© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   43/01 19. Oktober 2001


Schlacht der Lügen
Krieg und Propaganda: Kritik an den USA ist nicht mehr opportun
Michael Wiesberg

Mitte vergangener Woche verschaffte sich der saudi-arabische Prinz El Walid Ibn Talal einen Eindruck von den Zerstörungen in New York. Dabei wagte der Prinz, einige kritische Bemerkungen über die US-Außenpolitik zu machen. Die Regierung der USA sollte „ihre Politik im Nahen Osten überdenken und in bezug auf die palästinensische Frage einen ausgewogenen Standpunkt einnehmen“, meinte El Walid. In Palästina würden von Israel weiter arabische „Brüder massakriert“, während die Welt nach New York blicke.

Der republikanische Bürgermeister New Yorks, Rudolph Giuliani, wertete diese vergleichsweise moderate Einlassung des Prinzen, der an seiner Anteilnahme für die Opfer des 11. Septembers keinen Zweifel gelassen hat, als Versuch einer „moralischen Rechtfertigung für den Anschlag“ und lehnte daraufhin eine Spende El Walids in Höhe von zehn Millionen Dollar ab.

Vorfälle wie diese scheinen dem Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass recht zu geben, der feststellte, daß sich die laufende Anti-Terror-Kampagne unter Führung der USA zu einem „latenten Kriegszustand über Jahre“ hin ausdehnen könnte. Damit solidarisch zu sein, davon halte er nichts.

Die Wut, mit der nonkonforme Äußerungen im Hinblick auf die Außenpolitik der USA in diesen Tagen geächtet werden, zeigt an, was mit der Formel „Wir sind alle Amerikaner“ wirklich gemeint ist. Nicht nur um Solidarisierung geht es hier, sondern zuvorderst um Übernahme des puritanisch-messianischen Gut-Böse-Schemas, in das die US-Gesellschaft komplexe politische Auseinandersetzungen hineinzuzwängen gewohnt ist. Dieses Selbstverständnis ist im Denken der Amerikaner quasi von Anfang an angelegt. So waren für George Washington die USA ein „neues Jerusalem“, „von der Vorsehung als Bühne gedacht, auf der der Mensch seine wahre Größe erreichen muß“. Thomas Jefferson definierte die Vereinigten Staaten als „eine Weltnation, die weltweit gültige Ideen verficht“.

Dieser Anspruch erklärt, darauf hat kürzlich wieder der französische Publizist Alain de Benoist hingewiesen, sowohl den Isolationismus in Form einer extrem-defensiven Selbstisolierung als auch den in diesen Tagen so aktuellen „Kreuzzug gegen das Böse“ als Ausdruck eines raum- und grenzenlosen Pan-Interventionismus der USA. Benoist bezeichnet Isolationismus und Kreuzzugsdenken als zwei Facetten ein- und derselben messianisch-puritanischen Berufung und „gleichzeitig als ein bezeichnendes Beispiel dafür, daß der politische Universalismus stets nur eine Maske eines besonderen, im Weltmaßstab ausgedehnten Modells“ sei. Der Staatsrechtler Carl Schmitt hat immer wieder auf die Konsequenzen dieser Sichtweise hingewiesen. So schrieb er 1943, daß „eine globale Linie, die die Welt nach gut und schlecht in zwei Hälften einteilt“, eine „Plus- und Minuslinie moralischer Bewertung“ darstelle. „Sie ist eine fortwährende politische Herausforderung an den gesamten anderen Teil des Planeten, wenn sie sich nicht streng auf die Defensive und Selbstisolierung beschränkt.“

Die Konsequenz dieser „messianischen Gewißheit“ liegt auf der Hand: Das, was für Amerika gut ist, muß zwangsläufig auch gut für alle anderen „Gesellschaften“ auf dieser Welt sein. Die US-Außenpolitik zielt demgemäß darauf ab, und hier liegt der tiefere Sinn des „Wir sind alle Amerikaner“, eine „vereinheitlichte Menschheit zu schaffen, die keine Außenpolitik mehr braucht“ (Benoist). Daß dies einer Absage an das Wesen des Politischen gleichkommt, liegt in der Natur dieses Anspruches. Denn das Wesen des Politischen wird immer noch durch das definiert, was die Lebensinteressen eines Volkes als ein einheitliches Ganzes betrifft.

US-Kriege können vor diesem Hintergrund gar nicht anders denn als „moralische Kreuzzüge“ inszeniert werden. Der Feind wird mit dem „Bösen“ schlechthin identifiziert, der außerhalb des Maßes des Menschlichen steht. Carl Schmitt stellte in diesem Zusammenhang fest, daß „die Aufhebung aller Maße und Grenzen“, die den „amerikanischen Pan-Interventionismus“ kennzeichne, nicht nur „global“, sondern „total“ sei. Sie betreffe auch „die inneren Angelegenheiten, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Verhältnisse“ und gehe „mitten durch Völker und Staaten hindurch“. Dieser Pan-Interventionismus kann aktuell nur zwischen den Befürwortern der amerikanischen Interventionspolitik gegen den Terrorismus und Befürwortern oder vermeintlichen Unterstützern der Terroristen unterscheiden. Tertium non datur.

US-amerikanische „Kreuzzüge“ gehen in der Regel mit der Enteignung des Denkens einher, wie nicht nur der „Fall Wickert“, um hier nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, deutlich gemacht hat. Dieser Enteignung des Denkens entspricht die Verschleierung von Tatsachen, wie sie zum Beispiel im Golfkrieg, hier und da als „Schlacht der Lügen“ bezeichnet, augenfällig geworden ist.

Der Fall Wickert ist aber auch deshalb instruktiv, weil hier ein Nachrichtensprecher, der nicht genug daran tun konnte, sich selbst als „weltoffen“ und „politisch-korrekt“ zu inszenieren, Opfer einer „politischen Korrektheit“ geworden ist, an deren Manifestation er mitgewirkt hat. Der „Tagesthemen“-Moderator hatte unter Berufung auf die indische Schriftstellerin Arundhati Roy in einer Kolumne der Illustrierten Max dem US-Präsidenten George W. Bush und Osama bin Laden die „gleichen Denkstrukturen“ bescheinigt.

Politische Korrektheit normiert die Sprache in der Absicht, vermeintlich „humanes Denken“ zu erzwingen. Politische Korrektheit ist „Herrschaft durch Sprache“. Geht es den 68ern und ihren Parteigängern darum, mittels „Missionierung“ eine vermeintlich „gerechte Gesellschaftsordnung“ herbeizuzwingen, haben sich die USA eine „neue Weltordnung“ auf ihr Panier geschrieben, die langfristig in eine „menschliche Weltgesellschaft“ unter Führung der USA einmünden soll.

Linksliberale wie Wickert müssen nun erleben, wie die Waffe „politische Korrektheit“, die sie in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Konservativismus oder gegen „Rechts“ bedenkenlos eingesetzt haben, sich nun gegen deren Initiatoren wendet. Sie werden nun gezwungen, politisch-korrekt die Politik der USA ohne Wenn und Aber mitzutragen. Sie werden nun Opfer von Fahndern, die nach politisch Unkorrektem in einem Land fahnden, das die Politik der USA regierungsamtlich „ohne Vorbehalte“ mitzutragen hat. Wer hier nicht miteinstimmt, wird günstigstenfalls eines „dumpfen Antiamerikanismus“ bezichtigt, schlimmstenfalls als „Terroristensympathisant“ abqualiziert und aus der „öffentlichen Diskussion“ eliminiert.


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