© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Liberalisierung als Selbstzweck
Umweltschutz: Privatisierung der Wasserwirtschaft kein Tabu / Ausverkauf staatlicher Beteiligungen / Ende des Gebietmonopols
Ronald Gläser

Daß der Staat sich in zu viele Wirtschaftszweige direkt oder indirekt einmischt, wird kaum bestritten. Seit Jahren existiert ein Trend, staatliche Beteiligungen zu reduzieren und öffentliche Firmen zu privatisieren. Die Finanznot der öffentlichen Hand tut ihr übriges. In mancherlei Hinsicht wird deshalb auch verantwortungslos und kurzsichtig gehandelt.

Keine Stadt könnte dafür als Beispiel besser dienen als Berlin. Es ist wirtschaftliches Schlußlicht unter den sechzehn Bundesländern und Inhaber skurril anmutender Beteiligungen zugleich. Das Portfolio der Spreemetropole reicht von Stadtreinigung und Verkehrsbetrieben einerseits bis hin zu Bauernhöfen und Schnapsbrennereien andererseits. Da das Tafelsilber von der Großen Koalition verscherbelt worden ist, wird der neue Senat nach der Wahl vor großen Problemen stehen. Milliardeneinnahmen durch Verkäufe gehören der Vergangenheit an, aber die Ebbe in der Kasse der Stadt ist bittere Realität.

Die Zahl der Beteiligungen wird auf 335 geschätzt, ganz sicher ist man sich dabei aber nicht. Darunter finden sich Ladenhüter wie die Bankgesellschaft oder die Flughafen-Holding. Bei der Schatzsuche nach den letzten Restposten stößt man schnell auf die Berliner Wasserbetriebe stoßen.

Grundsätzlich ist die Privatisierung der Wasserversorgung ein problematischer Vorgang. Das Beispiel der Hauptstadt lädt nicht unbedingt zur Nachahmung ein. Die Berliner Wasserbetriebe wurden 1999 bereits zum Teil privatisiert. 49,9 Prozent des Konzerns wanderten in den Besitz eines Konsortiums aus RWE und Vivendi. Obwohl die Stadt nach wie vor Mehrheitseigentümer ist, verhinderte sie den Vertragsbruch der neuen Konzernleitung nicht. Diese reduzierte die Zahl der Mitarbeiter um etwa zehn Prozent, was notwendig gewesen sein mag. Sie erhöhte aber auch sofort den Wasserpreis und flüchtete sich in allerlei Ausreden. Daß Neu-Eigentümer ihre Zusagen an den Verkäufer zu brechen pflegen, mußte Berlin unter anderem auch bei den Privatisierungen der Versorgungsunternehmen Bewag und der Gasag lernen.

Andererseits wurde über das Kerngeschäft, die Wasserversorgung, hinaus eine Expansion eingeleitet. Das Unternehmen besitzt nun Beteiligungen in Ungarn und sogar in China. In der Stadt besitzt der Konzern, der nun Berlinwasser heißt, Tochterfirmen wie die Berlikomm. Obwohl diese Telefongesellschaft privat organisiert ist, erwirtschaftet sie Verluste. Schlimmer ist, daß sie wie eine Behörde geführt wird. Den Bedürfnissen des Marktes wird - wenn überhaupt - erst nach Monaten Rechnung getragen. Selbst das Land Berlin, das ja Haupteigentümer ist, nutzt eine konkurrierende Telefongesellschaft. Mit der Wasserversorgung gibt der Staat ohne Not eine seiner Hauptaufgaben auf. Die hohe Trinkwasserqualität und die Versorgungssicherheit sind ein nicht zu unterschätzender Bestandteil unseres gesamten Lebens.

In ganz Deutschland existieren zur Zeit etwa 6.700 Betriebe der Wasserwirtschaft aller Rechtsformen und Größen. Mit derzeit knapp 130 Litern pro Tag gebraucht ein durchschnittlicher Deutscher im Vergleich zu anderen Industrieländern relativ wenig Trinkwasser - mit abnehmender Tendenz. Etwa 120 Liter sind es in Belgien und 295 Litern in den USA. Die rot-grüne Bundesregierung ist bestrebt, den Wasserversorgern die Gebietsmonopole zu entziehen. Doch die haben ihren Ursprung in der Natur des Wassers: Mehrere Wassernetze machen ökonomisch keinen Sinn, also kann pro Stadt oder Region nur ein Versorger tätig sein. Auch bei der Förderung des Trinkwassers sind dem Wettbewerb aus Gründen des Gewässerschutzes und der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen enge Grenzen gesetzt. Auch das geschätzte Potential für Kosteneinsparungen durch konkurrierende Anbieter ist - laut Umweltbundesamt -mit zehn bis 15 Prozent allerdings deutlich geringer als bei Strom oder Telekommunikation, da ein Großteil der Kosten für die Wartung des Kanalnetzes anfällt. Eine Liberalisierung würde einen Wettbewerb erzeugen, der keiner ist. Da sich die Wasserversorgung nicht aufspalten läßt wie Telefonleitungen oder Fernsehkabel, erscheint ein vergleichbarer Wettbewerb zugunsten der Verbraucher fraglich. Technische und betriebswirtschaftliche Aspekte könnten qualitative, sozialverträgliche und umweltorientierte Kriterien verdrängen.

Marktbeherrschende Monopole, die nun in privater Hand sind, könnten schließlich alles diktieren. Diese Konzerne müßten nun wiederum staatlicherseits überwacht werden, was den kurzfristigen Personalabbau zur volkswirtschaftlichen Makulatur werden läßt. In England beispielsweise zwang eine solche Behörde kommunale Wasserbetriebe zu einer drastischen Senkung der Wasserpreise zu Lasten der Dividende der Aktionäre. Dem halten die Promotoren im Bundeswirtschaftsministerium entgegen, daß sie nicht die Liberalisierung um ihrer selbst willen vorantrieben. Gewährleistete ausschließlich der Staat eine gute Qualität, so müßte er auch die Herstellung von „Brötchen und Babynahrung“ an sich reißen.

Die Hintergrundmotivation für die geplante Privatisierung der Wasserwirtschaft wird mit allerlei Phrasen rund um die Globalisierung und Wettbewerbsfähigkeit kaschiert. Natürlich gibt niemand gerne zu, daß er aus einer schieren Notlage heraus Dinge verkauft, die er in Jahrzehnten mühsam angeschafft hat. So lobte der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Alfred Tacke, kürzlich die Synergieeffekte durch Konzentration in der Wasserwirtschaft einiger Nachbarländer.

Kritik erklingt dagegen etwa von sei-
ten der bayerischen Staatsregierung. Deren CSU-Umweltminister Werner Schnappauf wollte zwar kein Tabu aus der Wasserwirtschaft machen, warnte aber dezidiert vor übereilten Schritten. Eine Privatisierung dürfe keine Abstriche bei der Qualität nach sich ziehen und müsse Verbrauchern und Kommunen gleichermaßen Vorteile bieten. Bayern setzt auf eine Alternative zum Ausverkauf, indem es die Kooperation und den Informationsaustausch der Betriebe der Wasserversorgung fördert.

In einer vor dem finanziellen Ruin stehenden Metropole wie Berlin ist für solche Gedanken und Maßnahmen scheinbar kein Platz. Die Grünen, die sich noch 1999 der Privatisierung der Wasserbetriebe widersetzt haben, gehören jetzt selbst der Regierung an. Und sie brauchen viel Geld, falls sie nach dem 21. Oktober an den Schalthebel in der Hauptstadt bleiben. Berlin braucht schließlich - von den Sozialhilfemilliarden abgesehen - dringend neue Fixer-stuben, luxuriöse Gefängnisse und Fördermittel für antifaschistische Vereine.


 
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