© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Im Windschatten der Weltpolitik
Bundesregierung: Trotz drohender Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und einer verfehlten Ausländerpolitik gewinnt Gerhard Schröder an Ansehen
Paul Rosen

Ohne den 11. September, den Tag der Terroranschläge in den USA, sähe die deutsche Innenpolitik anders aus. Berater des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zeigten sich am Rande des CSU-Parteitages in Nürnberg überzeugt, daß die Union ohne die weltpolitischen Veränderungen bessere Chancen gegen den innenpolitisch und wirtschaftlich in schwieriges Fahrwasser kommenden Kanzler Gerhard Schröder gehabt hätte. Aber seitdem die westliche Welt und darüber hinaus noch viele andere Staaten sich zu einer Anti-Terror-Koalition zusammengeschlossen haben und auch Deutschland mit Gesetzesänderungen und Sicherheitspaketen auf die terroristische Herausforderung antwortet, steigt Schröders Stern. Der Niedersachse gilt - wenn sich die politischen Eckwerte in Deutschland und Europa nicht noch nachhaltig ändern - schon jetzt als Sieger der nächsten Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres.

Als „Kriegsgewinnler“ war bereits Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) bezeichnet worden, der durch zahlreiche Flüge mit der Flugbereitschaft und durch Badefotos mit seiner Gräfin jede Autorität verloren hatte (die JUNGE FREIHEIT berichtete). Als Scharping dann noch am 11. September im Verteidigungsausschuß des Bundestages die Briten indirekt einer Verschwörung gegen die deutschen Truppen in Mazedonien verdächtigte, wäre er selbst nach Überzeugung seiner eigenen Genossen zum Rücktritt reif gewesen. Weitere Scharping-Plaudereien, zum Beispiel über die Ausrufung des Bündnisfalls durch die Nato an einem Tag, an dem der Nato-Rat in Brüssel gar nicht beschlußfähig war, hätten zu normalen Zeiten auch zum Rücktritt gereicht. Aber es herrscht Kriegsstimmung in Deutschland, und die Frontberichte aus Afghanistan und aus der arabischen Welt interessieren die Öffentlichkeit mehr als die Kapriolen des von niemandem mehr ernst genommenen Verteidigungsministers.

Jetzt haben die Bundesbürger Schröder als den richtigen Kanzler entdeckt und setzten ihn laut ZDF-Politbarometer auf Platz eins der Beliebtheitsskala deutscher Politiker. Der bislang immer vorne liegende Außenminister Joseph Fischer ist überrundet. Und selbst Innenminister Otto Schily (SPD) taucht, nachdem er sich mit seinen Sicherheitspaketen und Forderungen nach Fingerabdrücken in Ausweisen einen „rechten“ Namen gemacht hat, in der Beliebtheitsskala auf. Einziger Oppositionspolitiker, der noch ernsthaft mit Schröder mithalten kann, ist Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, während die Zustimmung für die unglücklich operierende CDU-Chefin Angela Merkel kaum noch meßbar ist.

Dabei erinnert Schröders Lage teilweise an den Sommer 1999, als die rot-grüne Koalition nicht einmal ein Jahr nach ihrem Start am Ende zu sein schien. Damals, vor dem Hochkommen der Spendenaffäre, gewann die CDU eine Wahl nach der anderen, die klare Haltung der Union gegen die von Rot-Grün propagierte doppelte Staatsbürgerschaft hatte den Stein des Erfolges für die Opposition ins Rollen gebracht. Auch jetzt würde sich die Ausländerpolitik wieder als Thema anbieten: Bei fast vier Millionen Arbeitslosen ist es der Mehrheit der Bundesbürger kaum oder gar nicht zu vermitteln, daß mit dem Zuwanderungsgesetz weitere Ausländer ins Land geholt werden sollen.

Die von Schily vorgelegte Neuregelung sieht sogar vor, daß hierzulande als Drogenhändler tätige Ausländer ihre Familien in das Bundesgebiet nachziehen lassen können. Nicht nur Stoiber spricht da von „Wahnsinn“. Doch der Krieg gegen den Terrorismus verkürzt die rot-grüne Ausländerpolitik nur noch auf die Frage, was man gegen islamistische Extremisten in Deutschland zu tun gedenke. Der Rest fällt in Vergessenheit.

Auch wirtschaftlich ist Schröders Lage keineswegs rosig. Nicht erst seit dem 11. September steht Deutschland am Rande einer Rezession. Die Wirtschaftsforschungsinstitute korrigierten die Wachstumsprognosen immer weiter nach unten und sind jetzt bei einem Wert von weniger als einem Prozent Wachstum - zu wenig, um zu einer meßbaren Verringerung der Arbeitslosigkeit zu kommen. Immer noch sind 3,7 Millionen Menschen arbeitslos, bei steigender Tendenz.

Hatte Schröder nicht versprochen, die Zahl der Arbeitslosen auf „deutlich unter 3,5 Millionen“ zu senken? Am 26. Juli 1998, mitten im Wahlkampf, hatte er in Nürnberg verkündet: „Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote signifikant zu senken, dann haben wir es weder verdient, wiedergewählt zu werden, noch werden wir wiedergewählt.“ Doch die Arbeitslosigkeit steigt, obwohl sie allein aus demographischen Gründen sinken müßte, weil jedes Jahr rund 200.000 ältere Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden und die Zahl der in die Arbeitswelt hineinwachsenden Jungen geringer ist.

Schröders Politik der „ruhigen Hand“ hat fatale Folgen. Die drohende Rezession und steigende Arbeitslosigkeit müßte eigentlich mit Steuersenkungen bekämpft werden. Doch nach dem 11. September setzte Schröder als erstes Mittel Steuererhöhungen ein. Dabei wurde die mittelständische Wirtschaft, der einzige Bereich, der in größerer Zahl neue Arbeitsplätze schaffen kann, massiv gegenüber der Großindustrie bei der Steuerreform benachteiligt. Eine Änderung oder ein Vorziehen der weiteren Reformschritte kommt für Schröder nicht mehr in Betracht. Auch im Gesundheitswesen laufen der Regierung die Kosten davon, die Staatsquote ist höher denn je, und die Sozialbeiträge drohen weiter zu steigen, obwohl die Regierung eigens die Ökosteuer einführte, um die finanziellen Belastungen durch Sozialbeiträge zu senken.Eigentlich gute Voraussetzungen für die Opposition. Aber nicht in diesen Zeiten.


 
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