swissair mit einem blendenden Geschäftsergebnis ab und wechselte in der Euphorie den Kurs. Die bereits nicht mehr neue Idee einer forschen Expansion wurde in die Tat umgesetzt. Die Teilübernahmen von AOM (Frankreich) und LTU (Deutschland) machten den Anfang. Nachdem der langjährige Partner Delta zu Air France hinübergewechselt war, jagte eine Akquisition die andere: 20 Prozent an South African Airways, 34 Prozent an der portugiesischen TAP und der Einstieg bei der Portugália, der Air Littoral und bei LOT waren die Stationen. Inzwischen verließ auch die AUA die QualiflyerGroup Richtung Star Alliance. Die Minderheitsbeteiligung bei der Air Liberté war ein weiterer Schritt. Da die Übernahme einer Kontrollmehrheit in Europa nicht möglich war, ohne den EU-Status zu verlieren, hielt sich die Swissair jeweils an Minderheitsbeteiligungen.

Mit dem Ziel der Positionierung an vierter Stelle im europäischen Flugverkehr (neben British Airways, Air France und der Lufthansa) hatte sich die Swissair übernommen. Bei dieser „Hunter“-Strategie wurden zu wenig Sicherungen eingebaut. Fahrlässigerweise ging man teilweise sogar Abnahmeverpflichtungen für restliche Aktienpakete ein - einer der größten Fehler. Bruggissers Expansionskurs wurde von nun an häufiger durch den Verwaltungsrat und mehr und mehr durch drohenden Geldmangel gebremst. Erst im Laufe des Jahres 2000, als die Swissair finanziell bereits schwer angeschlagen war, wurde aber vom forschen Vorwärtskurs abgewichen. Dazu taten die hohen Kerosinpreise in Belgien Deutschland und Frankreich massive Finanzlöcher auf.

Auf den beginnenden Sinkflug reagierte der Verwaltungsrat mit der Entlassung Bruggissers, ohne einen Nachfolger zu ernennen. Nachträglich gaben sich dann mehrere Nachfolger nach kurzen Gastspielen die Klinke in die Hand, bis der Verwaltungsrat im März dieses Jahres in zwei Etappen demissionierte. Mario Corti blieb und war fortan der starke Mann im Betrieb. Das Erbe, das er antrat, war allerdings in einem desolaten Zustand und seine Mission, die Airline noch zu retten, chancenlos.

Corti hatte mehrere Brände gleichzeitig zu löschen. Früher eingegangene Verpflichtungen mußten erfüllt und parallel dazu die defizitären Beteiligungen schleunigst abgestoßen werden, um der Kostenspirale zu entfliehen. Die zentrale Aufgabe bestand aber im Erstellen und Umsetzen einer kompletten Restrukturierung. Der Eindruck entstand, daß sich die Swissair-Führung im letzten Halbjahr mehr und mehr damit abmühen mußte, Fehlerquellen zu evaluieren und das Tagesgeschäft noch korrekt abzuwickeln, denn an längerfristige Pläne denken zu können. In den vergangenen zwei Monaten jagten sich die Meldungen von besorgniserregenden Liquiditätsengpässen in immer kürzeren Abständen. Sie gipfelten in einem letzten Aufbäumen am Wochenende vom 29. und 30. September und der Stillegung des Flugbetriebs am 2. Oktober.

Die tragischen Ereignisse vom 11. September in New York hatten der ohnehin schwer schlingernden Airline den Todesstoß versetzt. Die Einzelheiten gingen um die Welt, und die Frage steht im Raum, ob es in Zukunft wieder eine starke schweizerische Fluggesellschaft geben wird. Selbst in Frankreich saß der Schock tief. Es schien unfaßbar, daß in der Schweiz der Verlust eines nationalen Symbols auf diese Weise und so plötzlich passieren konnte. Daß am Abgrund geflogen wurde und Crash-Gefahr bestand, war offensichtlich. Dies zeigt auch, daß die Swissair ihre Image-Grundpfeiler Verläßlichkeit, Solidität und Qualität schon vorher eingebüßt hatte. Und wo das nicht schon passiert ist, wird es jetzt geschehen.

Wirtschaftlich, touristisch und kulturell ist die Schweiz derart mit der Welt verbunden und auf sie angewiesen, daß einer eigenen, starken Fluglinie vitale Bedeutung zukommt. Wie der Wiederaufbau geschehen wird, ist noch unklar. Eines muß aber unmißverständlich festgehalten werden: Ohne eine überzeugende und langatmige Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Angestellten der Swissair wird sich das Vorhaben von vornherein auf dünnem Eis bewegen.

 

Rolf Hegetschweiler, 63, ist Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und seit 1991 Schweizer Nationalrat. Er sitzt in der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen.


 
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