© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001


Fernsehen: Oooh, Uuups, Wow & die Ansichten der „neuen“ Frau in „Sex and the City“
Hauptverkehrszeit auf Pro 7
Ellen Kositza

Selten wurde eine Fernsehserie so vehement beworben wie diese. Pro 7 , der Sender, der ja schon mittels seiner nachmittäglichen Entblößungs-Talkshows konnsequent auf intime Sexgeständnisse setzt, hat es freilich bitter nötig. So nahm man sich den Vox-Erfolg „Ally McBeal“ zum Vorbild und setzt nun ein Deftiges drauf: „Sex and the City“. Ally McBeal, allgemein als „Kultfigur der Mittdreißiger“ apostrophiert, ist der karriereorientierte Typ Frau um die 35, bei der, sozialethisch gesehen, jahrzehntelange Pubertätsphase und noch ausstehende Wechseljahre gleichsam ineinander übergehen dürften. Das eint sie mit Carrie, Miranda Samantha und Charlotte, den vier schicken Protagonistinnen der ebenfalls US-importierten Dienstagabendserie. Karrierefrauen sind sie alle, Rechtsanwältin, Galeristin, Journalistin und PR-Agentin. Die vier Ladies auf Stöckelschuhen leben in Manhattan - „Sex and the City“ heißt ja „Geschlechtsverkehr und die Stadt“, und nicht von ungefähr geht es hier um eine wohl spezifisch städtische Art des Kopulierens, vielmehr der Balz und des Sprechens darüber. Die Stadt, einmal mehr und diesmal affirmativ gefaßt als Spitze der Zivilisation.

Was Georg Simmel dereinst - 1902 in „Die Großstadt und das Geistesleben“ - in seiner phänomenologischen Analyse der Erfahrungs- und Wahrnehmungsnorm des urbanen Typus darstellte, wird von Carrie und Co. nun bejahend und aus verquast-feministischer Sicht vorgeführt. Menschen ohne Mitte und die lärmende „City“, die in höllischem Tanz sich selbst zu verschlingen anschickt. Während Simmel und anschließend der lyrische Expressionismus die entseelende Mechanisierung des Lebens in der Stadt vor Augen führte, zeigen die rolligen New Yorkerinnen hier die Mechanisierung der Sexualität aus dem Geiste der Emanzipation. Die deutsche Ausgabe der „literarischen“ Vorlage titelt treffend „Am Bett vorbei ist voll daneben“.

Filmisch findet das geschlechtliche Verkehren in verbaler Rückschau statt, die visuell nicht einmal Softporno-Qualitäten erreicht - wär’ ja auch noch schöner. Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) „arbeitet“ als „Sexkolumnistin“ beim New York Star und zeichnet ihre Affären und die ihrer Freundinnen in mitteilsamer Offenheit auf: Das ist keine „Affäre“, das ist ein Fick-Ding, empört sich sogleich Miranda über die Terminologie, und die korrekte Wortwahl hat artig dem Vorsatz zu folgen, den die vier pelzbemäntelten Damen in der ersten Folge faßten: künftig Sex zu haben „wie ein Mann“. Das heißt in jener Diktion: ohne Gefühle, und warum sollte das nicht funktionieren, solange für Verhütung gesorgt ist. Ein Schelm, wer hier an den mottigen Witz über die Adjektivbildung von „Herr“ und „Dame“ per Suffix „-lich“ denkt …

Künftig also ist das Privatleben der alten Mädels trunkene Party pur, nur gelegentlich durchtränkt von kleineren Nöten, etwa wenn Charlotte in Abhängigkeit von einem Sexspielzeug gerät oder ihr Liebhaber sie zu ihr weniger genehmen Praktiken drängt, ein Problem, das eigentlich keines ist, wie ihr die Freundinnen raten, denn vorn oder hinten, ein Loch ist ein Loch, hihihi - cool die girls, heiß ihre Witze.

Wie gewagt, wie modern und nie gesehen das alles! Carrie und ihre Freundinnen stellen sich nämlich nicht als männermordende Feministinnen dar, die Front wird vielmehr zwischen Singlefrauen und Ehegattinnen aufgetan: Unser Kampf gegeneinander ist wie in Nordirland, im Grunde sind wir alle gleich und nur durch Zufall auf gegnerischen Seiten gelandet, subsumiert Carrie in gewohnt weiser Überschau den Krieg der tickenden biologischen Uhren.

Den da hab ich gebumst, den da und den da …: Hier spricht, als gefrustete Single-Madam auf einer durch Pärchen dominierten Party, Samantha die Schreckliche, Medienagentin und ein abgehalftertes Stück Weib, das mit Vorliebe und einer ordentlichen Alkoholration intus biedere Ehegatten und Jugendliche in ihr Schlafgemach zieht. Männer um die zwanzig sind so etwas wie die neue Designer-Droge, Sätze wie Hammerschläge donnern auf den staunenden Zuschauer. Und mehr noch: Alle Männer sind eine Droge, manchmal ziehen sie dich runter, manchmal machen sie dich high. Schier endlos der bahn- und tabubrechende Aphorismenstrom der Journalistin, die im übrigen in Buchautorin und Koproduzentin Candace Bush-nell ein reales Vorbild hat. Ganz generell koresponiert der aufgeweckte Inhalt mit einer originellen Sprache: Oh, wow, ein altmodischer Lederclubsessel, wie wundervoll: Sätze wie dieser tragen weder einen Hauch Ironie in sich, noch sind sie einer schludrigen Übersetzung anzulasten. Oooh, Uuups, Wow: Yeah, so spricht die moderne junggebliebene Amerikanerin.

Neben den gängigen stürmischen Vergnügen für eine Nacht mit heißen Umklammerungen und wilden Verrenkungen wird’s manchmal richtig niedlich, etwa wenn Erzählerin Carrie von einem romantischen Abenteuer (erst haben wir fünf Stunden nur geknutscht!) berichtet: Gerade als ich dachte, daß es schöner nicht sein könnte, machte er die Löffelchenstellung ... Nichtsdestotrotz folgt auch hier ein messerscharfes und ultimatives good-bye - und auf zu neuen Ufern.

Statt mit Spott übergossen wird die Serie jedoch mit Ruhm überhäuft. In den USA ist sie auf dem Abonnenten-Kanal HBO (der sich als progressive Ausnahme im Gegensatz zu den prüderen TV-Sendern versteht) zu sehen und erreichte dort einen herausragenden Marktanteil von bis zu 14 Prozent. „Sex and the City“ wurde mit verschiedenen Preisen, darunter vier Golden Globes ausgezeichnet, und auch hierzulande schätzt man den „klugen Witz“ (Die Welt) und das „selbstbewußt-autonome“ Auftreten der vier Stöckel-Babes. Umfragen im privaten Umkreis haben ergeben, daß die Sendung als „ziemlich geil“ (Männersicht) bewertet wird beziehungsweise „den Nagel auf den Kopf trifft“ (weibliche Singlesicht).

Neben der „Ally McBeal“-Manie spricht auch der Erfolg des derzeitigen Kinofilms „Bridget Jones“ - auch hier ein Blick auf das Lust-Frust-Dasein einer generell alleinstehenden Mittdreißigerin - eine deutliche Sprache. So ganz neu ist das Single-Thema nicht, bereits in den späten Achtzigern erfuhren Bücher wie „Beim nächsten Mann wird alles anders“ Millionenauflagen. Bezeichnend auch, daß die versinglete Gesellschaft gerade Frauen ein existentiell verstandenes verfilmungsreifes Anliegen verschafft. Dazu paßt wiederum die typisch amerikanische Ummäntelung des eskapistischen Daseins als Körper pur: Über allen dates, Fummeleien und vollendeten Kohabitationen schwebt der kindlich-märchenhafte Wunsch nach endgültiger Erlösung durch den Traumprinzen, den perfekt gestylten und wohlhabenden Mann, der auch jenseits seines Genitals die erhoffte Erfüllung verspricht. Hochzeit in Weiß, trautes Heim, endlich den Graben wechseln, um an der Front der Ehefrauen kämpfen zu dürfen.

„Sex and the City“ wird seit dem 18. September dienstags um 21.15 und 21.45 Uhr in Doppelepisoden auf Pro Sieben ausgestrahlt. Vorerst sind 30 Folgen vorgesehen.


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