© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid
An den Rand gedrängt: Zum 200. Geburtstag des Komponisten Albert Lortzing
Walter Thomas Heyn

Albert Lortzing nimmt in der Musikgeschichte eher eine Randposition ein. Im Schatten der Giganten Mozart, Beethoven, Weber und Wagner stehend, gilt er den meisten Kennern mittlerweile als liebenswürdiger, aber unbedeutender Unterhaltungshandwerker. Zum Kanon des großen „klassischen Erbes“ gehört er nicht. Und auch auf dem Theater kommen Lortzings Werke - Publikumsrenner bis zum heutigen Tage - immer seltener vor: das regiedominierte moderne Selbstdarstellungs-Weltschmerz-Theater kann mit Opern von Lortzing nichts anfangen. Und doch steckte in diesem eleganten, uneitlen Mann ein Freigeist und glühender deutscher Demokrat und Patriot dazu. Diese beiden Grundhaltungen, die uns heute als unvereinbar verkauft werden sollen, gehörten damals unabdingbar zusammen.

Gustav Albert Lortzing wurde am 23. Oktober 1801 in Berlin geboren. Seine Kinderjahre fielen in eine politisch unruhige Zeit. Denn die damalige wirtschaftliche Überlegenheit Englands mußte sich besonders auf das staatlich zerrissene Deutschland verheerend auswirken. Zudem verfolgte Napoleon seine Welteroberungspläne: im Oktober 1806 zog er in Berlin ein. Bis 1808 hielten die Franzosen die Stadt besetzt. Fichte hielt währenddessen seine aufrüttelnden „Reden an die deutsche Nation“. Schill und Körner riefen von Berlin aus zu den Befreiungskriegen auf, nach denen die deutsche Kunst und Wissenschaft einen gewaltigen Aufschwung nahm, nicht zuletzt dank der Entfaltung des geistigen Lebens durch die Universität Berlin, deren Gründung im Jahre 1810 erfolgt war.

Kein Wunder, daß Lortzings Opern-Erstling mit dem Titel „Ali Pascha von Janina oder die Franzosen in Albanien“ von diesem freiheitlichen Sturm und Drang nicht unberührt geblieben war. Die für alle Völker gültige nationale Freiheitsidee wird in einer rührseligen Stückanlage am Beispiel des griechischen Freiheitskampfes abgehandelt, der damals in ganz Europa tätige Anteilnahme erweckte. Doch das Stück wurde von der A-B-C-Theaterdirektion (benannt nach den zu bespielenden Städten Aachen, Bonn, Cöln, Düsseldorf und Elberfeld) nicht aufgeführt, was letztlich dazu führte, daß Lortzing ans Hoftheater nach Detmold wechselte.

1832 verfaßte Lortzing vier Singspiele. Das bedeutendste, „Der Pole und sein Kind“, verrät aufs neue den für das politische Tagesgeschehen aufgeschlossenen Künstler. Das tragische Schicksal des vergeblich um seine nationale Befreiung kämpfenden polnischen Volkes beschäftigte Menschen in europäischen Kulturnationen, als Warschau 1831 sich den zaristischen Truppen hatte ergeben müssen und Tausende von aufrechten Patrioten als Verbannte ihre Heimat verließen. Ein einaktiges Bühnenstück ähnlicher Art ist „Andreas Hofer“. Lortzing besingt erneut freiheitliche Regungen, diesmal die der Tiroler gegen die Franzosen. Wieder ist zu erleben, wie die künstlerische Produktion das Erlebnis der bewegten Zeit widerspiegelte.

Lortzings Hauptwerk ist die 1837 in Leipzig innerhalb von zehn Monaten verfaßte Oper „Zar und Zimmermann“. Auch dabei lieferte ein politisch-historisches Geschehen Lortzing den schöpferischen Anlaß. Der russische Zar Peter I., von der Absicht geleitet, die Rückständigkeit seines Landes zu überwinden und im wirtschaftlich weiterentwickelten Westeuropa zu lernen, unternahm 1697/98 eine Studienreise nach England und Holland, wo er anonym unter dem Namen Peter Michailow als einfacher Zimmermann arbeitete. Ebenso historisch verbürgt ist die überstürzte Abreise des Zaren, der in seiner Heimat einen Aufruhr niederzuwerfen hatte, welcher von der unzufriedenen reaktionären Hofpartei geplant worden war.

Lortzing selbst schrieb über sein Werk: „Potztausend! Ein Zar von Rußland, der um des Besten seines Volkes willen sich eine Zeitlang seiner hohen Würden begibt und in fremden Lande als gemeiner Matrose lebt und arbeitet, wäre es nicht geschichtlich beglaubigt, man würde es für eine der gröblichsten Unwahrscheinlichkeiten erklären. - Aber da soll der Bösewicht nur schlechte Gesinnungen und Gefühle, der Gute nur edle Gedanken und Empfindungen haben. Aber so ist es nicht in der Natur. Jener kann auch einmal wie dieser, dieser auch einmal wie jener denken und fühlen. Jagt nur eure allgemeinen Ideen zum Teufel und dringt ins wirkliche Leben ein!“

Ein prächtiges Geschenk bescherte Lortzing den Leipziger Theaterbesuchern zu Sylvester des Jahre 1842 mit der Uraufführung des „Wildschütz“. Trotzdem verlor er drei Jahre später seinen Posten in Leipzig. Zeitweilige Krankheiten nahm die Theaterdirektion zum Anlaß, „Einsparungen“ vorzunehmen. Trotz schwerer finanzieller Probleme schrieb Lorzing weiter an den Opern „Undine“ nach E.T.A. Hoffmann (Magdeburg, 1845) und „Der Waffenschmied“ (Wien, 1846). Doch das Glück war ihm nicht mehr hold. Die Bevorzugung ausländischer Werke wie auch das Vorherrschen „niederster“ Tanzmusik machte es deutschen Tonsetzern schwer, sich zu behaupten.

Den Aufstand der Wiener Arbeiter, Bürger und Studenten erlebte Lortzing aktiv unter Waffen mit. „Am 13. und 14. März konntest du uns alle mit der Muskete auf der Schulter ... bei Tag und Nacht patrouillieren sehen“, schreibt er an einen Freund und läßt keinen Zweifel an seiner Haltung, daß „demokratisch sein“ auch und gerade „patriotisch sein“ heißen müsse. Den „hochherzigen Studenten“ und der „deutschen Jugend“ widmete er etliche seine Chorkompositionen.

Auch eine Oper entstand noch: „Regina oder die Marodeure“, welche allerdings erst nach seinem Tode 1899 in der königlichen Oper zu Berlin uraufgeführt wurde. Sie enthält - neben der ersten szenischen Darstellung eines Streikes auf der Opernbühne - vor allem Lortzings politisches Vermächtnis, nämlich daß revolutionäre und freiheitliche Haltungen untrennbar zusammengehören: „Nun kommt der Freiheit großer Tag. / Das Volk läßt sich nicht spotten“, lautet bezeichnenderweise der Text des Schlußchores.

Lortzing verstand unter Freiheit vor allem Freiheit von ausländischer Fremdherrschaft und bedrückender Obrigkeit. Er führt uns eine Obrigkeit vor, die im günstigsten Falle bloß lächerlich unfähig, im schlimmeren aber offen gewaltbereit gegen innere und äußere „Feinde“ sich präsentiert. Lortzing zeigt uns ein hin- und hergerissenes Deutschland, in welches mal von Süden, mal von Osten Flüchtlingsströme einbrechen. Er zeigt uns ein Europa, in dem immer mal wieder ein kleines Land von seinem großen Nachbarn trotz verzweifelter Gegenwehr gewaltsam verschluckt wird. Lortzing zeigt aber auch die Protagonisten der Freiheit, Wissenschaftler, Künstler, Nationalgardisten, Studenten, Arbeiter, allesamt glühende Patrioten ihrer Völker. Er zeigt uns auch die Disziplinierung der unbotmäßigen politischen Querdenker von gewaltlosen Methoden (Bestechung, Beförderung, günstige Heirat, Gnadenakt) bis zur Exekution der Anführer wie Andreas Hofer. Lortzing überzuckert dies alles mit eingängigen, scheinbar heiteren Melodien und hübschen Tänzen, aber er zeigt eben genau das: ein hin- und hergeworfenes, in der eigenen Entwicklung behindertes Land, mehr Opfer als Täter und beständig drangsaliert von einer fortschrittsunfähigen, korrupten Oberschicht.

Albert Lortzing, mittlerweile völlig mittellos, landete 1849 wieder in Berlin, wo er die Kapellmeisterstelle am neugegründeten Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in der Schumannstraße (heute Deutsches Theater) übernahm. Er machte noch einmal große Pläne, doch sie zerschlugen sich alle. Auch der vorgesehene Ausbau des Theaters zu einer Oper unterblieb. Und der Komponist, zuletzt sehr kränklich, erwartete voller Besorgnis seine Kündigung. Aber er erlebte sie nicht mehr, denn er verschied am Abend des 20. Januar 1851 am Schlagfluß.

Von seinem Freund Düringer stammt die Inschrift auf Lortzings Grabstätte: „Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid. Sein Leben Kampf mit Not und Neid. Das Leid flieht diesen Friedensort. Sein Kampf ist aus, sein Lied tönt fort.“


 
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