© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Die Landesmutter als erste Beschwerdeinstanz
Sachsen: Die Opposition im Freistaat kratzt in der Paunsdorf-Center-Affäre am Lack der CDU
Paul Leonhard

In Sachsen hat man alle Etikette fallengelassen. Geradezu rüde ist der Umgangston geworden. Mit dem Abgeordneten Karl Nolle sei die Sozialdemokratie endgültig „auf den Hund gekommen“, entfuhr es Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Der Sachsen-Premier droht dem Druckereibesitzer mit seinem Anwalt. Nolle hatte behauptet, aus CDU-Kreisen erfahren zu haben, die Biedenkopfs würden ihre Steuern nicht in Sachsen, sondern in Nordrhein-Westfalen bezahlen. Und Nolle legte noch nach, indem er Ingrid Biedenkopf als die „Königin der schwarzen Kassen“ bezeichnete. Es geht bei der hitzigen Debatte nicht mehr nur um dem Paunsdorf-Center-Untersuchungsausschuß, sondern erneut auch um das „Büro Ingrid Biedenkopf“.

Bei ersterem muß sich Biedenkopf gegen Vorwürfe verteidigen, er habe zum Schaden des Freistaates dem mit ihm befreundeten Heinz Barth bei der Vermietung des von dem Unternehmer errichteten Behördenzentrums in Leipzig-Paunsdorf unter die Arme gegriffen. Obwohl der Behörden-Bedarf nur rund 17.000 Quadratmeter Bürofläche betragen habe, wurden damals 53.000 Quadratmeter angemietet. Der Ministerpräsident soll dazu die Weisung gegeben haben. Die Freundschaftsdienste Biedenkopfs hätten dem Steuerzahler „Kosten in dreistelliger Millionenhöhe beschert“, erinnert Andre Hahn (PDS), Vizechef des Paunsdorf-Untersuchungsausschusses. Im August soll der frühere Chef des Leipziger Liegenschaftsamtes, Norbert Steiner, als Zeuge vor dem Ausschuß ausgesagt haben, daß Ingrid Biedenkopf als stille Gesellschafterin mit fünf Millionen Mark an Pausnsdorf beteiligt gewesen und in die Vermietung einbezogen war. Biedenkopfs dementierten prompt und ließen über ihre Anwaltkanzlei Steiner zum Widerruf auffordern.

Die PDS wiederum erwartet eine eidesstattliche Erklärung der Ministerpräsidentengattin gegenüber dem Untersuchungsausschuß, daß sie „zu keinem Zeitpunkt direkt oder indirekt an Firmen beteiligt“ war, „die das Paunsdorf-Center gebaut oder vermietet haben“. Damit wäre die „ganze Angelegenheit aus der Welt“, so Ex-SED-Genosse Hahn. In eine neue Runde geht derweil der Streit um das mit Steuermitteln finanzierte Bürgerbüro der Ministerpräsidentengattin. Auslöser war ein 24seitiger Bericht, den der sächsische Datenschutzbeauftragte Thomas Giesen Anfang September dem Landtag vorgelegt hatte. In dem Papier kritisiert er die „allgemeine Unordnung in den Papieren“. Es sei „rechtswidrig und unzulässig“, daß in dem Büro personenbezogene Akten gesammelt und an andere Behörden weitergegeben wurden.

Verwundert zeigte sich Giesen auch, daß viele Ministerien und Behörden vor den Wünschen Ingrid Biedenkopfs „strammstehen“. Weder der Ministerpräsident noch seine Frau dürften in schwebende Verfahren eingreifen, um deren Ergebnis beeinflussen zu können, kritisierte der Datenschutzbeauftragte. Überdies würden auch hinzugezogene Behörden häufig gegen geltendes Recht verstoßen. Das „Büro Ingrid Biedenkopf“ ist ein neu-sächsisches Kuriosum, das erstmals im Haushaltstitel 1995 einen eigenen Titel erhielt. Damals wurde es mit einem Sachetat von 50.000 Mark und drei Planstellen ausgerüstet. Es ging um die „Anerkennung eines faktisch gewachsenen Zustandes“, rechtfertigte Regierungssprecher Michael Sagurna (CDU) seinerzeit den Vorstoß. Schließlich kümmere sich Ingrid Biedenkopf mit ihrem Büro bereits seit 1990 um die Sorgen der „kleinen Leute“. Nachdem sich aber herausgestellt habe, daß diese Arbeit nicht wie geplant vorübergehend ist, habe man einen Titel festgeschrieben. Inzwischen stellt der Freistaat jährlich 228.000 Mark für die Arbeit der 70jährigen bereit. Die „Landesmutter“ sei die „erste Beschwerdeinstanz des Freistaates“, spottete die FAZ über die vielfältigen Aktivitäten Ingrid Biedenkopfs. Und der Biedenkopf-Biograph Alexander Wendt notierte: „Sie ist, obwohl in der Verfassung nicht vorgesehen, eine Institution mit bemerkenswerter Interventionslust im Lande“. Egal, ob es sich um die Pulsnitzer Lebkuchenbäcker oder die Weinbauern des Elbtals handelte, wer von den sächsischen Behörden keine befriedigende Antwort erhielt, wandte sich an die Ehefrau des Regierungschefs. Hunderte Briefe treffen seitdem monatlich im „Büro Ingrid Biedenkopf“ ein, die akkurat abgearbeitet werden. Mitunter wird die „Kummerkastentante Sachsens“ (FAZ) sogar höchstpersönlich bei den Ministern vorstellig. Findet sie kein Gehör, kündigt sie an, das Problem „Hans Kurt vorzutragen“, was zumeist keine leere Drohung bleibt.

Die Mitarbeiter der Stabsstelle Bürgeranliegen und die im Petitionsausschuß des Landtages sitzenden Parlamentarier können da nur neidisch schauen. PDS-Fraktionschef Peter Porsch sprach hämisch von einem „Königspaar, bei dem die Untertanen um Gnade nachsuchen können“. Doch die CDU-Mehrheitsfraktion stimmte immer zu, wenn es um Mittel für das „Büro Ingrid Biedenkopf“ ging: Lieber deutschlandlandweiten Spott als einen Protestbriefhagel all jener, denen die Frau bereits geholfen hat.

Doch SPD-Wadenbeißer Nolle und die PDS sticheln weiter: Auf eine Anfrage des PDS-Abgeordneten Roland Weckesser mußte Staatskanzleichef Georg Brüggen (CDU) einräumen, daß die Regierung keine Informationen über Höhe und Verteilung von Spenden hat, die Ingrid Biedenkopf erhalten hat. Die „Drittmittel“ würden nicht für die „Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben“ verwendet.


 
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