© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
„Wir berichten die Wahrheit“
Medien: Ibrahim Helal, Chefredakteur des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira, über Journalismus und Propaganda
Moritz Schwarz

Herr Helal, Ihrem Kanal wurde von der al-Quaida das Videoband mit der am vergangenen Sonntag weltweit ausgestrahlten Rede Osama bin Ladens zugespielt. Zudem können Sie als einziger Sender der Welt live aus Kabul berichten. Offenbar ist al-Dschasira der einzige Fernsehsender, dem Osama bin Laden vertraut. Warum?

Helal: Al-Dschasira läßt eben eine Vielzahl von Standpunkten zu Wort kommen. So haben wir es etwa auch den acht in Afghanistan festgenommenen Mitarbeitern von Shelter Now ermöglicht, über ihre Anwälte mit ihren in Islamabad weilenden Angehörigen Kontakt aufzunehmen. Wir verstehen uns als ein Fensters heraus aus Afghanistan. Eigentlich ist dieses Privileg aber keine Frage, ob bin Laden uns vertraut oder nicht, ausschlaggebend ist vielmehr die Tatsache, daß wir über eine Satellitenverbindung verfügen, die es uns ermöglicht, aus Afghanistan zu berichten, ohne erst ein Videoband über die Grenze schmuggeln zu müssen.

Sie haben schon früher Ihre guten Beziehungen zu den Taliban unter Beweis gestellt. Sympathisieren Sie mit ihnen?

Helal: Wir schlagen uns auf keine Seite. Wir haben uns vor drei Jahren zur Einrichtung eines Büros in Kabul entschlossen und haben allein deshalb so gute Kontakte zu den Taliban. Und wir haben trotzdem immer noch genug Schwierigkeiten, denn es ist zum Beispiel nach der Taliban-Interpretation verboten, einfach Bilder zu filmen, also müssen wir stets manövrieren, um Bilder aus Afghanistan zu senden. Also sind wir darauf angewiesen, unsere Beziehungen zu den Taliban zu pflegen. Die Vermutung, wir hätten Sympathien für sie, entbehrt jeder Grundlage. Schließlich interviewen wir genauso Repräsentanten der Nordallianz.

Betrachten Sie die Taliban als Vertreter der islamischen Kultur und des Volkes von Afghanistan?

Helal: Oh nein, die Taliban können keinesfalls als die Repräsentanten des Islam gelten. Und ich glaube, künftig müssen sich deshalb die islamischen Führer und Gelehrten klarer abgrenzen.

Ihr Korrespondent Tayseer Allouni berichtet als einziger Journalist direkt aus Kabul. Hat er Kontakt zu Osama bin Laden?

Helal: Nein, die Leute bin Ladens nehmen bei Bedarf Kontakt mit uns auf. Und wäre irgendein weiterer Fernsehsender vor Ort in Kabul, würde eventuell er von den al-Quaida-Leuten ausgesucht, um ihre Botschaften an die Weltpresse zu übermitteln. Tatsächlich ist es unser Büro in Islamabad, das die besseren Kontakt zu al-Quaida hat, und nicht das in Kabul. Die Taliban wollen nämlich nicht, daß sie in den Augen der Weltöffentlichkeit mit al-Quaida „vermischt“ werden. Das Büro in Kabul wird von al-Quaida eigentlich überhaupt nur dann kontaktiert, wenn es darum geht, Bilder zu senden.

Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, wo sich Osama bin Laden versteckt hält?

Helal: Natürlich wissen wir auch nicht mehr, als daß er sich in Afghanistan aufhält. Allerdings ist Afghanistan ein großes Land, und wegen der dortigen Topographie ist es sehr leicht, sich dort zu verstecken. Bin Ladens Sohn ließ bereits verlautbaren, sein Vater verstecke sich in einer der zahllosen Höhlen Afghanistans und diese Höhle könne allerhöchstens durch Atomwaffen zerstört
werden.

Das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel-TV berichtet, die USA haben Scheich bin Chalifa al-Thani, den Emir von Katar, aufgefordert, al-Dschasira zu schließen, da Ihr Sender unzensiert als das Sprachrohr Osama bin Ladens fungiere.

Helal: Das stimmt nicht, wir wurden lediglich gebeten, vorsichtiger bei der Verbreitung solcher Verlautbarungen wie der Rede bin Ladens zu sein.

Vorsichtiger?

Helal: Sie wagen es nicht, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen.

Wie interpretieren Sie, daß es überhaupt ein solches Ansinnen gibt?

Helal: Offiziell begründet man dieses Vorgehen mit dem Argument, solche Verlautbarungen könnten codierte Informationen für die Anhänger bin Ladens außerhalb Afghanistans enthalten. Das kann ich natürlich nicht ausschließen. Aber ich vermute zwei weitere Gründe dahinter: Zum einen können die amerikanischen Medien nicht ertragen, daß eine große Krise stattfindet, ohne daß sie direkt vor Ort sind. Ich glaube, sie sind eifersüchtig auf uns. Es ist ihr Krieg, und sie können nun nicht einmal direkt davon berichten. Zweitens versuchen wohl verschiedene arabische Staaten, die USA dazu zu bewegen, gegen al-Dschasira vorzugehen, weil sie uns für sehr gefährlich halten, denn wir berichten die Wahrheit und verschweigen nichts.

1999 bombardierte die Nato unter dem Vorwurf der Propaganda den Fernsehsender in Belgrad. Fürchten Sie einen Angriff auf Ihr Büro in Kabul?

Helal: Ich glaube, es war ein Fehler von den Amerikanern, in Belgrad einen Fernsehsender zu bombardieren. Aber wir sind in einer ganz anderen Situation, denn wir sind nicht der Fernsehsender des Feindes, sondern neutrale Berichterstatter. Wenn die USA das tatsächlich hätten tun wollen, wäre es wohl schon passiert, denn der Standort unseres Büros ist allgemein bekannt. Wir informieren die US-Regierung auch immer wieder, wo sich unsere Korrespondenten in Afghanistan aufhalten. Wir sind nicht die Quelle, sondern lediglich das Fenster all der Informationen, die wir weiterverbreiten. Wir kennen die Quellen selber nicht und hoffen daher, nicht ins Visier zu geraten.

Die großen amerikanischen Fernsehstationen - sogar CNN - haben sich gegenüber der US-Regierung einverstanden erklärt, ihre Berichterstattung freiwillig zu zensieren.

Helal: Nun, das ist natürlich ihre Sache, es steht uns kaum zu, uns in ihre Geschäftspolitik einzumischen. Wir fühlen uns jedenfalls immer dem ganzen Bild verpflichtet.

Glauben Sie an das Postulat des Westens von der „Pressefreiheit“?

Helal: Zumindest glaube ich an die Integrität unserer Arbeit. Wir werden uns jedenfalls nicht von all den Vorwürfen gegen uns beeinflussen lassen.

Die USA haben gemäß den Reden Präsident Bushs den Angriff auf New York als Krieg akzeptiert, damit ist Osama bin Laden eine Art Kombattant. Warum gestatten sie ihm dann nicht, seine Positionen in Ansprachen öffentlich zu machen?

Helal: Offiziell geht es zwar nur um die Gefahr versteckter Botschaften in seinen Reden, aber sie fürchten natürlich, diese Verlautbarungen könnten die Moslems der Region gegen die USA aufwiegeln. Natürlich ist es das Recht der Amerikaner, so zu denken. Wir aber glauben, daß sich die Menschen kein eigenes Bild machen können, ohne alle Seiten gehört zu haben. Wie sollen sie wissen, mit wem sie es überhaupt zu tun haben auf der anderen Seite, wenn sie diese Informationen nie sehen? Wie sollen sie, vor allem die amerikanischen Bürger selbst, ihren Gegner einschätzen können und auch die Gefahr, die vielleicht von ihm ausgeht? Wie sieht er aus, wie denkt er, was will er tatsächlich? Ich glaube, um ihr eigenes Wohlergehen sicherzustellen, müssen die Menschen auch die andere Seite dieser Angelegenheit kennen.

Wissen Ihre westlichen Kollegen darüber Bescheid, was wirklich in Afghanistan geschieht?

Helal: Gegen geringe Gebühr und ohne eine Kontrolle durch uns können unsere Kollegen aus dem Westen ihre Nachrichten über unsere Sendeeinrichtungen an ihre Heimatstationen senden. Dabei ist uns nicht zu Ohren gekommen, daß sie sich je beschwert hätten, es würde ihnen irgendwo in Afghanistan der Zugang verwehrt.

Wie objektiv ist die Berichterstattung Ihrer westlichen Kollegen?

Helal: Ich glaube, daß sie sich in der Tat um Objektivität bemühen. Aber natürlich verstehe ich auch, daß es nach den terroristischen Akten am 11. September schwer sein mag für die amerikanischen Kollegen, wirklich objektiv zu bleiben.

Wie stellt sich die Situation in Afghanistan tatsächlich dar, wie schwer ist das Land wirklich von den amerikanischen Luftangriffen getroffen?

Helal: Bezeichnend ist, daß offenbar einige der amerikanischen Flugzeuge mit ihrer Waffenlast an Bord zu ihren Fliegerhorsten zurückkehren, weil sie keine Ziele mehr für ihre Bomben gefunden haben. In Washington gibt es ja offenbar zwei Lager, das des Verteidigungsministers Rumsfeld und das des Außenministers Powell. Powell unterscheidet sich doch sehr vom militärisch denkenden Rumsfeld, und er sucht nach einer Beendigung des militärischen Vorgehens durch eine politische Lösung. Ich denke, daß er hinter den Kulissen mit Pakistan, vielleicht auch mit den Taliban verhandelt.

Werden die USA Osama bin Laden tatsächlich stellen?

Helal: Das wüßten wir alle gern.

Die westlichen Medien sprechen von etwa 200 getöteten Afghanen seit Beginn der Bombardements am 7. Oktober. Ist das eine realistische Zahl?

Helal: Wir haben haben völlig zerstörte Dörfer gesehen, ebenso die vielen verletzten Menschen, und wir haben Augenzeugen befragt: Einer versicherte zum Beispiel, sein Dorf sei dreimal in einer Nacht bombardiert worden. Aber letztlich wissen auch wir nicht, wieviele Opfer es bisher wirklich gegeben hat. Fest steht: viele Zivilisten sind den Angriffen der Amerikaner zum Opfer gefallen.

Wie stehen Sie zu den anglo-amerikanischen Bombenangriffen?

Helal: Die Beteiligung der Briten ist ja nur eine symbolische, um dieses Bündnis politisch zu fundieren. Ich verstehe natürlich, daß Washington reagieren mußte. Und tatsächlich haben sich die Amerikaner nach dem 11. September durchaus als geduldiger erwiesen, als allgemein erwartet wurde. Bitte haben Sie Verständnis, daß ich meine persönliche Meinung nicht weiter ausbreiten kann, aber in meinem Geschäft hat man seine persönlichen Ansichten hintanzustellen - ja, Sie dürfen sie eigentlich nicht einmal im Hinterkopf behalten, denn sie könnten Ihre Arbeit unzulässig beeinflussen.

Handelt es sich bei den Luftangriffen um ein Verbrechen?

Helal: Da die USA wissen, daß sie dabei Zivilisten töten - aber natürlich. Wenn absichtlich Zivilisten bombardiert werden, wie auch immer der Grund dafür lauten mag, dann ist das doch zweifellos ein Verbrechen!

Wird sich die Operation politisch als ein großer Fehler erweisen?

Helal: Es ist eben die Strategie des Krieges, es muß bombardiert werden. Letztlich ist es nicht an mir, darüber zu urteilen, eigentlich ist das Sache der ganzen Welt. Die USA kennen den Preis, es ist ihre Entscheidung.

 

Ibrahim Helal geboren 1968 in Kairo. Nach dem Studium der Politikwissenschaft begann er als Redakteur beim ägyptischen Fernsehen. Danach wechselte er zur BBC und 1996 zum arabischen Nachrichtensender al-Dschasira. Seit Juli 2001 ist Helal Chefredakteur des Senders.

 

Al-Dschasira:Der 1996 im Golf-emirat Katar gegründete Sender berichtet derzeit als einziger aus der afghanischen Hauptstadt Kabul und ist damit zur wichtigsten Informationsquelle im Konflikt mit den Taliban und Osama Bin Laden geworden. Al-Dschasira lieferte Bilder von der Sprengung der Buddha-Statuen in Bamiyan und filmte exklusiv die Hochzeit des ältesten Sohnes bin Ladens im Januar. In der vergangenen Woche sendete al-Dschasira ein Video, in dem Osama bin Laden erneut zum „Heiligen Krieg“ aufruft.

 

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