© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Auf anregende Weise anders
Biographische Annäherung: Joachim Fest hat bewegende Momentaufnahmen aus dem Leben seines Freundes Horst Janssen festgehalten
Thorsten Thaler

Daß sich dem Gleichen stets der Gleiche nähert, wußte schon Platon und weiß heute immer noch der Volksmund. Als der Publizist und Historiker Joachim Fest im Sommer 1973 seinem Freund Horst Janssen eröffnete, daß er zum Jahreswechsel als Herausgeber der FAZ nach Frankfurt gehe, zeigte sich Janssen tief getroffen und verletzt. Einen Freund wie Fest, der ihm so weit entfernt und dennoch so nahe sei, daß er von gleich zu gleich mit ihm reden könne, den habe er nicht und den werde er auf lange Zeit auch nicht finden. Drei Tage später offenbarte er Fest, dessen Hitler-Biographie kurz vor dem Abschluß stand, einen der Gründe, warum er von dessen Weggang aus Hamburg so gekränkt sei. „Er (Janssen) sprach davon, daß er mich seit langem als seinen Biographen ausersehen habe“, notierte Fest am 7. Juni 1973. „‘Hitler und Janssen‘, sagte er, ’der große Massenmaniac und der große Einzelmaniac, der Inszenierer von Menschenhaufen und der Inszenierer eines Haufens Mensch‘ - beides aus der gleichen Feder: das habe er als unüberbietbar empfunden“.

Sechs Jahre nach dem Tod Horst Janssens - er starb am 31. August 1995 an den Folgen eines Schlaganfalls - hat sich der Wunsch des Zeichners und Graphikers erfüllt. „Selbstbildnis von fremder Hand“ lautet der Titel einer biographischen Annäherung von Joachim Fest an den Mann, mit dem ihn eine über 25 Jahre währende enge Freundschaft verband. Die Gesprächsnotizen aus dieser Zeit spiegeln vor allem die Brüche und Ungereimtheiten in Janssens exzentrischer Lebensgeschichte und zielen darauf ab, wie Fest in seiner Einleitung vermerkt, „ein paar Züge zum Bild des merkwürdigsten Menschen beizusteuern, der einem begegnen konnte“. Weit entfernt, eine geschlossene biographische Darstellung zu sein, ergeben die bewegenden Momentaufnahmen das Porträt eines von seinen Obsessionen getriebenen Künstlers, dessen Rang in der deutschen Malerei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in lichten Höhen siedelt.

Die Aufzeichnungen setzen im März 1971 ein und reichen bis zu Janssens Tod. Sie enthalten neben der Wiedergabe von Allerweltsgesprächen, dem Austausch über Werkstattfragen und Reflexionen über zeitgenössische Kunst teils erheiternde, teils haarsträubende Episoden aus Janssens Leben, seinen ständigen Kampf gegen den Alkohol und seine wechselhaften Beziehungen zu Frauen.

„In nahezu allen sachlichen Fragen“, schreibt Fest, „stießen unsere Auffassungen begreiflicherweise hart aufeinander. Aber das machte zugleich den unwiderstehlichen Reiz dieser Gespräche aus.“ Die häufig gestellte Frage, wie zwei so offenkundig unterschiedliche, nach Wesen Temperament und habituellem Verhalten sogar höchst gegensätzliche Charaktere soviel Interesse füreinander entwickeln und über Jahre hinweg aufrechterhalten konnten, beantwortet er mit dem Hinweis, sie hätten sich nicht als fremd, sondern „auf anregende Weise anders“ empfunden. Zudem sei Janssen ein Mensch gewesen, „wie ihn sich keine Phantasie erdenken“ konnte. Ein begnadeter Geschichtenerzähler, scharfsinnig und einfallsreich, unterhaltend und liebenswürdig, großzügig, empfindsam und anhänglich, launisch, unberechenbar, unruhig bis hektisch, tyrannisch, roh und brutal - das sind nur einige der Attribute, die Fest Janssen zuschreibt. „Nie hat sich mir ohne Rest erschlossen“, so Fest, „wie und warum er selbst in den halbwegs beruhigten Jahren soviel auszehrende Macht über Menschen und Gemüter gewann. (…) Es war ein Abenteuer, dem niemand sich entziehen konnte, der einen Sinn für die Absonderlichkeiten des Menschenwesens hatte.“

Die „Mühen-des-auf-der Welt-Seins“ beginnen für den am 14. November 1929 in Hamburg unehelich geborenen Horst Janssen sehr früh. Seine Mutter stirbt, als er gerade 13 Jahre alt war, über seinen Vater erfährt er jahrzehntelang nichts außer dem Namen. „Es gab nicht mal die leere Stelle, wo sein Platz hätte sein müssen“, zitiert Fest aus einem Gespräch mit Janssen im Februar 1972. Nach dem Krieg gelingt es der Tante, die Janssen adoptiert hatte, den erst 16jährigen an der Landeskunstschule Hamburg anzumelden. Er avanciert zum Meisterschüler von Alfred Mahlau, muß aber 1952 wegen einer Auseinandersetzung mit dem Direktor der Landeskunstschule das Studium abbrechen. Im Jahr darauf - Janssen war bereits dem Alkohol zugetan - kommt es zu einem Eifersuchtsdrama in der Wohnung eines Freundes, Janssen verletzt dessen Frau, wird verhaftet und wegen versuchten Mordes angeklagt. Das Gericht spricht Janssen zwar von dem Mordversuch frei, verurteilt ihn aber wegen Trunkenheit zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten. Als er kurz darauf erneut wegen Trunkenheit mit dem Gesetz in Konflikt kommt, verfällt die Bewährung.

Seinen künstlerischen Durchbruch erlebt Janssen 1965 mit seiner ersten Werkschau in der Kestner-Gesellschaft in Hannover, die im folgenden Jahr in mehreren Städten Deutschlands sowie in Basel gezeigt wird und seinen Ruf als „Jahrhundertkünstler“ begründet. Er heimst zahlreiche Auszeichnungen ein, darunter den Edwin-Scharff-Preis der Stadt Hamburg (1966) und den Schiller-Preis der Stadt Mannheim (1975). Sein Œuvre umfaßt weit über 20.000 Zeichnungen, Radierungen und Aquarelle, dazu kommen Dutzende von Buchveröffentlichungen. Kunstkritikern wie Wolfgang Hildesheimer gilt Janssen als „monomanisches Genie“ und „epochale Ausnahme“.

„In allem, was er je unternahm, war eine Art Besessenheit im Spiel“, schreibt Joachim Fest, wobei der Alkohol Janssens lebenslanger Begleiter bleiben sollte. Am 13. August 1972 notiert Fest diese Äußerung Janssens: „Die Götterknilche da oben haben sich’s einfallen lassen, mich reich zu beschenken. Aber da sie Kaufleute sind, haben sie sich’s bezahlen lassen. Sie haben mir ein verrücktes Temperament und obendrauf noch den Alkohol gegeben. Wenn sie mich gefragt hätten: Ich hätte diese Geschenke nicht geschenkt haben wollen.“ Immer wieder folgten den Phasen produktiver Hochstimmung die Abstürze, ständig balancierte Janssen auf dem schmalen Grat zwischen Weltenbezwingung und Weltuntergang. Dabei entwickelte Janssen im Laufe der Jahre immer deutlicher ein für Alkoholiker typisches Verhaltensmuster: einerseits beklagte und verfluchte er sein „Leiden an der Flasche“, andererseits kokettierte er damit, sein Alkoholproblem im Griff zu haben. Er sei der einzige Mensch, zitiert Fest am 3. Februar 1987 aus einem Gespräch mit Janssen, der den Alkohol „zum vertrauten Gefährten habe und nicht zum Feind. Er stehe mit ihm Arm in Arm, manchmal auch Stirn an Stirn. Aber er bestimme, ob der Alkohol beim Anklopfen hereindürfe und wo er sich dann hinstellen müsse; mal stumm und unterwürfig hinten in die Ecke, mal ausgelassen und närrisch ganz vorn.“

Janssens unbestrittenes Talent, der sichere Strich und virtuose Umgang mit verschiedenen, gleichsam ineinander verwobenen Realitätsebenen, der seinen Bildern eine bedrängende Intensität verleiht, sowie seine ungeheure Produktivität stehen dazu nicht im Widerspruch; es sind vielmehr zwei Seiten ein und derselben Medaille. Janssen selbst bezeichnete sein Leben wie sein künstlerisches Schaffen als einen „beständigen Todeskampf“. Die zentralen Motive seiner Arbeiten kreisen - zumeist in Gestalt von Selbstbildnissen - um die Begriffe Verfall und Verwesung, Sterben und Tod, zwei seiner beeindruckendsten Zeichenserien tragen die Titel „Hanno’s Tod“ und „Totentanz“.

Ein halbes Jahr vor seinem eigenen Tod wollte Janssen zusammen mit Joachim Fest noch zu einer Feier anläßlich des hundertsten Geburtstags von Ernst Jünger am 29. März 1995 nach Saalgau fahren. Janssen fühlte sich seit vielen Jahren zu dem Schriftsteller hingezogen, Jünger hatte ihn bereits zu seinem 85. Geburtstag eingeladen, zu dem Janssen ihm die Zeichenmappe „Nigromontanus“ mit Illustrationen zum „Abenteuerlichen Herzen“ widmete. Welche große Bedeutung gerade dieses frühe Buch von Jünger für Janssen hatte, gibt Joachim Fest in einer Gesprächsnotiz vom 2. August 1984 wieder. In diesem Titel habe er, Janssen, sich wiedererkannt, durch ihn sei er zum Lesen verführt worden. „Viele Arten von Dämonen und Angstmachern trieben sich in dem Buch zwischen den Zeilen herum. Aber Jünger verstehe es unnachahmlich, sie auf Distanz zu halten, sich nicht bange machen zu lassen. Manchmal überrasche er auch durch ungewöhnliche, abseits aller nomalen Denkbahnen liegende Einfälle. Er schlage dann sozusagen aufs gelassenste Seitenwege ein, die andere nicht einmal wahrnähmen: Insoweit habe er das Buch wie eine ’Rezeptionsvorschrift‘ gegen seine eigenen Gespenster gelesen.“

Auf Anraten seiner Ärzte mußte Janssen die Reise jedoch absagen. In einem Brief vom 5. März 1995 an Fest skizzierte er den von Gespenstern umgebenen Kopf Jüngers, darunter schrieb er: „ach mein lieber Freund - also diesmal wird’s nix.“ Drei Wochen später erlitt Janssen einen schweren Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte.

Joachim Fest: Horst Janssen. Selbstbildnis von fremder Hand. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 336 Seiten, Abbildungen, gebunden, 44,79 Mark


 
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