© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Frisch gepreßt

Massaker. Am 31. Juli 1945 ereignete sich in der nordböhmischen Stadt Aussig an der Elbe eine große Explosion, die von den Tschechen zum Anlaß genommen wurde, einen Pogrom gegen die dortige deutsche Bevölkerung zu starten. Dieses „Massaker von Aussig“ stellte einen traurigen Höhepunkt in der böhmischen Nachkriegsgeschichte dar. Darüber hinaus wurde der von vermeintlich deutschen „Werwölfen“ durchgeführte Sprengstoffanschlag dazu genutzt, die „Unverläßlichkeit“ der Deutschen in der Tschechoslowakei zu beweisen und die bis dahin schon stattgefundenen „wilden“ Vertreibungen wie auch die Sanktionierung des weiteren „ordnungsmäßigen Abschubes“ der Sudetendeutschen vor den zeitgleich in Potsdam tagenden Alliierten zu legitimieren. Otfrid Pustejovski, Münchener Slawist und Historiker, trägt in seinem Werk anhand einschlägiger Dokumente und der aktuellen Auswertung tschechischer Archive erhellende Fakten zusammen, die die Verwicklung radikal-tschechischer Kräfte in die konstruierte Aktion darlegen, um einen der Vorwände zur Vetreibung der Sudetendeutschen zu bilden (Die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig am 31. Juli 1945. Herbig Verlag, München 2001, 575 Seiten, 79,90 Mark).

Willy Brandt. Gregor Schöllgen, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen und gleichzeitiges Vorstandsmitglied der Willy-Brandt-Gesellschaft, porträtiert den Ex-Kanzler in einer, wie er selbst angibt, distanziert-vertrauten Art und Weise. Durch sein jahrzehntelanges Studium des Lebens dieses Politikers, der zeitweise wie kein anderer die deutsche Gesellschaft polarisierte, gelingt ihm diese Porträtierung allerdings eher als Vertrauter denn als Kritiker Brandts. Trotzdem ist die beachtliche Akzeptanz dieses Werkes (innerhalb eines Monats auf Platz 5 der Spiegel-Sachbuchliste) berechtigt, da Willy Brandt, egal wie man ihn politisch beurteilt, sicherlich zu den spannenderen Viten des letzten Jahrhunderts zählt, vielfach exemplarisch zur Leiste des Zeitgeschehens (Willy Brandt: Die Biographie. Propyläen, Berlin 2001, 320 Seiten, 48,90 Mark).

Kalter Krieg und Koexistenz. Ebenso wie die Schöllgen nimmt sich eine wissenschaftliche Arbeit in Form der Dissertation von Wolfgang Schmidt an der Phi-lipps-Universität Marburg der Politik Willy Brandts an. Schwerpunkt dieser ungemein faktenreichen Arbeit ist die Entwicklung der deutschland- und außenpolitischen Vorstellungen und Konzepte des späteren Kanzlers in seiner Berliner Zeit zwischen der Blockade 1948 bis zum ersten Passierscheinabkommen 1963. Interessant ist die These, daß Brandt lange vor Egon Bahr, sogar noch vor dem Mauerbau, seine später umgesetzte „Politik der kleinen Schritte“ als „Wandel durch Annäherung“ konzeptionell entwickelte. Schmidt zeigt die diametral der westdeutschen Hallstein-Diplomatie entgegengesetzte politische Geistesentwicklung eines Berliner Bürgermeisters, den Erfahrungen als oberster „Frontstädter“ in einer Zeit des niedergeschlagenen Ungarnaufstandes und des Mauerbaus zum Trotz (Kalter Krieg, Koexistenz und kleine Schritte. Willy Brandt und die Deutschlandpolitik 1948-1963. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2001, 572 Seiten, 78 Mark).


 
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